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Wie die Wartung kreativ und gut bleibt

„Akteursvielfalt“ ist ein bei Wirtschaftsverbänden und in der Politik gerne benutzter Begriff. Er benennt eine Struktur, die einzelnen Unternehmen in einer Branche nicht zu viel Gewicht verleiht und das gesamte System stabiler und widerstandsfähiger macht. Diese Widerstandsfähigkeit benötigt auch der Wind-Servicemarkt, um eine gesunde Wettbewerbsdynamik aufrecht zu erhalten sowie hohe Servicequalität und ein angemessenes Preisniveau sicherzustellen. Nur so kann der Service die wichtige Aufgabe, die ihm in der globalen Energiewende zukommt, erbringen.

Nachfrage nach Vollwartung nimmt zu

Die Erneuerbare-Energien-Märkte sind je nach Land unterschiedlich aufgestellt. Im Servicemarkt hat vor allem die Betreiberstruktur Einfluss. Wenige große Betreiber bewirken wie in Spanien oder den USA eine größere Marktmacht dieser einzelnen Akteure, die sich in einem größeren Hebel in Beschaffung und im Service äußert. Eine Vielzahl kleinerer Betreiber oder auch Betreiber ohne technisches Personal, wie zum Beispiel Fonds und Versicherungen, sind gegenüber den Herstellern der Windenergieanlagen, auch OEM – Original Equipment Manufacturer – genannt, in einer schwächeren Position. Um die Betreiber möglichst langfristig zu binden und verlässliche Einnahmequellen zu sichern, versuchen OEM hier den Anlagenkauf direkt mit dem Wartungsvertrag zu kombinieren. Weltweit setzen OEMs dabei verstärkt auf langjährige Vollwartungsverträge. Eine Service-Preis-Studie aus 2021 von Bloomberg NEF kommt zu dem Ergebnis, dass seit 2015 bei Anlagenkaufs-Verträgen, die einen Servicevertrag beinhalteten, die Laufzeiten kontinuierlich zugenommen haben. 2021 hatten bereits 60 Prozent aller Verträge aus einer Vergleichsgruppe aus verschiedensten Betreibern einen Servicevertrag von zehn Jahren und länger. Hierbei wurden sowohl Europa, Nord- und Lateinamerika sowie Asien berücksichtigt.

Diese Entwicklung führt zu einer Veränderung der Marktstruktur und hat große Auswirkungen auf den Servicemarkt. Die OEMs erkennen unterschiedliche Margenpotenziale von Verkauf und Service und streben zugleich mit den längeren Laufzeiten ein erweitertes Einsatzfeld an. Hierbei verrät jeder Jahresbericht der großen OEMs, dass die Margen im Servicemarkt sehr viel einträglicher sind als im reinen Anlagenverkauf.

Zu wenig Wettbewerb führt zu In-Sourcing

Viele Betreiber von Anlagen, wie beispielsweise Fonds, Versicherungen und Stiftungen, bevorzugen Vollwartungsverträge, da sie eine umfassende Betreuung und eine sichere Anlagenverfügbarkeit gewährleisten. Aber auch kleinere Betreiber ohne eigenes technisches Knowhow greifen weiterhin auf diese Angebotsform zurück. Die Betreiber können sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, während sich Servicedienstleister, wie Hersteller und ISP (Independent Service Provider / Unabhängiger Service-Dienstleister), um die Wartung und Instandhaltung kümmert. Mit der steigenden Anzahl installierter Anlagen wird der Anteil solcher Verträge weiter zunehmen. Bei der Deutschen Windtechnik zum Beispiel sind schon 75 Prozent der Verträge Vollwartungsverträge. Tendenz steigend.

Große Energieversorger versuchen immer wieder den Fängen zu entkommen und investieren in eigenes Knowhow. Sie streben Self-Performance – den Aufbau eigener Wartungsdienstfähigkeiten – oder In-Sourcing an, um den Kostenblock Wartung besser unter Kontrolle zu bringen und einer langjährigen Abhängigkeit zu entgehen. Eine Studie von Wood Mackenzie von 2021 geht davon aus, dass der mangelnde Wettbewerb im Servicebereich großer Offshore-Anlagen, ein Bereich in dem traditionell sehr wenig ISPs den Turbinen-Service übernehmen, das In-Sourcing beschleunigt.

Obwohl das Bundling von Anlagenkauf und Wartungsvertrag scheinbare ökonomische Vorteile bieten kann, enthält es auch neue Herausforderungen.

Akteursvielfalt ist enorm wichtig

Die grundsätzliche Unabhängigkeit von den Windturbinenbauern im Service ist wichtig: Ob Fuhrländer, Senvion, Bard, Powerwind, Dewind – die Liste der in den vergangenen 30 Jahren verschwundenen Anlagenhersteller (allein in Deutschland, aber auch global) ließe sich beliebig fortsetzen. Kunden von insolventen OEMs sind auf unabhängigen Service angewiesen. Derzeit gibt es nur noch wenige Hersteller auf dem Markt. Ein weiteres Einschmelzen der Akteursvielfalt kann im Hinblick auf die Mammutaufgabe Energiewende niemandes Interesse sein. Schon heute gibt es in Europa neben Vestas, Siemens Gamesa, Enercon, GE und Nordex keine wirklich relevanten Hersteller mehr. Eine weitere Konzentration von Windenergieanlagen-OEMs könnte zu nachteiligen Strukturen des Servicemarktes führen. Oligopole können Innovationen einschränken und Wettbewerb behindern.

Um langfristig erfolgreich zu bleiben, müssen OEMs daher auf eine ausgewogene Marktpositionierung achten. Sie sollten den Fokus auf das Produkt nicht verlieren und keine Quersubventionierung anstreben. Sie sollten ein originäres Interesse an einem starken Markt haben, der zudem Ausbildung in Zeiten des Fachkräftemangel stützt. Insbesondere mit zunehmenden Anlagenalter geraten die Anlagen oftmals aus dem Fokus der OEMs. Dies Lücke müssen zumeist ISPs zwingend schließen.

Problematisches Bundling

Obwohl das Bundling von Anlagenkauf und Wartungsvertrag scheinbare ökonomische Vorteile bieten kann, enthält es auch neue Herausforderungen. Im täglichen Geschäft erleben wir oft Szenarien, in denen Servicekunden sich der Tragweite ihrer Entscheidung erst nach mehreren Jahren bewusst werden. Hierbei ist nicht immer nur die Laufzeit des Servicevertrages das Problem. Auch ungeklärte Fragestellungen hinsichtlich Software-Zugängen oder geistigem Eigentum drängen sich dann mehr und mehr auf.

Es ist nicht auszuschließen, dass mit zunehmender Marktmacht der verbleibenden OEMs zukünftig Wettbewerbs- oder Regulierungsbehörden eingreifen werden. Insbesondere, wenn zunehmende Konzentration zu unfairen Geschäftspraktiken führen sollte. Kunden nehmen darüber hinaus bewusst künftige Einbußen in Kauf, um das aktuelle Risiko eines Betriebsausfalles zu minimieren. Der Zeithorizont von 20 bis 25 Jahren ist viel zu lang, um sich festzulegen. Laut Bloomberg NEF sind heute beinahe 80 Prozent aller Neu-Verträge mit einem preissteigernden Mechanismus ausgestattet. Dieser erhöht den Servicepreis über die Jahre hinweg exorbitant. In vielen Fällen handelt es sich hierbei nicht um eine an Verbraucher- oder Industriepreise gekoppelte Teuerung, sondern um Step-Ups, die den Wartungspreis nach vereinbarten Jahren erhöhen. Eine vermeintlich einfache und günstige Anfangslösung kann schnell zum kostenintensiven Erlebnis ohne Ausstiegsklausel werden.

Zusammenfassung

Die Angebotsoffensive der Hersteller für Vollwartungsverträge beeinflusst den Servicemarkt nachhaltig. Während die Nachfrage nach solchen Verträgen hoch ist, müssen Herausforderungen wie das Bundling von Anlagenkauf und Wartungsvertrag, suboptimale Marktstrukturen und Lieferkettenprobleme angegangen werden. Eine resilientere Marktwirtschaft, unterstützt durch ein branchenweites Verständnis, ist der Schlüssel zum erfolgreichen Servicemarkt.

Ole Becker
Projektmanager, Deutsche Windtechnik

Foto: Deutsche Windtechnik

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