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Unstillbarer Appetit auf Arbeitskräfte

Nicole Weinhold

Bis 2030 werden für die Energiewende branchenübergreifend rund 550.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, so das Ergebnis einer aktuellen Studie von DIHK und Prognos. Allein 300.000 davon entfallen auf die Bereiche Photovoltaik und Windenergie. Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung identifizierte schon 2022 eine Lücke von rund 216.000 Fachkräften, die allein für den Ausbau von Wind- und Solarenergie fehlen. Die Boston Consulting Group geht davon aus, dass sich die Zahl der Beschäftigten in der Windbranche von derzeit etwa 124.000 bis zum Ende des Jahrzehnts nahezu verdoppeln muss – ein zusätzlicher Bedarf von bis zu 110.000 Menschen. In manchen Sektoren ist die Zahl der offenen Stellen in den vergangenen Jahren um 70 Prozent gestiegen.

Was wie eine Hiobsbotschaft für die ambitionierten Klimaziele der Bundesregierung klingt, ist bei genauerem Hinsehen eine riesige Chance. In einer Zeit konjunktureller Schwäche bietet die grüne Transformation die Aussicht auf Tausende zukunftsfeste Arbeitsplätze. Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer von VDMA Power Systems, sieht darin eine klare Stärke. „Das ist ja erst mal eine positive Botschaft“, betont er im Interview. „Wir sind in einer Rezession oder einem ökonomischen Down-Turn. Deswegen ist es gut zu sagen, da gibt es eine Industrie, der es gut geht. Da entstehen neue Arbeitsplätze.“

Rendschmidt prognostiziert, dass allein in der grünen Industrie die Zahl der Arbeitsplätze bis 2030 auf 500.000 steigen könnte. Diese Entwicklung macht die erneuerbaren Energien zum potenziellen Rückgrat des deutschen Arbeitsmarktes. Die Frage ist nicht mehr, ob die Jobs da sind, sondern wie Deutschland es schafft, die richtigen Menschen für diese Aufgaben zu finden, zu qualifizieren und zu begeistern.

Was gibt es für Jobs bei den Erneuerbaren?

Eine der größten Hürden auf dem Weg, den riesigen Personalbedarf zu decken, ist paradoxerweise nicht mangelndes Interesse an der Energiewende selbst, sondern schlichte Unwissenheit. Bärbel Heidebroek, Präsidentin des Bundesverbands Windenergie (BWE), bringt das Kernproblem auf den Punkt: „Die größte Herausforderung, die wir als Windbranche haben, ist, dass ganz viele Menschen gar nicht wissen, was man bei uns arbeiten kann.“ Dieses Informationsdefizit führt dazu, dass ein riesiges Potenzial an Arbeitskräften ungenutzt bleibt, weil die Verbindung zwischen den eigenen Fähigkeiten und den Anforderungen der Branche nicht gesehen wird.

Mitarbeiter werden überall in der Energiewende gebraucht: im kaufmännischen Umfeld ebenso wie in Mobilität, Photovoltaik- und Speicherinstallation.

Bild: berkah design - stock.adobe.com

Mitarbeiter werden überall in der Energiewende gebraucht: im kaufmännischen Umfeld ebenso wie in Mobilität, Photovoltaik- und Speicherinstallation.

Dennis Rendschmidt sieht hier auch die Unternehmen in der Pflicht, aktiv auf die Menschen zuzugehen. „Von welcher Branche haben die jungen Leute schon eine genaue Vorstellung?“, fragt er rhetorisch und fügt hinzu: „Die Unternehmen gehen in Schulen und Universitäten.“ Der entscheidende Vorteil der Erneuerbaren-Branche im Wettbewerb um Talente sei dabei ihre Sinnhaftigkeit. „Wir haben den Vorteil, in einer Branche zu arbeiten, die sinnstiftend ist, in dem Sinn, dass sie den Klimawandel bekämpft und dabei hilft, unabhängig von fossilen Energien zu werden.“

Um die Unkenntnis zu überwinden, setzen Verbände und Unternehmen auf gezielte Aufklärung. Bärbel Heidebroek berichtet von den Erfahrungen des BWE: „Die Karrieremessen haben gut funktioniert. Zunächst bundesweit, dann regionalisiert – das ist sinnvoller.“ Doch Messen allein reichen nicht. Es geht darum, die Jobprofile in die Breite zu tragen und die Branche greifbar zu machen.

Wir haben den Vorteil, in einer Branche zu arbeiten, die sinnstiftend ist.

Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer, VDMA Power Systems

Brücken bauen: Von der Kohle zum Wind

Ein entscheidender Hebel zur Deckung des Fachkräftebedarfs liegt in der gezielten Umschulung und Weiterbildung von Menschen aus schrumpfenden Industrien. Ob Facharbeiter aus der Automobilbranche, deren Jobs durch die E-Mobilität wegfallen, oder Kumpel aus den Kohleregionen, die vor dem Strukturwandel stehen – ihre technischen und handwerklichen Fähigkeiten sind in der Wind- und Solarbranche oft Gold wert.

Ein Leuchtturmprojekt ist hier der Qualifizierungsverbund in der Lausitz für Erneuerbare Energien (QLEE). Bärbel Heidebroek erklärt die Initiative: „Hier zeigen der Bundesverband Erneuerbare Energie, die LEAG und das Institut für berufliche Bildungsförderung gemeinsam Menschen, die durch den Strukturwandel in der Lausitz ihre Arbeit verloren haben, dass es durchaus in der Erneuerbaren-Branche Jobs gibt, die ihrem Jobprofil eigentlich sehr ähnlich sind und wo sie Arbeit finden können.“ Der Erfolg solcher Projekte beweist, dass der Übergang gelingen kann, wenn die Brücken gebaut werden.

In der Windbranche werden unter anderem Servicetechniker und Monteure gebraucht.

Bild: Abdul - stock.adobe.com

In der Windbranche werden unter anderem Servicetechniker und Monteure gebraucht.

Gezielte Programme wie das QLEE-Projekt in der Lausitz müssen bundesweit Schule machen. Sie zeigen, dass der Übergang von „alten“ in „neue“ Industriezweige nicht nur möglich, sondern für beide Seiten gewinnbringend ist. Die deutsche Wirtschaft verfügt über „sehr gut ausgebildete Menschen“, wie Dennis Rendschmidt betont, „das ist schon mal eine sehr gute Basis“.

Auch er betont die Bedeutung von Quereinsteigern: „Ein Hebel kann sein, dass Fachkräfte aus einem weniger florierenden Bereich umgeschult werden.“ Er verweist auf positive Beispiele, bei denen „Beschäftigte aus ehemaligen Tagebauen in der Windkraft eingestiegen“ sind. Es gehe vor allem darum, „den Suchenden das Berufsbild nahezubringen“.

Eine häufig gestellte Frage ist die nach dem Gehalt. Können die Erneuerbaren mit den teils hohen Löhnen der Automobilindustrie mithalten? Bärbel Heidebroek gibt eine ehrliche Antwort: „Ja. Die Windbranche ist bereit, gute Arbeit gut zu bezahlen. Natürlich lagen die Löhne in der Automobilbranche teils höher, aber wir bieten attraktive Perspektiven.“ Diese Perspektiven umfassen nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz in einer Wachstumsbranche, sondern auch die bereits erwähnte Sinnhaftigkeit der Tätigkeit.

550 Tausend zusätzliche Fachkräfte werden in der Energiewende bis 2030 gebraucht, prognostizieren DIHK und Prognos.

Eigenes Berufsfeld für die Windenergie

Neben der Aufklärung und Umschulung bedarf es jedoch auch struktureller Veränderungen, um den Nachwuchs systematisch für die Branche zu gewinnen. Ein zentraler Vorschlag, der von Dennis Rendschmidt kommt, ist die Schaffung eines anerkannten Berufsfeldes für die Windenergie: „Es müsste ein ausgewiesenes Berufsfeld Windenergie geben. Das fehlt bisher“, so Rendschmidt.

Die Logik dahinter ist einfach: Ein spezifisches Berufsbild schafft Identität und Sichtbarkeit. „Es gibt zum Beispiel Mechatroniker, aber nicht Mechatroniker Windenergie“, erklärt Rendschmidt. „Die jungen Leute würden sich sicher mehr für diese Ausbildung interessieren, als wenn sie nur Mechatroniker in der Stellenausschreibung lesen.“ Die Jobs „Mechatroniker für Windenergietechnik“ oder „Servicetechnikerin für Windkraftanlagen“ klingen nicht nur spannender, sondern signalisieren auch klar die Spezialisierung auf eine Zukunftsbranche.

Die Schaffung solcher Berufsfelder ist ein Prozess, der von Akteuren wie dem Bundesinstitut für Berufsbildung und der Bundesagentur für Arbeit angestoßen werden muss. Bärbel Heidebroek sieht hier ebenfalls Handlungsbedarf und fordert eine engere Vernetzung: „Entscheidend ist, mit IHKs, Berufsschulen und Arbeitsagenturen zusammenzuarbeiten, um Jobprofile bekannter und attraktiver zu machen. Zudem müssen wir neue Berufsbilder entwickeln, die den künftigen Bedarf abdecken.“ Flankiert werden müssten diese nationalen Anstrengungen durch eine erleichterte Zuwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern, wie Rendschmidt anmerkt – eine Stellschraube, an der der Gesetzgeber drehen könnte.

Entscheidend ist, mit IHKs, Berufsschulen und Arbeitsagenturen zusammenzuarbeiten.

Bärbel Heidebroek, Präsidentin des BWE

Kraftanstrengung mit Perspektive

Die Energiewende ist mehr als nur der Bau von Wind­rädern und Solarparks. Sie ist ein tiefgreifendes Modernisierungsprojekt für die gesamte deutsche Wirtschaft und Gesellschaft. Wenn es gelingt, die Weichen richtig zu stellen, wird sie nicht nur die Energieversorgung sichern und das Klima schützen, sondern auch zum kraftvollsten Arbeitsplatzmotor werden, den Deutschland seit Jahrzehnten gesehen hat. Die positive Botschaft, von der Dennis Rendschmidt spricht, könnte dann zur bestimmenden wirtschaftlichen Erzählung der kommenden Jahre werden: Made in Germany – powered by green jobs. 

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