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Lotsen im Stromhandel

Tilman Weber

Bedeutungszuwachs ist für die Direktvermarkter des Stroms aus Erneuerbare-Energien-Anlagen bislang gesichert: Mit zunehmenden Dokumentationspflichten und wachsender Teilhabe von Wind-, Solar- und Bioenergie an der Stabilisierung der Stromversorgung nehmen die Aufgaben für die Dienstleister im Stromhandel zu. Zugleich weitet die Politik im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) das Spielfeld immer mehr aus. Und mit zunehmender Marktreife schaffen sie neue spannende Vertragsmodelle.

So würden schon die bestehenden weitreichenden Registrierungs- und Meldepflichten für den Stromgroßhandel, dem Kürzel ihrer europaweiten Regelung entsprechend Remit genannt, oder die durch das EEG Anfang 2021 verschärften Regeln zur digitalen Fernsteuerung der Anlagen und zum anlagenscharfen Messen der Einspeisung manche kleineren Betreiberunternehmen überfordern. Im Oktober aber kommt zum Beispiel die Verpflichtung Redispatch 2.0 für wetterabhängig, also volatil ins Netz einspeisende Windenergie- und Solaranlagen hinzu – zum kurzfristigen Sichern der Balance von Einspeisung und Stromabnahme. Sie würde wohl für viele zur Belastungsprobe. Die Direktvermarkter bereiten sich aber nun darauf vor, den wirtschaftlichsten Umgang mit dieser verstärkten Teilnahme für ihre Kunden zu managen.

Zum Beispiel Vattenfall: Der Leiter des Porfolio-Managements für Erneuerbare-Energien-Anlagen, Christian Sdralek, nimmt bezogen auf die vom EEG mit einer fixen Vergütung abgesicherten Erneuerbarenanlagen „die meiste Musik in Deutschland zum ab Oktober 2021 durchstartenden Redispatch 2.0“ wahr. „Der Gesetzgeber weist dem Anlagenbetreiber, Direktvermarktern und Netzbetreibern eine ganz neue Verantwortung zu“, sagt er im Gespräch mit ERNEUERBARE ENERGIEN (Seite 27). Die Regelung stammt aus dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz von 2019. Sie sieht vor, dass Netzbetreiber aufgrund ihrer Lastflussberechnungen am Vortag wie bisher nur Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen ab Oktober auch Anlagen der Windkraft und Photovoltaik (PV) bei absehbarem Stromüberschuss ihre Leistung reduzieren lassen. Der Netzbetreiber muss den entgangenen Ausfall entschädigen. Um die neue Veranwortung technisch und zugleich wirtschaftlich gut zu bewältigen, kann der Direktvermarkter mit mehreren Abrechnungs- und Bilanzierungsmethoden jonglieren.

Vattenfall ist mit rund 6.000 Megawatt (MW) betreuter Erzeugungsleistung einer der größten Direktvermarktungsdienstleister für Erneuerbare-Energien-Anlagen. Außer auf Standard-Handel im kurzfristigen Spot- und Reservemarkt konzentriert sich der schwedische Versorger auf den Abschluss langfristiger Stromlieferverträge: Mit Green Corporate Power Purchase Agreements (CPPA) versorgt Vattenfall seine Industriekunden mit Liefermengen zu einem fest vereinbarten gemäßigten Preis, was diese langfristig gegen Kostensteigerungen absichert. Hinzu kommen Greenfield-PPA für neue PV-Freiflächenanlagen, deren Projektierer damit die Ausschreibungen für die EEG-Vergütung umgehen möchten. Auch PPA für nach 20 Jahren offiziell ausgeförderte PV- oder Windenergie-Altanlagen organisiert das Unternehmen für Industriekunden – oder für den Stromvertrieb bei Vattenfall.

Die Vielfalt der PPA-Modelle ist wohl so groß wie nie: Langfristige Stromlieferverträge mit Stromversorgern von bis zu 15 Jahren, als Varianten regionale PPA oder Shortterm-PPA für ein bis fünf Jahre oder gar mit flexiblen Laufzeiten. Aber auch die Handels- und Vermarktungsformen nehmen zu: hier ein neuer Regelarbeitsmarkt, da flexible Grünstromvermarktung an kurzfristigen Spotmärkten, dort Spotmarkt-Kunden mit anteiligem Eigenverbrauch. Es sind spannende Märkte: Der 2020 eingeführte Regelarbeitsmarkt beispielsweise lässt Anlagen kurzfristig Regelenergie anbieten und liefern, wenn es gerade passt – und nur den Arbeitspreis bekommen. Sie müssen anders als im klassischen Regelenergiemarkt keine Leistung im Voraus vorhalten, die vielleicht nicht abgerufen und so nur halb vergütet wird.

Wie viele Anbieter es gibt, ist kaum allgemeingültig zu klären. Beim Mitzählen vieler Stadtwerke kommen Marktbeobachter schnell auf 50. Doch ihre Schwerpunkte sind höchst unterschiedlich.

Ebenfalls ein großer Vermarkter mit 6,6 GW im Portfolio ist die Münchner Baywa RE (Interview Seite 31). Das Unternehmen hatte 2019 das PV-Freiflächenfeld Barth V als erste subventionsfreie Solaranlage in Deutschland mit 8,8 MW Erzeugungskapazität durch ein fünfjähriges PPA abgesichert. Die Energiehandelstochter BayWa r.e. Energy Trading GmbH übernimmt hier den Strom. Mit PPAs will Baywa RE es Investoren ermöglichen, PV-Vorhaben auch außerhalb des Förderregimes und der engen vom EEG vorgegebenen Flächenkulisse zu verwirklichen. Die Flächenkulisse beschränkt die Vergütung auf Standorte bestimmter Kriterien.

Baywa RE vermarktet vor allem Windparks, aber auch jeweils mehrere 100 MW PV- und Biokraftwerke. Gemäß der 2012 eingeführten EEG-Marktprämie vergütet das Unternehmen wie andere Direktvermarkter auch den Kunden den eingespeisten Strom in der Höhe des veröffentlichten energieträgerspezifischen Monatsmarktwertes gegen eine Dienstleistungsgebühr. Zusätzlich erhalten die Anlagen- vom Netzbetreiber eine Marktprämie: Sie begleicht die Differenz zwischen dem bundesweiten mittleren Monatsmarktwert des Grünstroms und dem EEG-Vergütungssatz. Wo der Direktvermarkter bessere Preise im Grünstromhandel erzielt als der Marktwert, profitiert der Kunde von stabilen fairen Dienstleistungspreisen und der Abnahme von Risiken durch den Direktvermarkter – der beispielsweise keine oder nur geringe negative Strompreise durchreicht, wenn zu viel Wind- und PV-Strom das Stromangebot über die Nachfrage hinaus erhöhen. Bei wohl seltener höherer Risikobereitschaft und Verzicht auf Absicherung gegen Negativpreise könnten die Direktvermarkter auch etwas vom Extragewinn an die Anlagenbetreiber weiterreichen.

Wie sehr die Direktvermarkter hier gestalten können, führt auch Stadtwerke-Kooperation Trianel vor. Die Herausforderungen bei der Einhaltung der Bilanzkreistreue löst Trianel insbesondere durch Biogasanlagen, die durch ihre steuerbare Leistung hier einen wertvollen Beitrag leisten können. Insbesondere diese können an den Regelenergiemärkten teilnehmen, um Mehrerlöse zu erwirtschaften. Allerdings begrenzt die Teilnahme an den Regelenergiemärkten Biogasanlagen in ihren Möglichkeiten auch die Chancen der Intraday-Vermarktung zu nutzen. Daher hat Trianel einen eigenen virtuellen Markt für Biogasanlagen geschaffen, der den Bilanzkreisausgleich des Gesamtportfolios von Trianel managt. Der Bilanzkreis ist die vom Netzbetreiber zugewiesene Verantwortung, im eigenen Handelsbereich immer Stromerzeugung und Verbrauch auszugleichen, notfalls durch Zukauf teils teurer Regelenergie. Der virtuelle Markt von Trianel ist ein sogenanntes neuronales Netz und basiert auf Algorithmen, die fast zeitgleich entscheiden können, in welchem Markt – Spot-, Intraday-, Regelenergie- oder Trianels Bilanzkreismarkt – die jeweils besten Preise zu erzielen sind. Ein mathematisches Programm lässt diese Fahrpläne im Fünf-Minuten-Takt erstellen. Trianel verwaltet derzeit ein Direktvermarktungs-Portfolio mit rund 2,8 GW.

Mehr Flexibilität erfordert das EEG 2021 auch beim Eigenverbrauch der PV-Anlagenbertreiber. Künftig ist Eigenverbrauch selbst erzeugten Stroms beispielsweise durch Hauseigentümer nicht mehr nur bis 10, sondern bis 30 Kilowatt von der rund sechs Cent pro Kilowattstunde (kWh) hohen EEG-Umlage befreit, die zur Refinanzierung der EEG-Vergütungen dient. Doch auch Gewerbeanlagen bis 750 kW müssen nicht in die Ausschreibung, wenn sich die Betreiber für Eigenverbrauch entscheiden. Dann bekommen sie aber über den Direktvermarkter nur 50 Prozent der Einspeisung vergütet. Den Rest müssen sie verbrauchen oder speichern und auf den Eigenverbrauch 40 Prozent EEG-Umlage bezahlen.

Größter PV-Strom-Vermarkter ist Next Kraftwerke. Das Unternehmen vermarktet gemäß einer Erhebung der Energiewirtschaftszeitung Energie & Management von gut sechs GW mehr als vier GW an PV-Anlagen. Über ein großes virtuelles Kraftwerk, das verschiedene Erneuerbare-Energien-Anlagen in unterschiedlichen Regionen vernetzt und steuert, gleicht Next Kraftwerke die eigenen Bilanzkreise bestmöglich aus. Europaweit sind es rund 10.000 Anlagen. Next Kraftwerke spezialisiert sich insbesondere auf die Vermarktung von Regelenergie und den Fahrplanbetrieb für steuerbare Anlagen, wie Marketing-Managerin Verena Dubois betont: Das Unternehmen sieht sich als Spezialist für europäische Kurzfristmärkte.

Denn auch wenn die Preise hier eher sinken und negative Strompreisphasen auftreten: Risiko- aber auch chancenreich wird die Direktvermarktung durch die Preisschwankungen, die mit dem Anteil volatilen Wind- und PV-Stroms zunehmen.

Das zeigt sich auch im Geschäft mit PPA. Infolge der Corona-Pandemie war der Terminhandel von auf ein bis drei Jahre später terminierten Stromlieferpaketen 2020 eingebrochen. Futures geben die Richtung für PPA-Abschlüsse vor, auch weil die Vermarkter im Future-Handel ihre PPA-Strommengen gegen Risiken hedgen, also absichern. Nachdem die Futures 2020 infolge der Coronapandemie auf ungefähr drei Cent pro Kilowattstunde im Grundlastbereich gefallen waren, stehen sie aktuell wieder bei mehr als sechs Cent. So wird das Interesse an PPA breiter: Baywa RE überträgt diesen grünen Strom auch Stadtwerken zur Vermarktung – die können ihn auch als White-Label-Produkt beziehen und als ihr Markenprodukt verkaufen.

Stromversorger Greenpeace Energy schnürt dagegen über sein Tochterunternehmen Planet Energy (Interview siehe unten) das Produkt PPA Pro. Betreibern von Ü20-Turbinen bietet es eine Stromabnahme zum Fixpreis an. Dieser enthält einen Aufschlag für die Herkunftsnachweise, die dann Greenpeace Energy im Stromvertrieb nutzt. Ein weiterer Aufschlag wird fällig, wenn sich Planet Energy zudem die Option für eine Windparkerneuerung sichert. Die Betreiber dürfen sich am Repowering beteiligen, müssen aber kein Risiko übernehmen und erst einsteigen, nachdem die Genehmigung und der Ausschreibungzuschlag gewonnen sind.

Der erste Erfolg dieses Programms ist der Windpark Neubronn-Weikersheim. Im April vereinbarte Planet Energy die Stromabnahme von den 0,5 bis 1 MW leistenden 20 Jahre alten Anlagen in Baden-Württemberg. Betreiber ist die Naturkraft Tauber GmbH, die nun mit mehr als 100 Gesellschafterinnen und Gesellschaftern in das neue Projekt wechseln möchte: Geplant ist der Neubau mindestens einer Vier-MW-Anlage. Mit diesem und anderen PPAs will Greenpeace Energy über anlagenscharfe Herkunftsnachweise den Windstromanteil für die eigenen Stromkundinnen und Stromkunden von schon 40 auf 50 Prozent erhöhen.

Foto: next kraftwerke

Next Kraftwerke nennt sich „einer der wenigen Spezialisten für europäische Kurzfristmärkte“ – mit mehr als 10.000 vernetzen Anlagen im virtuellen Kraftwerk.

Foto: next kraftwerke

Next Kraftwerke nennt sich „einer der wenigen Spezialisten für europäische Kurzfristmärkte“ – mit mehr als 10.000 vernetzen Anlagen im virtuellen Kraftwerk.
Baywa RE, Tel. 0341/308606-00 und 089/383932-5703Greenpeace Energy/Planet Energy, Tel. 040/808110-770Next Kraftwerke, Tel. 0221/82008570Trianel, Tel. 0241/41320-424Vattenfall, Tel. 040/24430-559

Foto: next kraftwerke


Baywa RE, 
Tel. 0341/308606-00 und 089/383932-5703
Greenpeace Energy/Planet Energy, Tel. 040/808110-770
Next Kraftwerke, Tel. 0221/82008570
Trianel, Tel. 0241/41320-424
Vattenfall, Tel. 040/24430-559
Was passt auf Ihr Projekt am Besten: Handelsoptimierung im Fünfminutentakt wie hier bei Trianel für Biogas­verstromung oder Vereinbarung fester Liefermengen sowie alternativ der Lieferung allen in einem bestimmten Zeitraum erzeugten Stroms durch Power Purchase ­Agreement?

Foto: Trianel

Was passt auf Ihr Projekt am Besten: Handelsoptimierung im Fünfminutentakt wie hier bei Trianel für Biogas­verstromung oder Vereinbarung fester Liefermengen sowie alternativ der Lieferung allen in einem bestimmten Zeitraum erzeugten Stroms durch Power Purchase ­Agreement?
Alt-Windpark-Strom aus Uetersen für Greenpeace Energy: Die örtlichen Bürger Karl-Heinz Schlüter(vorn) und Thorsten Berndt freut der Abschluss des Stromliefervertrags. Im Sommer soll eine Bürgergenossenschaft zur Beteiligung am geplanten Repowering entstehen, das 2023 abgeschlossen sein soll.

Foto: Thorsten Berndt - Greenpeace Energy

Alt-Windpark-Strom aus Uetersen für Greenpeace Energy: Die örtlichen Bürger Karl-Heinz Schlüter(vorn) und Thorsten Berndt freut der Abschluss des Stromliefervertrags. Im Sommer soll eine Bürgergenossenschaft zur Beteiligung am geplanten Repowering entstehen, das 2023 abgeschlossen sein soll.

PPA-Vielfalt

Stromlieferverträge (Power Purchase Agreements (PPA)) sichern oft langfristig für zehn Jahre Abnahmemengen zugunsten des Grünstromproduzenten und Strompreise für den Stromkunden ab. Es gibt Varianten: Corporate PPA, Greenfield-PPA, Short PPA (ein bis fünf Jahre) oder PPA mit Repowering.

Eigen­verbrauch

kombiniert mit Direktvermarktung wird nach der Reform des EEG 2021 wohl an Bedeutung gewinnen. Eigenverbrauch ist nun bei Photovoltaikanlagen bis 30-Kilowatt von der Zahlung der EEG-Umlage befreit, Betreiber von Anlagen bis 750 Kilowatt können den Strom jeweils zur Hälfte für Eigenverbrauch und zur Direktvermarktung nutzen.

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