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Jährlicher Zubau von 19,5 GW aus Erneuerbaren

Wie ein Bericht des Technologieunternehmens Wärtsilä zeigt, kann Deutschlands Energiesektor bis 2040 Klimaneutralität erreichen – bereits fünf Jahre vor seinem geplanten Netto-Null-Ziel – und dabei die Stromkosten um acht Prozent senken. Laut der Modellrechnung mit dem Titel „Schneller zu Netto-Null“ muss Deutschland bis 2030 Kohle- und Kernenergie durch erneuerbare Energien ersetzen und seine Stromversorgung flexibler gestalten, um bis 2040 eine zu 100 Prozent regenerative Stromversorgung zu erreichen.  

Die Modellrechnung kommt zu folgenden Ergebnissen: Bis zum Jahr 2040 kann Deutschland 422 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Das entspricht 57 Prozent seiner Gesamtemissionen im Jahr 2020. Dieses Ziel ist durch den schrittweisen Ausstieg aus der Kohleenergie bis 2030 zu erreichen – acht Jahre früher als aktuell geplant.  Zudem könnte Deutschland energiepolitisch zum Teil unabhängig bleiben und einen potenziellen Import von 550 TWh Energie vermeiden. Das würde eine zusätzliche Ersparnis von 77 Millionen Tonnen CO2-Emissionen außerhalb Deutschlands bis 2045 bedeuten. Energieerzeuger können mehr als 900 Millionen Euro CO2-Steuer pro Jahr einsparen, wenn der Kohleausstieg bereits 2030 statt erst 2038 vollzogen ist. Die Berechnung basiert auf den aktuellen Kohlenstoffpreisen, die Prognosen zufolge nach 2030 stark ansteigen sollen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sind laut Wärtsilä allerdings dringend bis zu sechs GW Strom von neuen gasbetriebenen, flexiblen Kraft-Wärmekopplungs-Werken (CHP) erforderlich, um die durch den Kohleausstieg verursachte Versorgungslücke bei der Heizenergie zu kompensieren – gleichgültig, ob 2030 oder 2038. 

ERNEUERBARE ENERGIEN befragt dazu Jan Andersson, European Market Development Manager bei Wärtsilä Energy, Mitautor des Reports.

Viele Länder sind abhängig von fossilen Importen, so auch Deutschland. Jetzt gibt es Nordstream2. Wie geht es weiter mit Autarkiebestrebungen durch erneuerbare Energien? Wie sähe theoretisch der Weg in die Unabhängigkeit aus? Was muss dafür politisch passieren? Ist eine Unabhängigkeit überhaupt gewollt? Will man jetzt nicht ohnehin die Pipeline nutzen, in die so viel investiert wurde?  

Jan Andersson: Das sind wirklich treffende Fragen! Theoretisch kann Deutschland energieunabhängig werden. Es ist möglich, genug Wind- und Solarenergie zu generieren, um die derzeitigen Importe von Uran, Steinkohle und Erdgas zu kompensieren. Bis dahin müssen einige Dinge passieren:

·         Die Einholung von Genehmigungen sollte einfacher werden, um mehr Kapazitäten für erneuerbare Energien zu ermöglichen

·         Der Ausbau von Wind- und Solarenergie muss wirklich verstärkt werden. Unser Supercharged-Szenario geht von einem jährlichen Zusatz von 19,5 GW an erneuerbaren Energien aus, der zur Erreichung dieser Unabhängigkeit erforderlich ist. Diese Summe kann mit dem jährlichen Zusatz von 6-7 GW in den letzten Jahren verglichen werden.

·         Mit dem Ausbau der Offshore-Windenergie muss die Kapazität für die Übertragung von Norden nach Süden steigen

·         Die Sektorkopplung muss im Allgemeinen ausgebaut werden. Zum Beispiel wird heute ein großer Teil der Hitze Heizung durch fossile Brennstoffe direkt in Heizkesseln erzeugt, dies muss elektrifiziert werden. Das Gleiche gilt für den Transport.

Allerdings ist die Frage, ob die Bevölkerung das akzeptiert. Es gibt schon heute Landstreitigkeiten und Proteste gegen Windkraftanlagen. Die wirtschaftliche Machbarkeit ist ebenfalls eine wichtige Frage, denn Land ist in Mitteleuropa teuer und könnte die normalerweise günstigen erneuerbaren Energien verteuern.

Wenn Deutschland sich nicht für die ehrgeizigen Klimaziele des Berichts verpflichtet, ist es wahrscheinlich, dass es in Zukunft auf Energieimporte angewiesen sein wird. Außerdem gibt es bereits Initiativen, die sich mit dem Import von Wasserstoff oder anderen wasserstoffbasierten Brennstoffen wie Ammoniak aus Gegenden mit reichlich Land und Solarenergie befassen.

Darüber hinaus arbeiten wir weiter an der Modellierung der Importabhängigkeit und der Rolle des Erdgases in Deutschland und planen, im Laufe des Jahres weitere Erkenntnisse zu diesem Thema zu veröffentlichen.

 Gas galt lange als Brücke – diese ist in Verruf geraten. Jetzt sehen viele blauen Wasserstoff als Brücke. Wie wird sich eine etwaige Brücke nach Ihrer Einschätzung entwickeln?

Jan Andersson: Ich sehe Gas immer noch als die beste Brücke zur Dekarbonisierung. Um die Ziele zur Emissionsminderung wirklich zu erreichen, sollten der Ausstieg aus der Kohle und der Ausbau der erneuerbaren Energien erste Priorität haben. Es ist jedoch ganz offensichtlich, dass man bei der Umstellung auf erneuerbare Energien flexible Kapazitäten zur Unterstützung von Wind- und Solarenergie benötigt. Die einzige realistische Option dafür ist heute Gas. In Verbindung damit sollten wir schrittweise auf nachhaltige Brennstoffe umsteigen und Lösungen schaffen, damit thermische Regelkraftwerke in Zukunft mit diesen Brennstoffen betrieben werden können. Wärtsilä hat vor kurzem ein Projekt gestartet, um zu testen, ob es möglich ist, bestehende Motoren für den künftigen Betrieb mit Wasserstoff umzurüsten.

Bei der Gasbrücke möchte ich darauf hinweisen, dass es sich nicht um Grundlastgas handelt, sondern um schnelles, flexibles Gas, das nur dann eingesetzt wird, wenn es wirklich gebraucht wird, das heißt, es werden Kapazitäten aufgebaut, aber die erzeugte Energie sollte von Jahr zu Jahr abnehmen, da immer mehr erneuerbare Energien zur Verfügung stehen.

Hier kommt auch die Nordstream2-Pipeline ins Spiel. Ich glaube, dass sie genutzt werden und die Versorgungssicherheit für das kommende Jahrzehnt gewährleistet wird.

Der Grund, weshalb ich blauen Wasserstoff hier nicht wirklich als Konkurrenten sehe, ist, dass man sowohl die Nachteile der Kosten als auch die der Emissionen hat. Damit meine ich Folgendes:

1.    Es wird teuer sein, weil man Methan in Kohlenstoff und Wasserstoff aufspalten muss und dann die Infrastruktur auf Wasserstoffbetrieb umstellen muss.

2.    Wenn man den blauen Wasserstoff erzeugt hat, bleibt immer noch der Kohlenstoffanteil des Methans übrig, der deponiert werden muss.

Daher bin ich der Meinung, dass bei der Umstellung auf Wasserstoff von Anfang an grüner Wasserstoff verwendet werden sollte, was auch das Ziel der deutschen nationalen Wasserstoffstrategie ist.

Sie sagen: Je schneller der Übergang, desto günstiger. Wie meinen Sie das? Gilt das auch jetzt noch? 

Jan Andersson: Erneuerbare Energien sind heute die billigste Form der Elektrizität. Deshalb sollten wir so schnell wie möglich auf erneuerbare Grundlast umstellen. Für Deutschland bedeutet dies, Kohle durch erneuerbare Energien zu ersetzen, die durch flexible Kapazitäten unterstützt werden.

Unsere Modellierung zeigt deutlich, dass es positiv ist, den Ausstieg aus der Kohle zu beschleunigen, d.h. anstatt hohe Preise für die Kohleverstromung zu zahlen, könnte dieses Geld für den Ausbau der erneuerbaren Energien ausgegeben werden. Das senkt die Kosten und spart Emissionen.

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