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Offshore-Branche fürchtet Fadenriss und plädiert für Differenzverträge 

Mit einem klaren Appell zur Geschlossenheit eröffnete BWO-Geschäftsführer Stefan Thimm am Donnerstagabend die politische Talkrunde beim Herbstfest des Bundesverbands Windenergie Offshore (BWO). „Wir erleben gerade eine Phase, in der sich das politische Narrativ verändert“, sagte Thimm. „Klimaschutz war einst der zentrale Rahmen für jede energiepolitische Debatte – heute dominieren Kosten, Versorgungssicherheit und der Netzausbau. Wir müssen darauf achten, dass Offshore-Wind in dieser neuen Prioritätenordnung nicht in den Hintergrund rückt.“

Vor über 150 Branchenvertreterinnen und -vertretern diskutierten anschließend politische und wirtschaftliche Stimmen über die Zukunft des Offshore-Sektors: Jörg Cezanne (Die Linke), Alaa Alhamwi (Bündnis 90/Die Grünen), Dunja Kreiser (SPD), Tetiana Chuvilina (Tennet) und Urs Wahl (EnBW). Im Mittelpunkt standen Fragen nach tragfähigen Investitionsbedingungen, einer verlässlichen Ausbauperspektive und der richtigen Balance von Klima-, Industrie- und Naturschutz.

Ein Jahr der Kurskorrektur

Den Auftakt machte SPD-Energiepolitikerin Dunja Kreiser, die sich entschieden für einen pragmatischen Kurs aussprach: „Klimaschutz darf nicht gegen Industrie oder Arbeitsplätze ausgespielt werden. Wir müssen Monitoring, Naturschutz und Ausbau intelligent zusammenbringen – nur dann bleibt Offshore konkurrenzfähig“, so Kreiser. Sie verwies auf die Notwendigkeit einer „robusten Hafen- und Werfteninfrastruktur“ sowie die Bedeutung grüner Stahlproduktion in Deutschland: „Wir brauchen Investitionen in unsere eigenen Lieferketten, von Hafenarbeit bis Schiffs- und Stahlbau. Das schafft Wertschöpfung hier und stärkt unsere industrielle Basis.“

Alaa Alhamwi (war von 2012 bis 2025 als Energieforscher im Bereich der Energiesystemanalyse tätig, mit einem besonderen Fokus auf die Integration von Flexibilitätsoptionen wie Speichern und grünem Wasserstoff in urbane Energiesysteme – zuletzt beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt) nahm die Worte der SPD-Kollegin beim Stichwort Hafeninfrastruktur auf: „Wir wollen leistungsfähige Häfen, klare Lieferketten und europäische Zusammenarbeit. Energiepolitik kann nicht mehr national gedacht werden – Offshore ist ein europäisches Projekt.“ Er zeigte sich besorgt, dass nach der gescheiterten Offshore-Ausschreibungsrunde ohne Gebote dringend strukturpolitische Reformen nötig seien: „Die Branche braucht Planungssicherheit. Wir müssen das Auktionsdesign überarbeiten, damit der nächste Ausschreibungszyklus nicht wieder zum Desaster wird.“

Kosten, CfD und der Streit ums Auktionsmodell

Urs Wahl, Senior Manager Politik und Regierungsangelegenheiten bei EnBW, legte aus Sicht der Entwickler dar, wo die Risiken aktuell liegen: „Wenn Auktionen scheitern, war das kein Zufall – man sah es kommen. Wir sind der einzige große Markt Europas, der noch keinen zweiseitigen Differenzvertrag (CfD) eingeführt hat. Das schafft Unsicherheit und verhindert Investitionen.“ Die Branche, so Wahl, stehe geschlossen hinter der Forderung nach CfDs ab 2026: „Wir brauchen den gesetzlichen Rahmen, damit wir liefern können – sonst zerreißen wir in der Lieferkette den nächsten Faden, oder besser gesagt: die nächste Perlenkette.“ Tatsächlich hatte der Verband erst Anfang der Woche die einheitliche Linie in Richtung CfD beschlossen. Gleichwohl gibt es Abweichler, große Planer, die auf einen CfD lieber verzichten würden und stattdessen bei hohem Risiko die Chance auf große Gewinne wahrnehmen würden.   

Tetiana Chuvilina (Head of Political Affairs and Community Relations, Tennet) bestätigte die Sorge aus Netzbetreibersicht: „Die Stromnetze werden derzeit mit Milliarden ausgebaut, aber ohne stabile Ausbaupfade für Offshore riskieren wir Ineffizienz. Ein Offshore-Netzanschluss kostet sechs Milliarden Euro oder mehr – wir müssen diese Kapazitäten effizient ausnutzen.“ Es brauche daher Konzepte, um Stromdichte und Flächeneffizienz zu verbessern: „Wenn wir durch intelligentes Flächendesign vier bis sechs Anbindungen einsparen, entlastet das Endkundenpreise und das System gleichermaßen.“

Jörg Cezanne (Die Linke) knüpfte hier an, forderte jedoch eine stärkere politische Verantwortung: „Wir reden über Milliardeninvestitionen, die derzeit von privaten Netzmonopolisten getragen werden. Das kann auf Dauer nicht die günstigste Lösung sein. Wir brauchen eine öffentliche, gemeinwohlorientierte Struktur – ob in den Häfen, bei Netzen oder im Offshore-Ausbau.“ Energie dürfe, so Cezanne, „nicht nur durch den Markt, sondern durch strategische Industriepolitik gesteuert werden.“

Zwischen Umweltauflagen und Wettbewerbsfähigkeit

Ein zentrales Diskussionsthema blieb die Balance zwischen Umweltschutz und Ausbaugeschwindigkeit. Immer wieder fiel der Begriff evidenzbasierte Abschaltung von Windrädern bei Zugvogelzug – ein Streitpunkt zwischen Regenerativfirmen und Behörden.

Kreiser betonte, Naturschutz sei „nicht zur Disposition, aber integrierbar in eine moderne Genehmigungspolitik“. Der BWO hatte zuvor angemahnt, dass Behörden nicht ohne sachliche Grundlage Abschaltungen anordnen dürften. Chuvilina und Wahl verwiesen auf die praktischen Folgen: „Abschaltungen in windstarken Phasen bedeuten faktisch Kohle im System – das können wir uns klimapolitisch nicht leisten.“

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Versorgungssicherheit, Speicher und grüne Leitmärkte

In der zweiten Diskussionsrunde rückten Versorgungssicherheit und Marktdesign in den Fokus. „Wir dürfen nicht riskieren, dass Speicherausbau und Wasserstoffstrategien hinterherhinken“, warnte Kreiser. Das Wasserstoff-Thema solle laut Bundesregierung künftig im „Wasserstoffbeschleunigungsgesetz“ verankert werden. Cezanne forderte: „Wir haben keine Zeit, Regularien aufzusplitten. Wenn Deutschland beim grünen Wasserstoff nicht endlich liefert, kippt die Umstellung der Industrie.“

Alhamwi zeigte sich optimistischer: „Das große Potenzial der Offshore-Windenergie liegt in ihrer Rolle als Rückgrat der Energiewende. Wir brauchen nur endlich eine klare Synchronisierung mit Netzausbau und Wasserstoffwirtschaft.“

Branche mahnt Strukturstabilität an

Im Publikum meldete sich auch die Industrie zu Wort: Wie lassen sich steigende Investitionskosten und Strompreise ausgleichen? Tetiana Chuvilina schlug vor, Effizienzsteigerungen nicht nur bei den Anlagen, sondern auch bei Systemstrukturen zu suchen: „Wir müssen ausgewogene Leistungsdichten finden – kein Zuviel an Fläche, aber eine sinnvolle Überbauung, damit unsere Milliardeninvestitionen sich amortisieren.“ Urs Wahl ergänzte: „Die Branche ist bereit, gemeinsam mit Politik und Verwaltung Lösungen zu entwickeln. Aber wir brauchen Geschwindigkeit und Berechenbarkeit. Briefe an Ministerien reichen nicht mehr – wir brauchen Entscheidungen.“

Nach knapp einer Stunde intensiver Debatte zog BWO-Geschäftsführer Thimm ein positives Fazit, es sei deutlich geworden, dass es einen breiten Konsens gibt – Offshore-Wind bleibe Rückgrat und Hoffnungsträger der Energiewende. Aber man müsse sich der Realität stellen: Der Ausbau werde nur gelingen, wenn Wirtschaft, Politik und Verwaltung eng abgestimmt an realistischen, aber ambitionierten Zielen arbeiten.

Wahlen im Bundesverband – personelle Weichenstellung

Der BWO gab zudem die Ergebnisse seiner Vorstandswahlen bekannt: Der Bundesverband Windenergie Offshore hat Holger Matthiesen, Director Offshore Wind & Green Hydrogen bei Luxcara, in den Vorstand gewählt. Er folgt auf Jost Backhaus, der zur Juwi Group wechselt. „Holger Matthiesen bringt wertvolle internationale Erfahrung in Entwicklung, Bau und Betrieb von Offshore-Windparks mit“, erklärte BWO-Vorstandsvorsitzende Irina Lucke. „In einer Phase, in der wir Lösungen für Lieferkette und Investitionsbedingungen suchen, ist sein Know-how eine ideale Ergänzung.“ Matthiesen sagte zu seiner Wahl: „Ich freue mich auf die Aufgabe. Offshore-Wind ist Schlüssel für Wertschöpfung, saubere Energie und sichere Arbeitsplätze in Deutschland.“ Geschäftsführer Stefan Thimm dankte dem scheidenden Vorstandsmitglied Jost Backhaus für dessen Engagement und Beiträge zur industriepolitischen Ausrichtung des Verbandes. Neben Irina Lucke gehören dem BWO-Vorstand weiterhin der stellvertretende Vorsitzende Till Frohloff (Nordsee One) und Finanzvorstand Jörg Kubitza (Ørsted Germany) an. Mit Matthiesens Berufung und der lebhaften Talkrunde setzte der Verband deutliche Signale: Offshore-Wind bleibt der Schlüssel zur deutschen Energiewende – unter der Voraussetzung, dass Politik und Branche endlich an einem Strang ziehen.