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Prädatoren und Giftköder

Nicole Weinhold

Rainer Raab, Leiter des Technischen Büros für Biologie (TB Raab GmbH) in Deutsch-Wagram, Österreich, über Artenschutz und Windenergie.

Sie sind in dem Projekt Life Eurokite engagiert. Inwiefern haben Erkenntnisse aus diesem Projekt Auswirkungen auf die Windenergie?

Rainer Raab: Ich bin selbst Biologe und habe meine Dissertation über die Großtrappe geschrieben. Dort ging es um die Frage, welche Faktoren die Population beeinflussen. Ich habe über Jahrzehnte Großtrappenschutz betrieben und interessiere mich zudem stark für den Rotmilan, die Hauptzielart des Projektes Life Eurokite. Da geht es um die Frage, was eigentlich die Hauptmortalitätsursachen beim Rotmilan sind. Dazu muss man wissen, dass man die toten Greifvögel suchen muss: Wenn ich herausfinden will, woran sie gestorben sind, muss ich sie besendern. Denn ohne Sender haben wir keine Chance, eine repräsentative Stichprobe zu finden. Das genau ist nämlich das Problem mit den sogenannten Zufallsfunden, bei denen herauskommt, dass ca. 40 Prozent der Tiere unter Windkraftanlagen gefunden werden. Aber es wurde auch nur unter Windkraftanlagen regelmäßiger gesucht. Deutlich weniger wurde derweil an Autobahnen oder Bahndämmen oder gar im Wald gesucht.

Wie groß ist die von Ihnen besenderte Stichprobe?

Rainer Raab: Innerhalb des Life Eurokite Projektes wurden bereits mehr als 900 Rotmilane besendert. Zusammen mit unseren zahlreichen Partnern und über 50 Kooperationspartnern haben wir es geschafft 2.320 Rotmilane aus ganz Europa (außer UK) in eine Datenbank zu bringen. Wir haben vollen Zugriff auf die Daten. Dadurch, dass der Sender uns die letzte Position des Vogels zeigt, wenn er stirbt, haben wir die Möglichkeit, ihn innerhalb einiger Tage zu finden und am besten von einem pathologischen Institut untersuchen zu lassen. Jeden Tag, 365 Tage im Jahr, wird dreimal in der Online-Datenbank von Mitarbeiter:innen des TB Raab geschaut, ob die Vögel noch leben oder ob es Auffälligkeiten gibt, dass etwa ein Sender sich nicht mehr bewegt. Es ist aber nicht so, dass wir nur schauen, wo der Vogel stirbt, sondern wir verfügen auch teilweise über Sekundendaten, wie etwa die Flugwege der Tiere verlaufen.

Wie muss man sich den Sender vorstellen?

Rainer Raab: Die Besenderung erfolgt mit der modernste Technik – der Sender wiegt nur 26 Gramm – und ermöglicht vieles. Durch das fachgerechte Anbringen des Senders, ist der Einfluss auf den Rotmilan gering. Unser ältester besenderter Rotmilan, den wir selbst besendert haben, ist mittlerweile im 9. Kalenderjahr und hat bisher 17 Jungvögel erfolgreich großgezogen.

Welche Erkenntnisse haben Sie bisher gewonnen?

Rainer Raab: Von den 2.320 Vögeln – ein Großteil hielt sich in Deutschland, Frankreich und Spanien auf – sind inzwischen über 1.000 gestorben. Leider haben wir eine relativ lange Zeitschleife in den Untersuchungen, weil zunächst geschaut werden muss, ob das Tier an Vogelgrippe gestorben ist. Das macht es nicht einfach. Aber von rund 800 wissen wir bereits jetzt, woran sie gestorben sind. Wir haben die Hauptmortalitätsursachen nach Kalenderjahren getrennt, denn ein Jungvogel stirbt an anderen Ursachsen als ein älteres Tier. So stellte sich heraus, dass die meisten Rotmilane durch andere Prädatoren wie Waschbär, Habicht oder Uhu gefressen werden. Das ist die Todesursache Nummer 1. Der zweite Faktor, und das war die große Überraschung unserer Studie, ist eine menschgemachte, illegale Mortalität: Vergiftung oder Abschuss. Tatsächlich ist Vergiftung die zweithäufigste Todesursache. Rund ein Viertel der Tiere stirbt europaweit auf diese Weise. Das kommt meist dadurch zustande, dass Wilderer Giftköder auslegen.

Aber in Deutschland auch?

Rainer Raab: In Deutschland ist es weniger häufig als in Nachbarländern, aber es kommt auch in Deutschland vor. Man muss dazu sagen, dass Deutschland lange das wichtigste Land für den Rotmilan war. Hier hat viele Jahrzehnte die Hälfte der Weltpopulation gelebt. Das ist aber nicht mehr der Fall, weil in Ländern wie der Schweiz oder UK die Population in den letzten Jahren stark zugenommen hat.

Gibt es auch eine auffällige Mortalität an Windkraftanlagen?

Rainer Raab: Der Rotmilan gehört zu den Greifvögeln, die am stärksten von der Windkraft betroffen sind. Derzeit leben schätzungsweise 200.000 Rotmilane in Europa. Ungefähr jeder 250. Rotmilan weltweit ist derzeit besendert. Das ist eine enorme Stichprobe. Was ist die Relevanz der Windkraft? Sie ist nicht Todesursache Nr. 1 (Prädatoren), auch nicht Todesursache Nr. 2 (Wilderer), noch Nr. 3 (Straßen). Auch Kollisionen mit Eisenbahnen, Stromschlag und Kollision mit Stromleitungen sind häufiger als Windkraftanlagen. Wie viele es genau an Windkraftanlagen sind, wird im August bekannt gegeben. Hierbei ist wichtig zu beachten, dass sich diese Stichprobe auf ganz Europa bezieht und ein Großteil der Rotmilane bereits als Nestlinge besendert wurden. Übrigens: Das Tier auf Bleivergiftung zu untersuchen, ist teuer. Das sollte aber auch untersucht werden.

Uns wurde auf Basis neuer Untersuchungs­methoden u. a. von Martin Sprötge, Planungsgruppe Grün, vermittelt, dass die Tiere in der Lage sind, die Wege der Rotoren einzuschätzen, sodass kaum Tiere dort sterben.

Rainer Raab: Das ist richtig. Martin Sprötge macht Untersuchungen mit Laser Rangefinder. Wir haben einen anderen Ansatz, um die genauen Flugrouten zu erfassen – Sekundendaten der Sender. Wie fliegt der Rotmilan tatsächlich? Wir können erkennen, ob der Rotmilan durch den Rotor geflogen ist, darunter oder darüber. Wenn die Vögel nicht reagieren würden auf die Rotoren, dann würde sie je nach Rotortyp wohl bei jedem siebten Durchflug zu Tode kommen. Tatsächlich passiert das aber nicht, weil die Tiere wenige Meter bevor sie kollidieren würden, ausweichen. Rotmilane schauen nicht nur nach unten, sondern auch nach oben. Relativ betrachtet kollidieren Seeadler öfter mit Windenergieanlagen, weil sie zur Jagd nur nach unten schauen. Denn: der Seeadler hat keinen fliegenden Feind in der Natur. Der Rotmilan muss dagegen aufpassen, dass er selbst nicht zur Beute wird. Deshalb schaut er konzentriert auf die Umgebung. Jetzt geht es um die Frage: Ist der Rotmilan zu 98,5 Prozent oder 99,3 Prozent in der Lage, Kollisionen zu umgehen? Es sind nicht 100 Prozent, weil einfach Unfälle passieren. Wenn der Mensch auf der Autobahn fährt, sollten eigentlich auch keine Unfälle passieren, aber sie kommen trotzdem vor. Beim Rotmilan ist es ebenfalls so, dass er dann gegen Rotoren fliegt, wenn er unkonzentriert ist. Bei Jungvögeln könnte auch die fehlende Erfahrung eine Rolle spielen. Zumeist wird jedoch eine Kollision verhindert, da die Rotmilane dem Rotor gut ausweichen können.

Rotmilan im Windpark

Foto: Nabu

Rotmilan im Windpark

Hören Sie Rainer Raab auf folgenden BWE-­Veranstaltungen:

Konferenz Windenergie & Artenschutz, 28. und 29. Juni in Hannover bwe-seminare.de/artenschutz

Windbranchentag Rhein/Main/Saar, 11. Juli 2023 in Wiesbaden, bwe-seminare.de/btrms
Infos und ­Anmeldung: www.wind-energie.de

BWE

Foto: BWE

Rainer Raab, Leiter des Technischen Büros für Biologie (TB Raab GmbH) in Deutsch-Wagram, Österreich

Foto: TB Raab GmbH

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