Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Tiger ohne Hinterland

Nationale Unabhängigkeit, Demokratie, Wohlstand für das ganze Volk: Diese Maxime stammt nicht von Oliver Cromwell, dem Vater des englischen Parlamentarismus. Sie kam auch nicht von Thomas Paine oder Benjamin Franklin, den Autoren der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Es sind die drei Prinzipien des modernen China, wie sie Sun Yat-Sen vor hundert Jahren verkündete, der Gründer der Kuomintang und erste Präsident der jungen Republik. Unter den Roten Garden als Unperson verdammt, wird er heute von den Bossen in Peking, Hongkong und Shanghai als Vater der weltgrößten Tigernation verehrt.

Leicht zu unterschätzen

Man erzählt, Sun Yat-Sen sei ein kleiner, unscheinbarer Mann gewesen, den man leicht unterschätzte. Diese Beschreibung passt auch auf Zhengrong Shi, den Gründer und Chef von Suntech. Suntec ist der weltgrößte Hersteller von Solarmodulen aus kristallinem Silizium. Shi gebietet über 10.000 Mitarbeiter, er residiert im obersten Stock eines Büroturms in Shanghai. Soweit das Auge reicht: Wolkenkratzer, Leuchtreklame und die glühenden Würmer der Autokolonnen in den tiefen Schluchten dieser kochenden Metropole. „2010 haben wir Solarmodule für 1,8 Gigawatt produziert“, berichtet Shi leise. „Alle chinesischen Hersteller zusammen erzeugen mehr als vier Gigawatt. Man kann sagen, jedes zweite Solarmodul auf der Welt stammt aus unseren Fabriken.“ Nach Berechnungen der Marktforscher von iSupply wollen die sieben größten chinesischen Hersteller ihre Kapazitäten im Jahr 2011 auf 6,4 Gigawatt aufpumpen.
Die schwindelerregende Höhe scheint der richtige Ort für schwindelerregende Zahlen, und von der schweißtreibenden Schwüle über der Küste ist in den klimatisierten Büros nichts zu spüren. Shi fährt fort: „Suntech hat in China vier Fabriken. In Arizona haben wir unlängst ein neues Werk eröffnet. Unsere Strategie lautet Kostensenkung durch Massenproduktion plus Innovation.“
Sein Englisch ist südlich eingefärbt. Kein Wunder, war er doch der Musterschüler von Professor Martin Green in Sydney, dem australischen Solarpapst. „2009 und 2010 hatten wir in Deutschland einen Marktanteil von 20 Prozent“, sagt Shi. „In diesem Jahr wird der deutsche Markt schrumpfen. Ich erwarte zwischen drei und vier Gigawatt gegenüber sieben oder acht Gigawatt 2010.“ Shi ist selbstbewusst, ohne zu prahlen. Er weiß, auch wenn er es nicht offen sagt: Der erwartete Einbruch im deutschen Markt wird ihm und den anderen chinesischen Modulherstellern – Yingli, Trina, Chaori, Ja Solar und wie sie alle heißen – schwer zu schaffen machen.

Der Wind dreht sich

Der deutsche Solarmarkt war es, der den Chinesen die Solarfabriken schenkte. Mit Hilfe von billigen Arbeitskräften bauten sie innerhalb weniger Jahre riesige Modulwerke auf. Billige Arbeit erlaubte geringe Produktionskosten, und mit diesem Preisvorteil knackten die Chinesen den deutschen Markt. Insgesamt hielten sie 2010 mehr als 50 Prozent Marktanteil, also stammte auch jedes zweite Solarmodul in Deutschland aus den Modulschmieden im Reich der Mitte. Suntech verkaufte zwischen Nordsee und Alpen fast anderthalb Gigawatt. Das sind mehr als zwei Drittel seiner gesamten Produktion.
Und nun? Nun dreht sich der Wind. Zumindest im ersten Quartal drohen enorme Überkapazitäten. Derzeit bieten Solarfun, Trina und Yingli ihre Module für 1,55 bis 1,61 Euro je Watt an. Diese Ware stapelt sich bereits in deutschen Lagern.
Bis April sind weitere Lieferungen angekündigt, mit Preisen um 1,40 Euro je Watt. Suntech verlangt knapp unter 1,50 Euro je Watt, Lieferzeit 35 Tage. Europachef Jerry Stokes hatte schon im Herbst angekündigt, dass das Unternehmen seine Preise nicht senken wolle. Möglicherweise war er etwas vorschnell. „Suntech wird lernen müssen, dass sie um Preissenkungen nicht herumkommen“, sagt Georg Stiens, Chef von Stiens Solartechnik in Kaufungen bei Kassel. 2010 hat er ein Fünftel seines Umsatzes von 80 Megawatt mit Modulen von Suntech gemacht. „Wir werden keine Suntech-Module mehr verbauen“, sagt Stiens klipp und klar. „Andere Hersteller signalisieren schon Bereitschaft, mit den Preisen runterzugehen. Ich fliege demnächst nach China und Korea, um Ware einzukaufen.“

Der Preis entscheidet

Matthias Fawer von der Sarasin Bank in Basel analysiert in seinem jüngst veröffentlichten Report zum weltweiten Photovoltaikmarkt: „Im ersten Quartal 2011 steigt der Preisdruck deutlich an. Wir erwarten künftig eine weitere Preissenkung von zehn bis 20 Prozent pro Jahr.“
Über der Skyline von Shanghai liegt weißer Dunst, den ein lauer Hauch vom chinesischen Meer an die Küste treibt. Keine Metapher für die dunklen Wolken, die sich über der chinesischen Solarbranche ballen. Natürlich weiß Zhengrong Shi, dass es schwieriger wird, in Deutschland Module zu verkaufen – viel schwieriger. Suntech hat deshalb ein Partnerprogramm für Händler und Installateure aufgelegt, um sie ab Januar stärker an das Unternehmen zu binden. Aber, wie Matthias Fawer bestätigt, „der Wettbewerb wird in wachsendem Umfang über den Preis ausgefochten.“ Er rät: „Die Zellen- und Modulhersteller müssen in erster Linie ihre Kosten senken, um konkurrenzfähig zu bleiben.“ Genau dieser Trend raubt der chinesischen Solarindustrie ihren wichtigsten Anfangsvorteil: den Faktor der billigen Arbeit.
Vor wenigen Jahren waren billige Arbeitskräfte in China so zahlreich und leicht zu finden wie Sand im Delta des Jangtse. Bisher beträgt der Lohnkostenvorteil der Chinesen gegenüber Europa rund 0,25 US-Dollar je Watt. „Arbeit ist ein Problem, weil sie auch in China immer teurer wird“, gibt Shi zu. „Und es wird immer schwieriger, qualifiziertes Personal zu finden.“ Shi ist ein alter Hase. Ihm ist nicht entgangen, dass die manuelle Arbeit in der Photovoltaikindustrie ohnehin keine Zukunft hat. Die Produktion der Zellen und Module läuft zunehmend automatisiert, also fällt der Kostenfaktor Arbeit nahezu aus. Als Ende 2008 der spanische Markt einbrach, musste Shi schon einmal Linien stilllegen und Leute entlassen. Das sehen die Herren in Peking oder von der Zentralregierung in Wuxi nicht gern. Die junge Solarbranche hat eine klare Aufgabe: möglichst viele Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Suntech wurde 2002 mit einem Kredit von sechs Millionen US-Dollar aus der Schatulle der Provinzbehörden in Wuxi gegründet, wo heute noch das größte Werk des Unternehmens steht.
Zwar ist Suntech seit 2005 privatisiert, aber die meisten anderen chinesischen Hersteller von Solarzellen und Modulen sind quasi Staatsbetriebe. Nur Industriearbeiter haben in China so etwas wie eine Krankenversicherung. Nur sie können es sich leisten, in einem Wohnheim unterzukommen oder gar eine eigene Wohnung zu kaufen. Auf der Solarindustrie lasten gewaltige Hoffnungen für die soziale Entwicklung des Riesenlandes. Das riesige Probleme hat: 80 Prozent der Bevölkerung, sprich
1,1 Milliarden Menschen, sind bitterarme Kleinbauern. Der Bauboom in den Metropolen wie Shanghai, Wuxi oder Hongkong zieht jedes Jahr Zigmillionen Wanderarbeiter an. Zugleich schnellen die Preise für Lebensmittel und Immobilien in astronomische Höhen. Abseits der Wolkenkratzer wuchern die Slums. China ist der moderne Staat von Sun Yat-Sen. Aber wagt einen gewaltigen Spagat: Mit einem Bein steht es noch im Mittelalter.

Zwei Asse im Ärmel

Gegenüber anderen Herstellern hat Zhengrong Shi ein starkes Ass im Ärmel: Suntech hat seine gesamte Fertigungstechnologie selbst entwickelt. Zwar laufen in den Hallen von Wuxi moderne Maschinen von Centrotherm und Roth amp; Rau. Aber die nächste Runde im technologischen Wettlauf um die höchsten Wirkungsgrade und die geringsten Kosten fährt Suntech ausschließlich mit eigenem Equipment. Die neuen Pluto-Zellen werden auf Anlagen der Firma Kutler gefertigt, die Shi seinem Konzern einverleibt hat. Und Shi hat mindestens noch ein weiteres Ass in der Hinterhand: seinen Technikchef Stuart Wenham. Der Australier begann seine wissenschaftliche Karriere 1980 in Martin Greens legendären Solarlaboren in Sydney. Er stand schon an Shis Seite, als der Chinese zwischen 1995 und 2001 noch bei Pacific Solar mit Dünnschicht experimentierte. 2005 kam er nach Wuxi, herrscht heute über 400 Ingenieure und Wissenschaftler in der Forschungsabteilung. Martin Green selbst ist Chefforscher bei Suntech, stellt dem Unternehmen seine Labore und Studenten zur Verfügung.
Die Einführung der Pluto-Zellen ist für Suntech überlebenswichtig. In der vollautomatischen Fertigung spielen Arbeitskosten kaum eine Rolle. So ergibt sich der Vorsprung einzig und allein aus der Technologie. Yingli hat das auch erkannt: Der zweitgrößte chinesische Modulhersteller schloss Mitte 2009 eine Kooperation mit ECN in Holland. ECN ist eines der führenden Forschungsinstitute in der Photovoltaik in Europa. Seit Juni 2010 arbeitet auch Ja Solar mit dem ECN zusammen. Wenn Stuart Wenham über die neuen Pluto-Zellen von Suntech spricht, fällt jedoch kein Wort über die kleineren Konkurrenten aus China. Er hat Sunpower aus den USA im Blick. Sunpower hat seine Technik mit den Experten der Stanford Universität entwickelt. Sie packen die p-n-Junction auf die Rückseite der Zellen. Die Frontseite wird nicht metallisiert und kontaktiert, dadurch bleibt sie verschattungsfrei. Das erhöht den Wirkungsgrad. Sunpower schafft derzeit 22 Prozent Wirkungsgrad aus der Zelle, bis zu 23 Prozent sind möglich.
Der Haken an der Sache: „Die elektrische Spannung muss durch den Wafer hindurch zur Rückseite wandern“, erklärt Stuart Wenham in seinem gläsernen Office in Wuxi. „Das sind sehr lange Wege und erfordert sehr reines Monosilizium.“ Suntechs Pluto-Technik hingegen lässt sich mit multikristallinem Silizium machen. „Derzeit bieten wir zwar Module mit Mono- oder mit Polyzellen an, aber der Trend geht eindeutig zu Polysilizium.“ Wenham rechnet vor: „Zurzeit kosten die Wafer aus Polysilizium rund 80 Cent pro Watt. Bis Ende 2011 werden wir bei 50 Cent liegen.“ Das Kilogramm kostete zum Jahresende rund 60 Dollar (zirka 46 Euro).

Mit Polysilizium im Vorteil

Große Hoffnungen steckt er in den weltweiten Ausbau der Kapazitäten für Solarsilizium. Hoffnungen, die Matthias Fawer von Sarasin teilt: „2011 werden die Preise bei langfristigen Lieferkontrakten zwischen 40 und 50 US-Dollar (etwa 30 und 38 Euro) je Kilogramm liegen, die Preise am Spotmarkt bei 50 Dollar.“ Zum Jahresende liefen die langjährigen Lieferverträge von Suntech mit seinen Zulieferern aus. Nun kauft sich Shi zunehmend bei den Waferproduzenten ein, um mittelfristig 20 bis 25 Prozent des Bedarfs aus eigenen Werken zu decken. Suntech produziert alle Zellen selbst. Die Strategie ist eindeutig: „Vertikal voll integrierte Unternehmen können Fertigungskosten von einem Dollar je Watt erreichen“, begründet Shi. „Das schaffen wir in zwei Jahren.“ Der Run um möglichst hohe Wirkungsgrade schlägt sich in den Kosten nieder: Jedes Prozent mehr Wirkungsgrad in den Zellen senkt die Produktionskosten pro Watt um sechs Prozent.
Anders als Sunpower belässt Suntec bei seinen neuen Pluto-Zellen die Busbars und Finger auf der Frontseite. Aber die Kontakte werden viel feiner und enger gesetzt als bei herkömmlichen Zellen. Normalerweise erfolgt die Kontaktierung durch Silberfäden, zwischen denen ein Abstand von 150 bis 200 Mikrometer klafft. Die Leiterbahnen sind 100 Mikrometer dick. Dazu wird die Metallisierungspaste aus Silber, Blei und Cadmium in den Wafer gedrückt. Anschließend sintert die Paste bei 500 Grad Celsius aus.
Die Pluto-Zellen werden mit 20 bis 25 Mikrometer dicken Kontaktlinien strukturiert. Das bedeutet 75 Prozent weniger Verschattung, auch können die Leiterbahnen viel enger liegen. „Dadurch haben die Elektronen nur sehr kurze Wege bis zum Kontakt“, erklärt Stuart Wenham. „Der innere Widerstand und damit die elektrischen Verluste sind deutlich niedriger als bei Zellen mit herkömmlichem Siebdruck. Wir erreichen einen Zellwirkungsgrad von 19,2 Prozent.“ Suntech verwendet selektive Emitter, also eine hohe Phosphorkonzentration an den Kontaktierungen, um den Anschlusswiderstand zu senken.
Das Herstellungsverfahren von Kutler ist „so preiswert wie Siebdruck“, versichert Wenham. Zelllinien mit einer Kapazität von 500 Megawatt sind bereits auf Pluto umgestellt, 2011 will Suntech weitere 450 Megawatt umrüsten. „Mit Pluto sind perspektivisch bis zu 23 Prozent aus der Linie möglich“, gibt er einen Ausblick. „Kombiniert man diese Technologie mit speziellen Lichtfallen aus Nanoteilchen, verbreitert sich das Spektrum des nutzbaren Lichtes. Dann schaffen wir 27 Prozent.“ Außerdem ersetzt Suntech die Silbermetallisierung durch billigeres Kupfer. Die neuartige Galvanisierung (Plating) hat ihren Test in der Massenfertigung bereits bestanden.
Die neue Metallisierung ist nur zehn Mikrometer hoch. Sie wird bei 350 bis 370 Grad Celsius abgeschieden, nachträgliches Backen oder Aussintern entfallen. „Das können wir auch mit Wafern machen, die 180 Mikrometer dick sind“, erläutert der Wissenschaftler. So dünne Wafer kann man nur vollautomatisch verarbeiten. Sie sind selbst für die zarten Händchen der chinesischen Arbeiterinnen zu zerbrechlich. Das Plating wird derzeit nur auf der Vorderseite der Zellen angewandt. Bis Ende 2012 wird damit auch die Rückseite der Zellen metallisiert. „In einem bis anderthalb Jahren wollen wir dann die Wafer mit einem speziellen Verfahren hydrogenisieren, um die Defektstellen und Rekombinationen im Silizium auszuheilen“, erzählt Stuart Wenham. Das erfordert jedoch, die Wafer während der gesamten Fertigung bis zur Passivierung auf der gleichen Temperatur zu halten.

5,6 Milliarden Euro Schulden

Die Chinesen holen auf, was die Technologie betrifft. Dazu setzen sie massiv Mittel ein. Suntech erhielt 2010 ein Darlehen von 7,4 Milliarden US-Dollar (5,6 Milliarden Euro), ausgereicht durch die chinesische Entwicklungsbank. Trina nahm 4,4 Milliarden US-Dollar (3,3 Milliarden Euro) in Anspruch, Yingli 5,3 Milliarden Dollar (4 Milliarden Euro). Dieses Geld wird sehr billig verzinst, mit 1,5 bis zwei Prozent. Deutsche Hersteller müssen elf Prozent und mehr berappen, wenn sie sich Geld borgen. Denn mit Basel II als Begründung kassieren die europäischen Banken völlig ungeniert ab. Aber: Diesen Vorteil bei den Finanzierungskosten können die Chinesen nur einmal nutzen. „Wir müssen die Kredite genauso zurückzahlen wie ausländische Firmen“, sagt Zhengrong Shi. In China gibt es nur staatliche Kredite, privates Risikokapital ist nicht erlaubt. „Die staatlichen VC-Fonds sind noch konservativer als die Banken“, sagt er. „Da geht die Angst um, dass die Investition schief geht und Köpfe rollen.“
In der Tat, der Deal ist nicht frei von Risiko, wie ein Blick in die Bücher von Suntech zeigt: 2009 verzeichnete das Unternehmen einen Umsatz von 1,69 Milliarden Dollar (1,28 Milliarden Euro). Der Nettogewinn betrug 91,5 Millionen Dollar (69,5 Millionen Euro). Nun hat Suntech mehr als sieben Milliarden US-Dollar (5,3 Milliarden Euro) Schulden aufgenommen, ein Vielfaches seiner jährlichen Umsätze, von den Gewinnen ganz zu schweigen. Dagegen nehmen sich Conergys Geldprobleme aus wie Peanuts. Das bedeutet: Entweder ist Suntech in fünf Jahren gigantisch groß und erfolgreich. Oder es rollen wirklich Köpfe und in Wuxi gehen die Lichter aus.
Peking reichen großzügige Mittel aus, um die Expansion der Solarindustrie zu unterstützen. Aber Industriekredite bilden vielleicht Innovationskraft und Produktionskapazitäten, aber keinen Markt. Sie lösen das drängendste Problem der chinesischen Solarmanager nicht: Ihnen fehlt ein starker Absatzmarkt vor der Haustür. Die Schweizer Bankiers von Sarasin schätzen die neu installierte Solarleistung im Reich der Mitte im Jahr 2010 auf 377 Megawatt. Weniger als Tschechien. 2011 könnten es 778 Megawatt sein. Erst 2012 oder 2013 knacken die Chinesen die magische Grenze von einem Gigawatt pro Jahr. Ein Ausgleich für die Einbrüche in Deutschland ist das vermutlich nicht. Auch benachbarte Märkte in Asien erweisen sich als schwierig: In Indien und Japan hat chinesische Ware kaum eine Chance – aus historischen Gründen.

Viele Tiger und Drachen

Mit rasender Geschwindigkeit bauen Indien, Taiwan, die Philippinen, Südkorea und Malaysia eigene Fabriken auf. Matthias Fawer von Sarasin schätzt den asiatischen Markt 2011 auf 1,687 Gigawatt, 2012 auf 3,782 Gigawatt und 2015 auf fast zehn Gigawatt. Doch in Asien sind viele Tiger, Drachen und Schlangen unterwegs. Dort ist die regionale Konkurrenz viel größer als in Europa.
Ähnlich sieht es in Nordamerika aus: Zwar hat Suntech dort zumindest ein Werk, das mit 20 Megawatt beginnt, ein erster Pflock auf amerikanischem Boden. Aber in den USA lauern wirklich große Drachen: Sunpower und First Solar. Auch die amerikanischen Kunden sind nicht wirklich gut auf die Chinesen zu sprechen. Viel Überzeugungsarbeit wird notwendig sein, um diesen Markt zu erobern. Bleibt eigentlich nur Europa. Und ausgerechnet in der alten Welt hat Suntech keine Fabrik. Matthias Fawer sagt: „In Zukunft wird es immer bedeutender, an allen drei Hauptmärkten Nordamerika, Europa und Asien mit einem Werk vor Ort präsent zu sein. Gerade bei steigenden Ölpreisen und Transportkosten macht eine Modulproduktion in Europa weiterhin Sinn.“
Genau das geschieht: Sharp baut eine Fabrik in Italien, sogar Chaori Solar will 2011 auf dem Stiefel ein Werk errichten. Mit 2.000 Mitarbeitern ist dieser chinesische Solarhersteller deutlich kleiner als Suntech. „2009 haben wir in Europa Solarmodule mit 90 Megawatt Gesamtleistung verkauft“, bestätigt Europachef Qi Zhou. „2010 waren es 200 Megawatt. Die neue Fabrik startet mit 30 Megawatt und wird später auf 50 Megawatt erweitert.“ Für Chaori bleibt Europa der wichtigste Markt, weil hier bis 2015 rund 15 Gigawatt Solarleistung installiert werden. Qi Zhou sagt: „Wir wollen direkt bei unseren Kunden vor Ort sein, um zu lernen, was sie brauchen. Wir sind nicht der größte Fisch im Pool, also müssen wir unsere Stärken ausspielen.“

Wann wacht Peking auf?

In China hält die Regierung bislang am Golden-Sun-Programm fest, das etwa 200 gebäudeintegrierte und zehn Solarkraftwerke auf der freien Fläche eingebracht hat. Die größte Solaranlage leistet 20 Megawatt. Bei Großanlagen schreiben die Behörden ein Bieterverfahren aus. Derzeit läuft die Vergabe von 13 Projekten mit insgesamt 272 Megawatt. In diesem Business hat Yingli die Nase vorn. Der größte staatliche Solarhersteller Chinas sitzt in der Nähe von Peking. Nun wurde Yingli als Premiumanbieter für das Golden-Sun-Programm ausgewählt. Das Unternehmen steuert voraussichtlich 70 Prozent der Solarmodule bei. Sie werden in der zweiten Jahreshälfte geliefert. „Dies ist ein bedeutender Schritt für unsere Expansion auf dem chinesischen Solarmarkt“, freut sich Liansheng Miao, der Boss von Yingli. Er frohlockt: „Mehrere Ministerien sowie die nationale Energiebehörde haben beschlossen, ihre PV-Projekte ab 2013 auf mindestens eintausend Megawatt pro Jahr auszudehnen.“
Das wird allerdings nicht ausreichen. Die Regierungen in Peking und in den Provinzen müssen die solare Ener­giewende im eigenen Land früher und vor allem viel kräftiger in Schwung bringen. Andernfalls setzen sie ihre eigene Industrie aufs Spiel. Oder es passiert, was Stuart Wenham prophezeit: „Ich erwarte in den nächsten Jahren eine Menge Konsolidierungen. Die Vielzahl der unabhängigen Hersteller, der neuen Player und der großen Konzerne wie Hyundai, die jetzt kommen – das wird sich bemerkbar machen. Die Großen werden die Kleinen schlucken.“
Vielleicht kommt eines Tages aus Peking die Order, Yingli und Trina zu verschmelzen? Oder Suntech und Yingli? Das wäre ein Megamerger, wie ihn bislang nur die Rüstungsindustrie oder die Elektronikbranche kennt. Doch selbst in diesem Falle gilt: Ohne starken Heimatmarkt fehlt den chinesischen Tigern der Dschungel. Sie können fauchen und die Zähne zeigen, und sind dennoch zum Aussterben verurteilt. (Heiko Schwarzburger)