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Atomkraft: Tokyo eröffnet Langzeitperspektive für Alt-AKW

Das japanische Parlament stimmte am 31. Mai dem jüngsten Gesetzentwurf der Regierung zur möglichen Laufzeitverlängerung für Japans Atomkraftwerke über eine Grenze von 60 Jahre hinaus zu. Die Regierung hatte im Februar angekündigt, nicht nur die bisherige Maximalinanspruchnahme von Atomreaktoren auf sechs Jahrzehnte zu kippen, sondern auch neue Reaktoren zu planen. Das vom Parlament bestätigte neue Gesetz sieht vor, dass die Reaktorbetreiber die Laufzeiten um so viel verlängern dürfen, wie sie nach der Atomreaktorhavarie von 2011 in Fukushima an Zeit für die sicherheitstechnische Aufrüstung ihrer Meiler verloren haben. Dabei sieht das Gesetz eine Beibehaltung der ursprünglichen Grundlaufzeit von 40 Jahren vor. Hinzu kommt eine Option, die Laufzeit einmalig um 20 Jahre zu verlängern plus die nicht für die Stromproduktion genutzten sicherheitstechnischen Prüf- und Reparaturphasen. Der Verlängerung muss der Handels- und Industrieminister zustimmen, ebenso muss die nationale Regulierungsbehörde für Nuklearenergie die Sicherheit des Reaktors bestätigen. Zudem soll bereits nach 30 Jahren eine Überprüfung der Sicherheit der Anlage stattfinden, die sich von da an jeweils nach zehn Jahren wiederholt.

Nur 10 von Japans 33 Atomenergieanlagen sind im Betrieb, weil die Behörden das Wiederanfahren der zunächst nach der Atomreaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 vom Netz genommenen Nuklearmeiler nur langsam zulassen. Außerdem sehen sich die Reaktorbetreiber starkem regionalem Widerstand gegenüber. Die Regierung hatte das jetzige neue Gesetz auf den Weg gebracht, nachdem erstmals nach dem Reaktorunglück eine Umfrage eine Mehrheit der Bevölkerung wieder für die Kernenergie ergab. Die durch die Fukushima-Katastrophe gegen die Strahlungsenergie gewendete Stimmung habe sich unter dem Eindruck der energiepolitischen Folgen des Ukrainekrieges wieder umgedreht, argumentiert die Regierung. Zugleich bereitet sie eine Verklappung der kontaminierten Kühlwasser aus den havarierten Reaktoren von Fukushima vor. Bis heute muss Tokio die Anlagen kühlen und das Wasser danach in Fässern auf dem Kraftwerksgelände lagern. Jetzt will Tokio die belasteten Wassermassen ins Meer entsorgen.

Außerdem drängt die Regierung auf die verstärkte Weiternutzung der Atomkraft, weil sie sonst ihre Klimaschutzziele gefährdet sieht. Bis 2030 will die Regierung 20 bis 22 Prozent der Stromerzeugung durch Kernenergie und 36 bis 38 Prozent durch Erneuerbare-Energien-Anlagen absichern. Damit will sie bis zu 60 Prozent der Stromproduktion ohne Emissionen von Treibhausgasen gewährleisten.  

Japan ist damit eines der ersten Länder weltweit, die mehr als 60 Jahre Laufzeit in Angriff nehmen. Sogar Laufzeiten von bis zu 80 Jahren seien denkbar, heißt es in der Diskussion inzwischen.

60 oder gar bis zu 80 Jahre Laufzeit für Atomkraftwerke sind bisher noch eine zeitliche Tabuzone der Atomenergiewirtschaft. In Deutschland, wie in vielen anderen europäischen traditionellen Atomenergieländern auch, bestimmte ohnehin nicht in erster Linie das Betriebsalter der Brüter. Hierzulande sind vielmehr aus dem Hin und Zurück der politischen Atomausstiegsbeschlüsse mehrerer Bundesregierungen unterschiedliche Laufzeiten von maximal 36,5 Jahren, überwiegend aber rund 35 Jahren entstanden. Im Nachbarland ist es dagegen zum politischen Roll-Back gekommen. Die ursprünglich für eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegten Atomkraftwerke Frankreichs haben zu einem Drittel schon diese Betriebsaltersgrenze hinter sich. 2021 beschloss die französische Regierung eine Verlängerung der Laufzeiten auf 50 Jahre, nachdem Präsident Emmanuel Macron zuvor schon die Kehrtwende weg von einer Reduzierung der Nuklearstrom-Erzeugung erklärt hatte. Die aktuelle Energiewendeministerin Agnès Pannier-Runacher gab zuletzt vor, dass Branche und Behörden die Chance für einen Betrieb bis 60 Jahre ausloten sollen. Und der staatliche Energieriese EDF lässt nun schon laut über 80 Jahre nachdenken.

Auch andere Regierungen der Atomkraftländer Europas tasten sich darin vor, was sie der Nukleartechnik einerseits und der mehr oder weniger besorgten Öffentlichkeit zumuten können: In Schweden fuhren seit 2016 die ältesten Reaktoren nach bis zu 45 Betriebsjahren und längerem Hin und Her in Umsetzung eines älteren Atomausstiegsbeschlusses herunter. Politische Entscheidungen über Laufzeitverlängerungen stehen aus, doch auch hier ist von 80 Jahren schon die Rede. Für das einzige Kernkraftwerk der Niederlande, Borssele, war der Beschluss zur Laufzeitverlängerung bis 2034 und damit von 40 auf 60 Jahre schon vor fast zwei Jahrzehnten gefallen. Doch ungeachtet des späten Datums kündigte die Regierung von Mark Rutte an, den Meiler bis zum Bau neuer Kraftwerksblöcke am selben Standort noch länger in Betrieb sehen zu wollen. Belgien verlängerte die Laufzeiten Anfang dieses Jahres auf 50 Jahre. Offensiver als in Europa sind die Atomkraft-Unterstützer im politischen Spitzenpersonal der USA. Dort besitzen seit ein paar Jahren 88 Atomanlagen schon eine verlängerte Genehmigung von 60 Jahren Laufzeit – und eine Handvoll Anlagen erhielten inzwischen eine weitere Verlängerung sogar auf 80 Jahre.

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