Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

DIW gibt Entwarnung: Atomkraft verliert an Bedeutung

Man hatte sie schon totgesagt, doch im Zuge der Klimaschutzdebatte wird vielfach über die Atomkraft als „saubere“ Alternative debattiert. Erste Stimmen sprechen sogar von einer weltweiten Renaissance der Kernenergie, Politiker wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretzschmar ließen erste Versuchsballons steigen.

Doch eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) gibt Entwarnung: Die Atomkraft verliert weltweit an Bedeutung. Die DIW-Ökonomen haben 207 Atomreaktoren identifiziert, die bis 2030 zurückgebaut werden müssen, weil sie die üblicherweise angesetzte technische Lebensdauer von etwa 40 Jahren überschreiten. Diesen Reaktoren stehen derzeit lediglich 46 Neubauprojekte gegenüber.

Atomkraft hat nur noch 10-Prozent-Anteil an der Stromerzeugung

„Von einer Renaissance der Atomkraft kann nicht die Rede sein. Dennoch ist dieses Narrativ im öffentlichen Diskurs weit verbreitet“, fasst Studienautorin Claudia Kemfert das Ergebnis zusammen. „Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung ist gering und aufgrund eines überalterten Kraftwerksparks stark rückläufig.“ Seien es im Jahr 1996 noch rund 17 Prozent gewesen, die die Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung anteilig hielten, seien es heute nur noch rund zehn Prozent.

Diese vier Länder steigen neu in die Atomkraft ein

Lediglich in zehn Länder werden derzeit neue Atomkraftwerke gebaut, von denen sechs bereits über Atomkraftwerke verfügen, ermittelte die Studie. Dazu gehören neben Frankreich, Großbritannien und den USA als westlichen Industriestaaten auch China, Indien und Russland. Vier Länder lassen erstmals in ihrem Land ein Atomkraftwerk bauen: die Vereinigten Arabischen Emirate, Belarus, die Türkei und Bangladesch.

Wer eine Renaissance der Atomkraft zu sehen meint, stütze sich bei seinen Aussagen in der Regel auf Statistiken der World Nuclear Association (WNA), der Interessenvertretung der globalen Atomindustrie, so die Studienautoren. Die WNA-Liste der „Emerging Nuclear Energy Countries“ umfasse mehr als 30 Länder, die demnach angeblich vor dem Einstieg in die Atomwirtschaft stehen. Diese Klassifizierung beruht unter anderem auf sogenannten „Kooperationsverträgen“ dieser Länder mit potentiellen Lieferanten von Atomtechnik.

Bauprojekte leiden unter technischen und finanziellen Schwierigkeiten

„Unsere Analyse zeigt jedoch zum einen, dass die wenigen Projekte, die in nur vier Ländern umgesetzt werden, unter großen technischen und finanziellen Schwierigkeiten leiden“, berichtet Studienautor Christian von Hirschhausen. „In allen anderen Ländern gibt es zum anderen zwar eine Reihe von Kooperationsabkommen, jedoch keine konkreten Baupläne.“

Rossatom ist beim Bau von Atomkraftwerken weltweit besonders aktiv

Auffällig ist, so das Autorenteam, dass in drei der vier Länder, die erstmals Atomkraftwerke bauen, der russische Staatskonzern Rosatom die Reaktoren baut; nur in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist das südkoreanische Unternehmen KEPCO damit beauftragt. Auch in vier weiteren Ländern, in denen laut WNA bereits unterschriebene Lieferverträge bestehen (Polen, Ägypten) oder es feste Pläne zum Bau von Atomkraftwerken gibt (Jordanien, Usbekistan), ist Rosatom mit Ausnahme von Polen für die Umsetzung vorgesehen. Dies werfe Fragen über die Motivation sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite auf.

„Die Gruppe von atomstromproduzierenden Ländern ist eigentlich ein elitärer Club von Industrienationen und natürlich haben viele Länder die Absicht, in diesen Club reinzukommen“, sagt Studienautor Ben Wealer über die Beweggründe dieser Länder. „Andere Motivationen können auch militärisch geprägt sein. Auffallend ist dabei, dass es sich bei den Neueinsteigern um weniger demokratische Staaten handelt.“ Eine Analyse hat ergeben, dass Länder umso wahrscheinlicher in die Gruppe der potenziellen Atomkraft-Newcomer eingeordnet werden, je geringer das Ausmaß der demokratischen Freiheiten ist. Für Länder mit vielen demokratischen Freiheiten ist es hingegen sehr unwahrscheinlich, dass diese als potentielle Neueinsteiger-Länder klassifiziert sind.

Ungelöste Fragen bei Rückbau und Lagerung der radioaktiven Abfälle

„Anstatt den Einstieg neuer Länder in die Atomkraft zu fördern, sollten internationale Organisationen wie die Internationale Atomenergiebehörde IAEO oder auch EURATOM den Fokus auf die Durchsetzung von Sicherheitsstandards legen sowie ungelöste Fragen beim Rückbau von abgeschalteten Kraftwerken und bei der Langfristlagerung für atomare Abfälle angehen“, fordert Studienautor Lars Sorge. Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass die institutionelle Subventionierung des Atomeinstiegs – insbesondere in oftmals politisch instabilen Ländern – aufgegeben wird.