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12 Unternehmen, ein Ziel: Wie die Energiewirtschaft faire Lieferketten vorantreibt 

Die Energiewirtschaft steht im Zentrum der großen Zukunftsfragen – Energiewende, Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit. Doch hinter Photovoltaikanlagen, Stromnetzen und Batterien verbergen sich oft globale Lieferketten voller Risikofaktoren: Arbeitsausbeutung, Landrechtskonflikte, Kinderarbeit. Spätestens seit Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes 2023 und der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitspflicht (CSDDD) ist klar: Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen – auch weit über ihre direkten Zulieferer hinaus.

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Statt jedem Unternehmen seinen eigenen Weg zu überlassen, haben sich zwölf große Akteure der Branche – darunter Entega, EnBW und weitere – bereits 2023 zum Branchendialog Energiewirtschaft zusammengeschlossen. Unterstützt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie von Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen, entstand eine Plattform, die auf Kooperation statt Konkurrenz setzt. „Wenn jeder einzeln vorgeht, entsteht viel Bürokratie. Unternehmen kritisieren Bürokratie, verursachen sie aber selbst mit“, sagt Michael Congdon, Nachhaltigkeitsexperte bei der Entega AG. Der Branchendialog bündelt Kräfte, schafft gemeinsame Standards und ersetzt isolierte Selbsterklärungen durch kollektive Lösungen.

Bürokratieabbau durch gemeinsame Standards

Die Initiative arbeitet an einem einheitlichen Branchenstandard für Lieferanten – ein Schritt, der mittelständischen wie großen Energieversorgern gleichermaßen hilft. Denn die Dimension ist gewaltig: Entega etwa beschäftigt 2.500 Mitarbeitende – aber ebenso viele Lieferanten. Einheitliche Regeln schaffen Klarheit und senken den administrativen Aufwand auf beiden Seiten. „Wenn die gesamte Branche an einem Strang zieht, ändert sich das Spiel komplett“, so Congdon. Lieferanten müssen sich nicht mehr auf zwölf verschiedene Kodizes einstellen, sondern profitieren von harmonisierten Anforderungen – ein realistischer Weg, um die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten branchenweit umsetzbar zu machen.

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Menschenrechte im globalen Kontext: Das Beispiel Guinea

Wie sich dieser Ansatz in der Praxis auswirkt, zeigt das Pilotprojekt im guineischen Bauxitabbau, das den Weg für nachhaltige Flächenrehabilitation bereitet. Aluminium, gewonnen aus Bauxit, ist ein zentraler Rohstoff für die Energiewirtschaft – gleichzeitig aber Quelle sozialer Spannungen und Umweltzerstörung in Westafrika.

Dank lokaler NGOs und Partnerorganisationen erhält der Branchendialog direkte Einblicke in die Situation der betroffenen Gemeinden. Ziel ist es, durch gemeinsam entwickelte Projekte zerstörte Abbauflächen wieder nutzbar zu machen. „Die Gemeinden erhalten die Möglichkeit, ihre Flächen zurückzuerobern und ihre Lebensgrundlagen wieder aufzubauen“, erläutert Congdon. Christiane Hellar, stellvertretende Leiterin der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik, betont den zentralen Wert echter Partizipation: „Es reicht nicht, Informationen zu verteilen. Es heißt wirklich zuzuhören und das Gehörte zurückzuspielen – nur so entsteht Vertrauen vor Ort.“

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Rückenwind durch politische Unterstützung

Auch die Rolle der Bundesregierung ist entscheidend. Sie habe „die Brücke gebaut, um Vertrauen zwischen sehr unterschiedlichen Akteuren herzustellen“, sagt Congdon. Auf internationaler Ebene nutzt die Regierung ihre Kontakte, um Austausch und Projekte zu fördern. Für Hellar ist klar: „Wenn die Bundesregierung einlädt, entsteht eine andere Ausgangsposition – gerade für NGOs und Partnerorganisationen im Ausland.“ Diese institutionelle Rückendeckung verleiht dem Branchendialog Gewicht und Glaubwürdigkeit – ein Faktor, der zunehmend auch in anderen Branchen Beachtung findet.

Vom Risikoprofil zur Toolbox

Ein zentrales Ergebnis der Zusammenarbeit ist das gemeinsame Risikoprofil der Energiewirtschaft. Es deckt sechs Fokusbereiche ab – Wind, Solar, Batterie, Stromverteilnetze, Wasserstoff und Erdgas – und bietet eine Grundlage, um Risiken systematisch zu bewerten und zu priorisieren. So entsteht nicht nur Transparenz, sondern auch ein Schutzraum: Unternehmen können offen über Herausforderungen sprechen, ohne sofort angeprangert zu werden.

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Das Dokument steht auch externen Partnern zur Verfügung; Behörden wie das BAFA greifen bereits darauf zu. Perspektivisch soll daraus eine „Toolbox“ entstehen – mit konkreten Maßnahmen, Beschwerdemechanismen und Best-Practice-Beispielen, die auch andere Branchen nutzen können.

Viele Unternehmen schrecken noch vor dem Thema ab – aus Sorge, die Verantwortung für globale Lieferketten könne überfordern. Doch Hellar ermutigt zum Schritt nach vorn: „Es geht nicht darum, alle Missstände auf einmal zu lösen. Priorisieren und realistisch handeln ist der Anfang.“ Congdon ergänzt: „Traut euch, Partner zu suchen. Kooperation bringt bessere Lösungen, weil verschiedene Perspektiven auf Probleme treffen.“ Die Erfahrung aus drei Jahren zeigt: Der Branchendialog ist kein theoretischer Prozess, sondern ein handfestes Labor für Verantwortung – und ein Modell, wie gemeinsames Handeln über Gesetze hinaus Wirkung entfalten kann.

Fazit

Der Branchendialog Energiewirtschaft beweist, dass Nachhaltigkeit in Lieferketten keine Einzelfallübung sein muss. Was einst als gesetzliche Pflicht begann, wird zum Hebel mutiger Unternehmen, die erkennen: Nur gemeinsam lässt sich echte Veränderung schaffen. Von den Baustellen in Deutschland bis zu Bauxitminen in Guinea – die Energiebranche zeigt, dass Kooperation mehr bewirken kann als jede Compliance-Vorschrift. Und vielleicht wird dieses Modell bald Schule machen – über die Grenzen der eigenen Branche hinaus.

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