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Hybrid, hoch, sicher, schnell

Tilman Weber

Knapp sind die Fertigungskapazitäten schon jetzt. Ein Gedankenspiel: Hätte Branchen-Primus Max Bögl bei voller Auslastung seiner Werke Sengenthal in Bayern und Osterrönfeld in Schleswig-Holstein alle Fertigbeton-Turmsegmente nur für die 2023 in Deutschland an Land errichteten Windparks gefertigt und nichts exportiert, hätte das Spezialunternehmen noch kaum mehr Türme bauen können als für die Hälfte der 747 Turbinen. Zwar sind Installationen mit Nabenhöhen bis 120 Meter abzuziehen, weil hier reine Stahltürme genügen. Trotzdem hätte die Vollauslastung der Werke nicht gereicht.

Das Unternehmen will der stark wachsenden Nachfrage folgen. Statt bisher maximal für 400 will es 2024 schon Bauteile für 550 Türme liefern, wie der Vorstand der Max Bögl Wind AG Josef Knitl ERNEUERBARE ENERGIEN informiert. Mit Partnerfirma Bettels Betonfertigteile baut Max Bögl in deren ostfriesischem Werk Emden eine langfristige Produktion für jährlich 200 Türme auf (Interview rechte Seite).

Der Bedarf an mehr Fertigungskapazitäten für Türme aus Betonfertigteilen ist riesig, weil er exponentiell wächst. So gibt das Erneuerbare-Energien-Gesetz seit 2022 vor, dass Ende 2030 Windturbinen an Land mit 115 Gigawatt (GW) ins Stromnetz einspeisen. Dafür müssten jährlich 1.800 große Anlagen hinzukommen, bei im Schnitt fünf Megawatt (MW) Nennleistung. Würde das die Zahl der benötigten Türme auf absehbare Zeit verdoppeln, werden zudem Hybridtürme mit unterer Beton- und oberer Stahlzylinderhälfte ihren Anteil daran massiv erhöhen. Zulieferer wie Max Bögl setzen auf diese, um den Turmfuß mit sehr großen Radien standfest auszulegen, den Turm bis zum Übergang zum Stahlturm zu verjüngen und Turmschwingungen zu begrenzen. Hybridturmfirmen bauen die großen Radien nämlich aus Kreissegmenten. Anders als komplette Stahlzylinderabschnitte dieser Durchmesser passen solche Halb-, Drittel- oder mehr segmentierte Betonschalen bei Transporten auf Straße oder Schiene unter Brücken hindurch. Dazu kommt: Bis 169 Meter waren Türme  2023 hoch. Sie werden künftig noch höher. Damit steigt die Zahl der Betonteile pro Turm.

600 Hybridtürme pro Jahr will Max Bögl ab 2025 produzieren. Dazu nimmt das Unternehmen in Emden 2024 die dritte Produktionsstätte in Betrieb.

Doch es gibt weitere Akteure auf dem Markt. Windturbinenhersteller errichteten zuletzt selbst mit eigenen Betonturmkonzepten oder mit Partnern aus der Betonfertigbaubranche die untere Hälfte der Hybridtürme, eröffneten mobile Fertigungsstätten an Standorten für große Windparkprojekte. Und spezialisierte Zulieferer reagieren auf den künftigen Bedarf mit Innovationen und dem Ausbau der Kapazitäten. Bei besonders großen Windparkprojekten insbesondere auch im Ausland nutzen wiederum auch die Spezialisten von Max Bögl schon seit 2016 das Konzept einer eigens entwickelten mobilen Turmsegmente-Fertigung nahe der Baustellen. 2019 gab es dafür einen Innovationspreis.

Dank einer Fortentwicklung des Baukastensystems und des Turmdesigns vor fünf Jahren kann das Unternehmen inzwischen sein Turmmodell immer wieder neu an die wachsenden Lasten aus immer größeren Nennleistungen, Rotordurchmessern und Turmhöhen anpassen. Max Bögl war 2010 in den Windenergiemarkt eingestiegen – und bilanziert eine Erhöhung der Lasten bis heute auf das Dreifache. 2024 werde die Entwicklungsabteilung ein neues Konzept des Verbindungsmoduls für den Übergang vom Beton- in den Stahlturm vorlegen, sagt Chefingenieur Thorsten Betz. Das von der Lastenzunahme besonders betroffene Übergangsstück wollen die Ingenieure robuster gestalten, ohne mehr Masse in der Konstruktion zu verbauen.

0,7 Millimeter breite Risse treten an der Außenwand des Adapters zwischen Beton- und Stahlabschnitt des Turmes mitunter auf. Das lässt sich reparieren. Neuentwicklungen der Adapterkonstruktion vermeiden unnötige Spannungen im Material.

Das Übergangsstück ist eine Herausforderung der Turmbauer. Hier setzen die Ingenieure Ankerkörbe ein und Armierungen, die den unteren Betonturm gegen Materialausbrüche oder Spannungen stabilisieren, die zu Rissen führen könnten. Oder sie nutzen Bolzen, um den Stahlturm mit dem Flansch von oben und einem Metallgegenstück im anschließenden Betonkörper zu verspannen. Doch wie immer, wenn Metall und Beton zusammenkommen, können Spannungen zu Rissen und Abplatzungen führen. Zusätzlich setzen am Adapter bis zum Turmboden führende Stahllitzen an, die die Turmsegmente aufeinanderpressen.

Einer, der diese Herausforderung sehr gut einschätzen kann, ist Klaus Deininger. Der Sanierungsexperte ist Geschäftsführer der KTW Kunststoff-Technik GmbH bei Weimar. Die 2000 gegründete Unternehmenstochter KTW Umweltschutztechnik sanierte von Anfang an Turbinenfundamente in Windparks. Seit 2018 repariert diese auch schadhafte Stellen im Übergangsstück zwischen Betonunter- und Stahloberturm, dem Adapter. Deininger stellte bis 0,7 Millimeter breite Risse an den Betonwänden der Adapter in betroffenen Windparks fest. Um Wasserführungen zur Bewehrung zu stoppen, dichten die KTW-Sanierer die Wände von außen ab (Interview Seite 40).

Zudem bieten sie eine Tragwerksverstärkung mit „CFK-Sheets“ in maximal zehn Lagen an. Die Kohlenstofffaser-Kunststoff-Bandagen um die rissbedrohten Betonwände geben dem Material die Festigkeit zurück – ohne wie bei Stahlmanschetten mehr Gewicht an den Turm zu bringen. Ist Beton abgeplatzt, flicken die Thüringer mit polymermodifiziertem Betonersatz – einem Kunststoff-gestärkten Mörtel. „Vier Tage bis eine Woche“ dauert zum Beispiel die Reparatur mit CFK-Sheets.

5 Meter Durchmesser hat der Betonabschnitt des Adapters von Oehm Windenergie, um Lasten aus dem Stahlturm gleichmäßiger abzuleiten. Der Adapter enthält aber ein konisches Stahlelement, das den Durchmesser fürs Anflanschen des Stahlturms auf transportgerechte 4,30 Meter verjüngt.

Das Meppener Betonbauunternehmen Oehm antwortet mit einer eigenen Adaptertechnologie auf die wachsenden Lasten (Interview Seite 41). Im Unterschied zu klassischen Adaptern besteht diese Innovation aus einem zylindrischen Betonabschnitt mit noch sehr großem Durchmesser von 5 Metern und einem eingelassen sich verjüngenden Stahlstück, an dessen oberen Ende mit 4,30 Meter Durchmesser sich herkömmliche Stahlzylinderturm-Abschnitte anflanschen lassen. Die Innovation hält damit die Obergrenze für die Durchmesser der Stahlzylinder ein, die noch die Durchfahrt unter Autobahnbrücken erlaubt. Die Oehm-Ingenieure schaffen durch den besonders großen Umfang des Adapters auf der Betonseite großzügige Abstände zwischen Bolzen, Ankerkorb und Litzenverspannung – und brauchen dehalb weniger Bewehrung. Auch kommen sie ohne eingelassene Ankerstahlplatte aus. Die Turmlasten leitet der konische Stahladapter mittig auf den Betonkern ab, statt auf die Außenkanten des Betonradius zu drücken und dort Abbrüche zu riskieren. Der größere Radius bringt mehr Auflagefläche des Adapters ein, über die sich die Krafteinleitung in den Betonturm gleichmäßiger und breiter verteilt.

Vor drei Jahren hat Oehm mit der Entwicklung begonnen, bereits mit dem Ziel, ab 2025 die neuen Hybridtürme bis 200 Meter Höhe in Serie zu bauen, wie Geschäftsführer Peter Herbers betont. Oehm ist erfahren, baut seit 1998 in enger Partnerschaft mit Turbinenbauern die Betontürme für Windturbinen. Es setzt auf sich abwechselnde Segmente mit konischer, also schräg verjüngender und zylindrischer Außenwand. So kann Oehm auch Schwingungen verstärkende Eigenfrequenzen in ungefährliche Frequenzbereiche verschieben oder mit weniger Betonschalungen im Werk auskommen.

200 Meter Nabenhöhe ist das Entwicklungsziel einiger Anbieter neuer Hybridtürme. Windturbinenhersteller Vestas kündigte 2022 die 199 Meter Nabenhöhe für sein kommendes Flaggschiff V172 an.

Die Bausicherheit der Türme gilt derweil als von über Jahre gleichbleibenden Normen reglementiert. Die brancheneigene Fördergesellschaft Windenergie und andere Dezentrale Energien bereitet offenbar erstmals Standards fürs Bewerten der Zustände der Adapter in Hybridtürmen vor. Sie wären allerdings nur Empfehlungen. Wenn es um Betrieb und Instandhaltung geht, greift die Industrie-Richtlinie TR7.

Künftig könnten sich europäische Sicherheitsstandards gemäß IEC 61400-6 durchsetzen. Darauf hat sich  TÜV Süd vorbereitet (Interview Seite 44). Insbesondere kann diese Richtlinie wirtschaftlichere Designs erlauben. Denn der für Windkraft genutzte Beton ist besonders fest, um den hochdynamischen Belastungen standzuhalten. Die deutschen Vorgaben geben nur ungenaue Ermüdungswerte für ihn vor. Der IEC-Standard würde eine exaktere Berechnung des Designs erlauben, ohne große Sicherheitszugaben bei Wandstärken oder Bewehrung.

Wenn 2024 ein neuer Eurocode erscheinen wird, der den Rahmen für nichtlineare Berechnungsmethoden absteckt – um auch Wechselwirkungen in komplexen Konstruktionen feiner zu beschreiben –, will Prüf- und Zertifierungsdienst TÜV Süd die Turmbauer bei der Umsetzung dieses Codes und beim Entwickeln eigener technischer Konzepte unterstützen. Außerdem könnte bald eine Umstellung des Windkraftturmbaus vom starren deutschen Baurecht auf die flexiblere europäische Maschinenrichtlinie folgen. Diese lässt schneller Innovationen zu, es drohen aber Regelungslücken.

Die Turbinenbauer selbst sind auf ein vielfältiges Angebot an Produktionsvarianten mit technologischen Alternativen angewiesen, falls ausfallende Zulieferer auszugleichen sind.

2.500 BetonTürme hat Nordex mit seinem eigenen Betonfertigteile-Baukasten-System in 30 mobilen Betonturm-Fabriken errichtet. Nordex hat nun dieses System für den Bau von Hybridtürmen fortentwickelt. Zwei Türme mit 168 Meter Nabenhöhe stehen schon in Finnland. Nun folgt ein Prototyp mit 179 Meter Nabenhöhe in Deutschland.

Im Dezember meldete Nordex, die Vielfalt mit einem eigenen Hybridturmkonzept zu erweitern. Jetzt errichtet der Hersteller 25 Hybridtürme dieser Bauweise in einem finnischen Pilotwindpark. Die 168 Meter hohen Türme sollen noch in diesem Jahr entstehen, ebenso ein 179 Meter hoher Prototyp in Deutschland. Nordex nutzt die eigene Betonfertigteil-Architektur, die das Unternehmen für internationale Großprojekte in mobilen Fertigungsanlagen schon 2.500 Mal errichtet hat. Als Innovation entwickelte Nordex den Adapter für den Aufsatz des Stahlturms auf den bisher reinen Betonturm.   

Zielrichtung des Windturbinenbauers ist klar der deutsche Markt und dessen Fahrplan: „Wir erweitern unser Portfolio an Lieferanten für Hybridtürme um eine Variante. Mit Blick auf den deutschen Markt wollen wir bis 2025 ein ausreichendes Volumen erreichen“, sagt Max Jungk (Interview Seite 45). Der für die globale Produktstrategie zuständige Nordex-Vice-President erklärt, wie Nordex künftig ja nach Projektzeitplänen, Verfügbarkeit von Zulieferern und Windparkstandort wahlweise mal auf von Nordex beauftragte Zulieferer oder mal auf die eigene Turmbautechnologie setzen will.

Schon bisher nutzt die Branche elektronische Sensorik, um mehr Daten zu sammeln und belastete Orte im Turm besser zu designen. Eine andere Überwachung führt am 1. April das Betriebsführungs- und Inspektionsdienstleister Enertrag Betrieb ein. Das Unternehmen bietet schon Drohneninspektionen zur Prüfung von Rotorblättern an. Nun will Enertrag den Dienst auf Türme ausweiten, weil Drohnen anders als Seilkletterer nur eine Stunde fürs Abfliegen jeden Quadratzentimeters der Turmaußenhaut brauchen (Interview Seite 43).

Die Technik lasse auch eine Dokumentation einer Schadensfortentwicklung zu und die genaue fotografische Dokumentation von Schäden, heißt es aus der technischen Abteilung.

Aber auch Grundtechnik wie Verschraubungen erhöhen durch Innovationen die Chancen eines stabilen Größenwachstum der Hybridtürme. Das Unternehmen Hytorc hat ein „streckgrenzgesteuertes Anziehen und kombiniertes Vorspannverfahren“ entwickelt, das die Schraubenzahl im Flansch des Adapters erhöhen, aber die Schrauben verkleinern lässt. Der Trick dazu ist, die Schrauben näher an der Turmwand zu platzieren und dem Montierenden jede körperliche Last abzunehmen. Mit zwei entsprechenden Montagewagen lässt sich so ein Flansch pro Stunde verschrauben.

Weil der Schrauber sich zudem mit einer Schiene an den Nachbarmuttern abstützt, kommt dieser weder mit der Flanschoberfläche noch mit der Turmwand in Berührung. Das vermeidet Schäden im Korrosionsschutz (Interview rechte Seite) – und Reparaturen. Es spart also Zeit und Kapital.

Auf beides kommt es ja beim erforderlichen großen Ausbau der Windkraft ab 2025 stark an.

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