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Auf ein Wort

In dubio pro climate

Der kürzlich ergangene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungswidrigkeit des Klimaschutzgesetzes (KSG) darf als Jahrhundertentscheidung bezeichnet werden. Mehrere Verfassungsbeschwerden rügten die Festlegungen des KSG als unzureichend – zurecht! Die konkreten Festlegungen des Gesetzes bestimmen die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen. Für die folgenden Jahre soll die Bundesregierung gem. § 4 Abs. 6 KSG im Jahr 2025 die Reduktionsvorgaben qua Verordnung regeln. Den Generationenkonflikt gewannen hier die jüngeren Jahrgänge. Das Gericht stellte fest, dass eine „nach uns die Sintflut“-Haltung im Klimaschutz gegen das Grundgesetz verstößt. Es ist nämlich nicht verhältnismäßig, die den Art. 20a GG konkretisierenden Klimaziele des Pariser Abkommens bis 2030 derart aufzuschieben, dass danach das Risiko einer notwendigen „Vollbremsung“ des Emissionsausstoßes droht, um bis 2050 noch die Klimaneutralität der Wirtschaft zu erreichen. Der Klimawandel ist nicht reversibel, weshalb bereits jetzt getroffene Entscheidungen eine „eingriffsähnliche Vorwirkung“ haben.

Schärfere Vorgaben bis 2030

Der Gesetzgeber musste nach Maßgabe der Ausführungen des BVerfG beim Klimaschutzgesetz nachbessern. Das Kabinett hat die geforderten Einsparziele ab 2030 beschlossen und die Klimaneutralität um fünf Jahre auf 2045 vorgezogen. Zudem wurde das Ziel bis 2030 von derzeit 55 auf 65 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber 1990 verschärft. Der Gesetzgeber hatte bisher nicht genug Gebote und Anreize zur Emissionseinsparung geschaffen.

Bereits jetzt ist die Entscheidung für die Erneuerbaren bahnbrechend: Bislang wurde Vorhaben erneuerbarer Energien in verwaltungsrechtlichen und gerichtlichen Verfahren immer wieder das Mantra vorgehalten, der Art. 20a GG genieße keinen allgemeinen Vorrang vor anderen Verfassungsgütern, sprich: der Klimaschutz ist öffentliches Interesse wie jedes andere auch.

Dies wiederholte auch der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, ergänzte die Klausel jedoch um eine einschneidende Wertungsvorgabe: Je weiter der Klimawandel voranschreitet, desto gewichtiger ist der Klimaschutz in der Abwägung mit anderen Verfassungsgütern. Der Klimaschutz gewinnt also, mit voranschreitendem Klimawandel, schlicht mit Zeitablauf, an abstrakter Vorrangigkeit. Dies werden Gerichte und auch Genehmigungsbehörden nach diesem fulminanten Ausspruch durch das oberste Gericht in der Bundesrepublik kaum mehr umgehen können. In Abwägungs- und Ermessensentscheidungen erhält der Klimaschutz als öffentlicher Belang damit erheblich mehr Durchsetzungskraft. Gleich ob es die Belange der Bundeswehr, des Artenschutzes oder des Denkmalschutzes sind – nunmehr wird die Gegenseite argumentieren müssen, warum im konkreten Fall ein anderes Verfassungsgut ausnahmsweise überwiegen soll.

Bislang waren es in diesen Bereichen kleinkarierte Ressortanliegen, die dem Klimaschutz erfolgreich entgegengehalten werden konnten: Keine Änderung von Abflugverfahren möglich, keine Berechnungsformel bei Abständen zu Denkmälern, die für das Erneuerbare-Energien -Vorhaben günstig wären, keine Dispenserteilung bei (uralten) Satzungen und so weiter. Überall dort sind es einfach rechtliche Auslegungsfragen, die nunmehr nicht mehr von einer beschränkten, für die künftigen Generationen schädlichen Ressortarroganz bestimmt werden dürfen. Nun hat diese Auslegung „in dubio pro climate“ – im Zweifel für den Klimaschutz – zu erfolgen.

Martin Maslaton, Professor für das Recht der Erneuerbaren Energien und Leiter der Maslaton Rechtsanwalts­gesellschaft mbH in Leipzig

Maslaton

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