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Wie „Windenergieland Eins“ sich aufs Staatsziel Energiesicherheit einstellen muss

Der niedersächsische Ministerpräsident Olaf Lies als wohl prominentester politischer Gast der Jahrestagung der Erneuerbare-Energien-Branchen in Niedersachsen stellte aus Landesregierungssicht die Bedeutung der Energiewende für die Resilienz im Land so dar: Die Widerständigkeit oder Systemsicherheit der Energieversorgung im Bundesland werde künftig von der „Systemdienlichkeit“ des Ausbaus der Erneuerbare-Energien-Erzeugungskapazitäten abhängen.

So stellte es Lies sinngemäß übersetzt am Branchentag des Landesverbands Erneuerbare Energien Niedersachsen Bremen (LEE) am Mittwoch in Hannover einer befreundeten Szene dar. Befreundet ist diese Szene mit ihm deshalb, weil Lies zuerst Umweltminister in Niedersachsen war und dann Wirtschaftsminister, und er in beiden Fällen in der Vergangenheit nun schon viele Jahre lang seine Unterstützung für die Energiewende und den Ausbau insbesondere von Windparks und auch der Photovoltaik im Land deutlich bewiesen hatte. Niedersachsen solle „Windenergieland Nummer Eins“ bleiben, sagte Lies auf dem Podium, das ihm die Organisatoren für eine zweite Eröffnungsrede nach der ersten Ansprache der Tagung durch die LEE-Vorsitzende Bärbel Heidebroek freigegeben hatten.

Tilman Weber

Nicole Weinhold

Tilman Weber

Lies zeigte sich am Branchentag auch weiterhin als Freund. Persönliches Anreden mit den Vornamen und gegenseitige Umarmungen mit den Führungspersonen des Verbands erfolgten wechselseitig, auch noch, nachdem der Ministerpräsident scheinbar klare Worte gesprochen hatte: Es sei eine extrem schwierige Situation, in der die Bundesregierung unter einer Koalition der eher wirtschaftsliberalen CDU/CSU und der eher Energiewende-verpflichteten SPD, der Lies angehört, den Umbau der Versorgung mit Strom, Sprit und Wärme leisten müsse. Die Politik müsse die nach dem Kriegsangriff Russlands auf die Ukraine erfolgte Loslösung der deutschen Energieversorgung von dem ehemaligen Haupt-Energierohstoff-Lieferland und die einhergehende Energieverteuerung ebenso verarbeiten wie die „Handelsrestriktionen“, die sich bekanntlich aus Konflikten der USA und der Europäischen Union mit dem Zulieferland China ergeben. Auch diese Handelsrestriktionen führen zu höheren Kosten, weil China als Zulieferer für preisgünstige Technologie-Vorprodukte und kritische Rohstoffe zunehmend fraglich wird, so die EU-Lesart und auch die im Bundestag favorisierte Prognose.

Der niedersächsische Regierungschef forderte, die Erneuerbarenbranche müsse „jetzt generieren“, dass die Energiewende „ein Mehrwert für die Wirtschaft ist“. Dafür müssten die Erneuerbare-Energien-Unternehmen „eine extrem komplexe Rolle“ wahrnehmen. „Es gibt keine kleine Komplexität der Energiewende“, sagte Olaf Lies.

Aus der Perspektive eines Landeschefs sicherlich folgerichtig leitete Lies daraus einige Forderungen und auch mehr oder weniger versteckte Forderungen an die Grün-Energie-Unternehmen ab: womöglich politisch zu klären sei, wie eine notwendige Flexibilität des neuen Grünstromversorgungssystems zu regeln wäre, ob Stromspeicher eher zur Versorgung einzelner Industrieunternehmen oder besser direkt ans große Stromnetz anzuschließen sein werden. Die Unterstützung eines möglichst weitreichenden Ausbaus vieler einzelner Projekte nach Investorenentscheidung müsse einem System weichen, das ein Ineinandergreifen mehrerer Erneuerbare-Energien-Technologien ermögliche und damit erst eine echte Funktion in der künftigen Energieversorgung erfüllen könne. Die Finanzierung der notwendigen Netzinfrastruktur dürfe nicht weiter über den Strompreis erfolgen, sagte Lies und meinte damit, dass nicht mehr die Stromkunden mehr belastet werden dürften, sondern andere Akteure. Welche Lies im Blick hatte, klärte er nicht, ob wie denkbar die Steuerzahler je nach Einkommen oder womöglich Unternehmen der Energiebranche selbst.

Es brauche die Abscheidung von Kohlendioxid aus den Abgasen, wo die Vermeidung von CO2-Emissionen als Treibhausgas nicht durch Grünstromnutzung vermeidbar ist – aber nicht bei den von der Bundesregierung als Neubau geplanten zusätzlichen Gaskraftwerken. Es brauche zum Übergang noch neue Gaskraftwerke zur Bereitstellung einer flexiblen ergänzenden Stromerzeugung, wo Windkraft und Photovoltaik noch wetterbedingte Versorgungsflauten verursachen. Wichtig sei nur, dass sie garantiert für einen Betrieb in Zukunft mit aus Grünstrom erzeugtem emissionsfreiem Wasserstoff geeignet seien. Und der jüngste Ausstieg der Stahlunternehmen aus Plänen für die Nutzung grünen Wasserstoffs als Prozessenergietreibstoff sei nur dadurch abzuwenden, dass die Wasserstoffwende staatlich gefördert besonders schnell erfolge, so deutete es Lies an.

Die Forderungen des Ministerpräsidenten sind auf eine weitreichende Energiewende gerichtet, die eine gemeinsame Ausrichtung auf eine vermeintlich besonders resiliente Energie- und Volkswirtschaft zielt. Die Wirtschaft soll demnach ausreichend Zeit bekommen, um die komplette Erneuerbaren-Nutzung dann zu erreichen, wenn auf ausreichend moderates Niveau gesunkene Energieversorgungspreise dies zulassen. Der Erneuerbaren-Ausbau soll sich demnach zwar nicht nach dem Ausbau der Stromnetze richten. Doch statt einer Beschleunigung des Netzausbaus sieht die neue Resilienz eines solchen Energiesystems vorrangig eine grundsätzliche Verzahnung verschiedenster Erneuerbare-Energien- und Speicher- oder Sektorenkopplungsanlagen vor.

LEE-Vorsitzende Bärbel Heidebroek brachte einen wichtigen Widerspruch andeutungsweise zur Sprache: Für die Regenerativbranche entscheidend bleibe es, dass die Ausbauzeitpläne langfristig bestehen und damit verlässlich blieben. Nur so ließen sich die notwendigen Investitionen erzielen. Weitere politische Ziele seien zusätzlich zu regeln, deutete sie richtigerweise an.

Dass die von Lies angedeutete gemeinsame Verpflichtung aufs Modeziel Resilienz zur Falle für die Energiewende werden kann, verdeutlichte zufällig ein jüngst veröffentlichter Podcast der Tageszeitung Frankfurter Rundschau mit der Energiewendeexpertin Claudia Kemfert.

Diese warnt vor einem von Bundesenergieministerin Katherina Reiche propagierten Bau von neuen Erdgaskraftwerken mit einer Erzeugungsleistung von 20 Gigawatt. Deutschland müsse aufpassen, nicht wieder neue „fossile Logins“ zu schaffen und „Pfadabhängigkeiten über Jahrzehnte“ ans fossile Erdgas zu erzeugen.

„Da muss es darum gehen, dass wir behutsam sehen, was brauchen wir überhaupt und die Erneuerbaren viel schneller ausbauen“, sagte Kemfert dort. Über „Nachfragereaktion, Digitalisierung, effektives Energie- und Lastmanagement, Großbatteriespeicher und auch nachhaltige Biomasse, über die man Gasturbinen betreiben kann“, müsse die Energiepolitik die benötigten Flexibilitäten im Energiesystem erzeugen. Dieser Weg werde aber durch zu viele neue Erdgaskraftwerke regelrecht verbaut.

Kemfert warnte zudem auf Nachfrage der Moderatorin Kristin Langen, dass die angestrebte Unabhängigkeit von Gasimporten aus Russland, die noch verbliebene Flüssigerdgasversorgung aus Russland soll EU-weit 2027 auslaufen, durch eine neue Abhängigkeit von Flüssiggasimporten aus den USA abgelöst werde.

Die Lehre daraus muss wohl sein: die Grünstrombranche muss darauf drängen, dass Ausbauziele für Windkraft und Photovoltaik und auch wohl Biomasse-Anlagen sowie Wasserstoff stabil bleiben. Eine gemeinsame Verpflichtung auf gemeinsame Resilienz-Ziele wäre hingegen so etwas, wie die Verpflichtung einer Belegschaft auf ein für sie teilweise unvorteilhaftes Sanierungsziel eines in Zahlungsunfähigkeit rutschenden Unternehmens. Alle Schwierigkeiten und über den Erneuerbaren-Ausbau hinausgehenden Herausforderungen sollte die Politik auf anderem Weg regeln, am besten, indem ein zusätzlicher Markt auch die Beteiligung von Erneuerbare-Energien-Unternehmen daran ermöglicht. Zugleich ließe sich dann auch richtigerweise weiterhin öffentlich darüber streiten, wie viel zusätzliche Erdgaskraftwerke notwendig wären und welche Resilienz die Deutschen für ihre Energieversorgung erreichen wollen.

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