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Energie aus Datenströmen

Tilman Weber

Schon 2019 hatte die Badenova AG im Forschungsprojekt vorgeführt, wie Photovoltaikanlagen im Freiburger Stadtgebiet durch Digitalisierung für ihre Betreiber rentabler werden können. Und wie das in einem größeren Forschungsverbund entwickelte technologische Konzept auch gewinnbringend für Stadtwerke und kommunale Netze würde. Das Förderprojekt der Europäischen Union mit dem Kurztitel Invade testete unter freiwilliger Mitwirkung von Eigenheimbewohnern mit Photovoltaik (PV) auf dem Dach und Stromspeichern im Haus die Verknüpfung ihrer Stromversorgungsanlagen zum intelligent steuerbaren, Strom einspeisenden oder Strom verbrauchenden Geräteschwarm. Der zu 96 badischen Gemeinden gehörende Energieversorger und seine Netztochter wollten so das lokale Stromnetz an jeder Verästelung flexibel vor Leistungs- und Verbrauchsspitzen schützen – etwa, wenn viele Elektrofahrzeuge tanken. Das Konzept soll den Ausbau des Stromnetzes trotz Zunahme von volatiler PV-Einspeisung und Stromhunger erübrigen und dann geringere Netznutzungsentgelte zulassen. Eine Vermarktung überschüssiger Kapazitäten des PV-Speicher-Schwarms am Regelenergiemarkt wollte Badenova mit bedenken.

Den Freiburger PV-Speicher-Schwarm verfeinert der Regionalversorger vorerst in einem weiterführenden Entwicklungsprojekt. Es soll den noch fehlenden Markt durch digitalisierte sogenannte Micro-Markets ersetzen, die wiederum die Anlagen besser feinsteuern können. Weniger aufwändig richtet sich das Unternehmen nun mit einem Sondervergütungsprogramm an Betreiber ausgeförderter PV-Altanlagen, die dafür zu einem speziellen Ökostromtarif auch Stromkunde werden. Zudem liefert und installiert Badenova für Eigenheimbesitzer neue PV-Anlagen oder Stromspeicher und baut Ladestellen für Elektroautos in deren Systeme ein.

Dennoch war der Feldversuch ein Anzeichen dafür, dass Stadtwerke durch Digitalisierung die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen als Kunden binden und darauf aufbauend neue Energieprodukte vermarkten können.

Die jüngste Erhebung durch den Energiebranchenverband BDEW zur Digitalisierung im Stadtwerkegeschäft, Digital@EVU 2021, weist auf das Potenzial noch konsequenterer Digitalisierung hin: Als Bereiche für „Digitale Produkte/Dienstleistungen“ mit dem höchsten Umsatzpotenzial platzierten vom BDEW befragte Energieversorger die dezentrale Energieerzeugung, den Stromhandel, Smart-City-IT – eine Internet-gestützte klimafreundliche städtische Infrastruktur, Elektromobilität und ein Management der Energienachfrage.

Manche Stadtwerke bereiten die neue Welt schon vor. Schon „vor über fünf Jahren“, so betont es Badenova-Sprecher Roland Weis, habe der kommunale Versorger eine „Digitalisierungswelle“ ins Rollen gebracht. So hatte das Unternehmen 2016 einen intelligenten Heizungsregler eingeführt. In einem Forschungsprojekt hatte es davor geprüft, wie PV-Dachanlagen-Betreiber auf die absinkenden PV-Einspeisevergütungen reagieren und wie Stadtwerke vom Effizienzgewinn der PV- und Speichertechnologie profitieren können. 2018 startete es die Ausstattung von PV-Anlagenbetreibern mit Stromspeichern, und ein vom Tochterunternehmen E-Maks installiertes Lorawan-Funknetz ging in Betrieb. Diese Technik kann beim als IOT abgekürzten Internet der Dinge von Sensoren gesendete Echtzeitdaten bereitstellen – zu freien Parkplätzen oder Ladesäulen für Elektroautos oder zur Auslastung verschiedener Strecken im Verteilnetz. 2019 übernahmen die Versorger aus Freiburg gemeinsam mit dem an der Badenova AG beteiligten Stadtwerkekonzern Thüga das Smart-Home-Online-Portal Homeandsmart. Und 2021 schlossen sie eine Übernahme der digitalen Vertriebsplattform Sparstrom.de zur Vermarktung neuer Energieprodukte ab.

Weitreichende Forschungsprojekte

Die Badenova-Entwickler zielen schon weiter: Sie erforschen mit Partnern in Nachbarregionen in Frankreich und der Schweiz, wie sich in dem Großraum eine rentable Erneuerbare-Energien-Vollversorgung digital steuern ließe. In weiteren Forschungsprojekten bereiten sie fahrerlose Elektro-Bürgerbusse und ortsunabhängiges Laden von Elektroautos durch Blockchain vor: Blockchain versieht Energieeinheiten in der virtuellen Abrechnung mit Datenpaketen, die Uhrzeiten, Tarife oder Angaben zum Stromkunden enthalten.

Wie sehr Stadtwerke in einem von Erneuerbare-Energien-Anlagen dominierten Versorgungssystem auf Digitalisierung angewiesen sind, lassen Dienstleister wie Taktsoft erkennen. Das Bonner Unternehmen hat Badenova bei der Entwicklung eines digitalen Zugangs für Energiekunden zu künftigen Energieprodukten begleitet. Firmenchef Nils Brettschneider darf über seine Arbeit für den badischen Kunden nichts, aber einiges zur Zielrichtung seiner Arbeit verraten. Taktsoft gestaltet für Versorgungsfirmen die Internetseite so, dass Kunden den Nutzen der Produkte verstehen und berechnen können. Kombiangebote wie der Abschluss eines Mobilfunkvertrages bei der Buchung eines Ökostromtarifs soll die Website automatisieren.

Noch grundsätzlicher krempelt Bofest Consult aus Berlin die alte analoge Stadtwerkewelt um. Hier entwickeln Mitgeschäftsführer Christoph Kloidt und ein Team einen Digitalisierungsfahrplan und das dauerhafte Programmmanagement: „Wir lassen den Versorger berechnen, wie neue Maßnahmen die Kosten oder Gewinne anderer Programme beeinflussen, ob sie Kunden oder Ressourcen anderswo abziehen oder neue hinzugewinnen“. Das „Multiprojektmanagement mit immer neuen Produkten“ rechne dann Investitionen und Effizienzgewinne gegenein- ander auf. Auch Stromtarife mit Preisnachlässen für netzdienlich einspeisende PV-Anlagenbetreiber prüft Bofest Consult.

„Die Verschmelzung von Omnichannel-Ansätzen treibt uns an, um unserer Rolle als digitaler Umsorger gerecht zu werden“, sagt Badenova-Sprecher Weis. Es ist seine Formel für ein neues Selbstverständnis der Versorger.

Auch die Darstellung der neuen Energiewelt Osnabrücks ist ein Taktsoft-Produkt. Der Versorger der niedersächsischen Universitätsstadt beliefert seit 2021 alle Privatkunden im Stadtgebiet mit Regio-
nalstrom. Er stammt überwiegend aus Windenergieanlagen. Dabei nutzen die Stadtwerke das 2019 eingeführte Regionalstromregister beim Bundesumweltamt, das mit einem cleveren Verrechnungssystem jeweils Nachweise für Stromliefermengen aus Erneuerbare-Energien-Anlagen ohne durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz abgesicherte Vergütung im Umkreis von 50 Kilometern der Stromkunden vermarktet. Während dieses Angebot noch ohne stadtwerkeeigene „spezielle digitale Prozesse“ auskommt, wie Stadtwerke-Sprecher Marco Hörmeyer sagt, wird künftig mehr Digitalisierung gebraucht: Die Osnabrücker wollen die PV-Erzeugung im Stadtgebiet von 1.600 privaten Dachanlagen mit 30 MW drastisch erweitert sehen. Bei einer Modulausrüstung aller PV-geeigneten Dächer in der Stadt wären 1.000 MW machbar, genug um ganz Osnabrück zu versorgen, so rechnen die Versorger und motivieren Hausbesitzer durch Beratung und Verkauf oder Verpachtung von PV-Modulen und Speichern.

„Wir wollen regionale Grünstromproduktion mit regionaler Grünstromnutzung zusammenbringen – und den Leistungsaustausch nach markt- und energiewirtschaftlichen Regeln mit Dienstleistungen unterstützen“, betont Hörmeyer. Die Zukunft wird zeigen, wie die Stadtwerke das dafür erforderliche komplexe digitale Einspeisemanagement stemmen. Doch die Energiebürgerrevolution benötigt jetzt den schnellen Zugang der Bürger. Taktsoft gestaltete die Website zu einem Marktplatz mit angebundenem Hörsaal um. Besucher gelangen intuitiv von jedem Ort zu Beteiligungsangeboten und können etwas über ihre Rolle für die Energiewende lernen. 

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