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Interview mit GWEC-Generalsekretär

"Südamerika wächst mittelfristig am meisten"

ERNEUERBARE ENERGIEN: Der US-Kongress verlängerte kurz vor Weihnachten eine viel beschworene Subventionsregel, den Passus Section 1603, um ein weiters Jahr: Sie gewährt neuen Windfarmen Zuschüsse um bis zu 30 Prozent der Investitionskosten anstelle steuerlicher Absetzung. Wie wichtig ist diese Last-Minute-Entscheidung der Mitglieder des Parlaments?

Sawyer: Ich weiß nicht, wie sehr die Entwicklung der Windenergie in den Vereinigten Staaten dadurch ansteigt. Auf jeden Fall wird ein weiterer Rückgang vermieden. Die generellen wirtschaftlichen Bedingungen sind immer noch das größte Fragezeichen vom Standpunkt der sich immer noch sehr langsam erholenden Wirtschaft aus betrachtet. Es gibt derzeit nur ein sehr kleines beziehungsweise gar kein Nachfragewachstum in der Binnenökonomie der USA und Energiebrennstoffe sind immer noch relativ günstig, wie die Terminpreise für Erdgas zeigen. Und schauen Sie nur auf den Mangel an gesamtstaatlichen Standards in der Klimapolitik, dann sehen Sie: Die Entwicklung wird in erster Linie immer noch von den Initiativen der Einzelstaaten angetrieben. Hierzu gibt es gute Nachrichten, denn Kalifornien verabschiedete kürzlich unter ihrem neuen Gouverneur Jerry Brown ein Gesetz für ein neues Emissionshandelssystem. Dies könnte, abhängig davon wie gut es gelingt und wann es beginnt, anfangen einen Einfluss auf einige Staaten zu haben. Auch wenn wir in Europa gesehen haben, dass eben dieses Handelssystem bis jetzt fast gar nichts veränderte. Aber auch hier hoffen die Europäer ja noch, dass es in Zukunft noch wirken wird.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Also kehrt die US-Windbranche auf Sicht nicht zurück zu einer stabilen Kapazität von zehn Gigawatt jährlicher Neuinstallationen, welche der Markt eigentlich leisten könnte?

Steve Sawyer: Eine Eigenschaft des US Marktes ist es, dass er niemals stabil gewesen war, weil er noch nie langfristig angelegt war. Bei einer langfristigen Auslegung politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen könnte er sich auch bei 20 GW oder mehr stabilisieren – oder nur bei drei Gigawatt, je nach den Rahmenbedingungen eben.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Wachstum bei den Neuinstallationen konnte 2010 in bedeutendem Maße für den globalen Markt der Windkraftbranche fast ausschließlich China verzeichnen und darüber hinaus einige mehr oder weniger wichtige neue Windenergieländer. Welche dieser Neulinge werden möglicherweise ernstzunehmende Größen?

Steve Sawyer: China und Indien, welche hauptsächlich für das Wachstum des Marktes 2010 verantwortlich sind, erlebten 2010 ein sehr gutes Jahr. Europa wird hingegen sehr konstant geblieben sein, dank Türkei und Großbritannien. Die Windenergieregion mit dem mittelfristig größten Wachstum wird aber Südamerika sein, mit dem Hauptmarkt in Brasilien. Dort gibt es mittlerweile eine Fünf-Gigawatt-Pipeline für die nächsten drei oder vier Jahre. Doch gibt es auch das erste Mal seit über einem Jahrzehnt Bestellungen in Argentinien, in Uruguay findet eine Auktion statt und hoffentlich der letzte Schliff an Chiles neuer Gesetzgebung wird hoffentlich dazu beitragen, etwas des Potenziales dieses Marktes auszuschöpfen. In Mexiko gibt es wieder eine 2400-MW-Pipeline. Die Mexikaner hoffen, dass sie diese erweitern können mit der Einigung im Land, eine neue Übertragungsleitung aus Oaxaca im Süden zu verlegen. Allerdings gibt es immer noch keine langfristigen Marktentwicklungsaussichten in Mexiko.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Nordafrikanische Staaten und einige der neuen asiatischen Windenergieländer aber spielen gar keine Rolle in Ihren Marktbetrachtungen?

Steve Sawyer: Es gibt nun einige Möglichkeiten auf den Philippinen, die Gesetzgebung dort ist zumindest auf dem richtigen Stand. Aber sie haben ihre Einspeisetarife immer noch nicht bekannt gegeben, obwohl dies seit dem Juni des letzten Jahres versprochen wurde. Ich denke, der Markt wird kein sehr großer sein, aber ein substanzieller. Vietnam beginnt als Windkraftland ein wenig zu wachsen, die koreanischen Unternehmen setzen einen Fuß ins Geschäft, aber vor allem außerhalb ihres Landes. Die Südkoreaner arbeiten derzeit in Kanada und auch schon in anderen Ländern. Und ja, darüber hinaus gibt es wenigstens einen Plan, die Offshore-Windenergie in Südkorea auszubauen, aber dieser dürfte in den nächsten paar Jahren nicht in die Tat umgesetzt werden. Kleinere Märkte starten zudem wie insbesondere in Thailand, Australien wächst angemessenen und stabil heran, was momentan auf nichts Spektakuläres hinaus läuft, aber es könnten dort mittelfristig Neuinstallationien von 500 MW im Jahr sein.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Gibt es immer noch weiße Flächen auf der Windenergie-Weltkarte, die aber das Potenzial für bedeutende Windregionen hätten?

Steve Sawyer: Ich sehe insbesondere zwei Regionen, die aktiv in dem Vorhaben beteiligt sind, ihre Entwicklung als Windenergieländer voranzutreiben. Die eine davon ist Südafrika. Laut einer Nachricht der letzten Woche könnte der staatliche Energieversorger und Netzbetreiber Eskom bald soweit sein, die so genannten Power Purchase Agreements zu unterzeichnen – also die vertragliche Zusicherung an Windparks, bestimmte Strommengen über das Eskom-Netz abzunehmen. Es könnte am Ende des ersten Quartals oder zu Beginn des zweiten im aktuellen Jahr 2011 soweit sein. Ich glaube es allerdings erst, wenn ich es selber gesehen habe. Fakt ist jedoch: Es gibt Zehntausende MW Potenzial in Südafrika, der Bedarf an Elektrizität steigt. Es herrscht Energie-Erzeugungsknappheit, der Reservespielraum im südafrikanischen System ist sehr klein. Sie könnten ihre großen Kreditlinien bei der Weltbank kürzen, mittels derer kohlebefeuerte Kraftwerke gebaut werden sollen. Aber an das Weltbankprogramm angeschlossen war auch etwas Geld für die Entwicklung der erneuerbaren Energien und das Bekenntnis, einige Windressourcen zu entwickeln. Hoffentlich wird dieser Prozess bald verwirklicht.

Aber die größte Fläche auf der Landkarte ist ganz klar Russland. Die Gesetzgebung ist hier abgeschlossen, die Bestimmungen wurden bereits 2007 eingeführt. Trotzdem sind einige wichtige Dinge ungeklärt geblieben, vor allem der Preis für den Windenergiestrom. Ich war im November in Moskau, auf der Konferenz des russischen Windenergieverbands, wo man sich sehr optimistisch gab. Das lag nicht nur am offiziellen Moskauer Ziel, dass bis 2020 der Anteil der erneuerbaren Energien auf sieben Prozent gesteigert werden soll. Es wäre dies kein sonderlich hoher Prozentsatz, aber eine enorme Menge an MW. Weitaus interessanter sind jedoch die mittlerweile teilprivatisierten Unternehmen des großen russischen Staats. Beispiel Rosatom: Ein Unternehmen, das Nuklearfabriken führt und jetzt eine Abteilung für erneuerbare Energien geschaffen hat. Und dessen für die Fertigung von Energieanlagen zuständiges Tochterunternehmen ist ganz gezielt auf Einkaufstour in Sachen Windenergie-Technologiepartner. Es will hier ein bedeutender Hersteller werden. Diese halbstaatlichen Akteure dürften alles dafür tun, einen heimischen Markt zu errichten, um die anfängliche Entwicklung zu unterstützen. Und ganz offensichtlich gibt es eine starke Unterstützung des russischen Präsidenten Medwedew, die sein erwarteter Nachfolger Wladimir Putin aber nicht zeigt. So haben die Windenergieaspiranten das Ziel, ihre Pläne fertig zu bekommen, bevor Medwedew wieder aus dem Kremlbüro auszieht und Putin wieder Platz macht.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Die ersten Unternehmen der Windenergieindustrie versuchen bereits, einen Fuß in diesen Markt zu setzen. Aber es scheint noch nicht zu einer größeren Bewegung geworden zu sein …

Steve Sawyer: Sobald das Signal kommt und die Gesetzgebung soweit ist, kann es sich niemand mehr leisten, diesen potenziellen Markt zu ignorieren.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Endet dieses Kolonisationsland für Windenergie an den Grenzen Russlands?

Steve Sawyer: Nun, vergessen Sie nicht die Ukraine und die anderen früheren Sowjetrepubliken im Süden Russlands. Man möchte meinen, die Ukraine wäre der am meisten logische Markt darin, sich der russischen Entwicklung anzuschließen. Alleine deshalb, dass das Land nicht auf einem Haufen Erdgas sitzt und seinen ganz eigenen langjährig dokumentierten Energiemangel hat. Ich denke aber, das sehr polarisierte Land muss sich politisch erst ein wenig stabilisieren, bevor es hier Investitionen in Windenergie gibt. Im Wege stehen hier immer noch die großen politischen Differenzen zwischen der westlichen sowie der östlichen Hälfte der Ukraine.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Wo werden noch die größten Hürden und Beschränkungen für neue Installationen im Jahr 2011 liegen?

Steve Sawyer: Es ist von Markt zu Markt unterschiedlich. Es wird sicherlich keine Lieferengpässe von Komponenten oder Windturbinen geben. Ich erwarte eine anhaltende relative Schwäche in den traditionellen Märkten – in Europa wie in Nordamerika. Europa wird kontinuierlich aber langsam wachsen. Ich denke, das größte Hindernis in der Beschleunigung des Wachstums ist der Mangel eines stabilen Unterstützungssystems in den USA und Kanada. Wir haben schon jetzt eine Überversorgung des Marktes bei den industriellen Kapazitäten der Windturbinenhersteller. Alleine in China wird es Ende des Jahres 30 GW Herstellerkapazität geben, zwölf oder 15 GW in Europa, fünf oder zehn in den USA und vier oder fünf in Indien. So hat man 55 oder 60 GW weltweite Herstellerkapazität aber bis jetzt keinen Markt dieser Größe. Wir können zwar nie wissen, wie schnell China letztendlich weiter wächst. Doch haben die Chinesen dieses Jahr ihre installierte Leistung längst nicht noch einmal verdoppeln können, ein Zuwachs von etwa 20 Prozent kam wohl heraus. Aber wie viel weiter der Windenergiemarkt China überhaupt wachsen kann, wie schnell sie dort das Übertragungsnetz ausbauen können, um den Strom abzutransportieren, bleibt eine offene Frage. Die Chinesen haben nicht die gleichen gesetzlichen Beschränkungen, die in Europa oder Nordamerika für den Bau von Überlandleitungen herrschen, aber man muss realistischerweise noch die Pläne im Auge haben, die die Netzunternehmen hier in Sachen traditioneller Übertragungsleitungen sowie hochmoderner Gleichstrom-Hochspannungstrassen überhaupt gemacht haben. Es gibt keine Zweifel, dass die zukünftige Entwicklung langsamer vorangehen wird als die derzeitige.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Welche Länder werden 2011 als ernstzunehmende Herstellernationen in den Windenergiemarkt eintreten?

Steve Sawyer: Brasilien ist hier erneut das Hauptland, wo dieses wie nächstes Jahr neue Fertigungen an den Start gehen werden. Wir wissen von Gamesa, Alstom, Vestas und Suzlon …. Und es werden sicherlich neue Fertigungsstandorte in China und Indien eröffnet, freilich ist dies nur Teil eines fortlaufenden Prozesses und nichts Neues. Es gibt bis jetzt noch keine Pläne, die für Mexiko bekannt gegeben wurden. Wir hoffen, dass innerhalb der nächsten zwölf Monate etwas passiert, aber wir glauben, dass es wohl eher noch 24 Monate sind, bevor die mittelfristige Aussicht für die Windenergie dafür im Land geklärt ist. Und es gibt jede Menge Hersteller, die am südafrikanischen Markt interessiert sind, sobald diese ihre Einspeisepreise bekanntgeben sollten.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Für die westliche Windkraftindustrie bleibt das Problem, dass Peking weiterhin keinen freien Zugang um chinesischen Markt gewährt …

Steve Sawyer: Nun, ich weiß für die Windenergie von überhaupt keinem freien Markt. Es ist ja kein Geheimnis, das es Gründe für Suzlons Übergewicht im indischen Markt gibt und dafür, dass Gamesa in Spanien dominiert. Und in Dänemark werden sie keine Turbine finden, die nicht in Dänemark produziert worden ist. GE wiederum hat den Löwenanteil im US-Markt. Sie finden nicht zu viele Windenergieanlagen von Vestas in Deutschland, die nicht in Deutschland produziert worden sind. Dieses Phänomen ist nicht auf China begrenzt. Dennoch wächst das Volumen der Verkäufe von Vestas, Gamesa, Suzlon und GE in China jährlich, welche hier die wichtigsten nichtheimischen Akteure sind. Auch wenn zugleich ihr Marktanteil anhaltend schrumpft. Ich denke aber, dass sich das Blatt im Moment wendet und diese Marktanteile nun auch nicht mehr zurückgehen werden.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Lassen Sie es mich so formulieren: Chinas Windturbinenhersteller bekommen im globalen Geschäft das größte Stück von der Torte ab, sie wachsen am schnellsten – schon fast allein dank ihres gigantischen und von ihnen dominierten Heimatmarktes. Wie lange aber ist für die westlichen Hersteller Wachstum noch möglich – in einer Situation, in welcher eine Menge neuer Länder erschlossen werden, aber weiteres Wachstum des europäischen Marktes und des US Marktes nicht prognostiziert werden kann? Wie lange können Europas traditionelle Windturbinenbauer weiterwachsen, indem sie weiße Flächen füllen?

Steve Sawyer: Bei weiterem zurückhaltendem Wachstum in Europa und der weiterhin ungewissen Situation in den USA – selbst wenn der chinesische Markt derzeit sich mehr öffnet: Kurzfristig wird es da kein bedeutendes Wachstum geben. Das einzige Land, von dem ich glaube, dass es wirklich bedeutsam wächst 2011, wird Brasilien sein. Das wird das fehlende Wachstum Nordamerikas nicht ausgleichen, zumindest nicht kurzfristig. Erst mittelfristig werden Regionen wie Südamerika insgesamt und natürlich Mexiko substantielle Märkte darstellen.

Das Interview führte Tilman Weber