Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Alpha Ventus

Startschuss: Millionen Watt wandern durch die Nordsee

An ihren Türmen bricht sich das Wasser, neunzig Meter darüber kreisen die Rotoren. Umgeben nur vom Horizont teilen sich zwölf Windenergieanlagen vier Quadratkilometer der Nordsee. Nach zwei Stunden Fahrt mit dem gecharterten Versorgungs-Katamaran Wind Force 1 erreichen Techniker, Projektleiter und andere Beteiligte am Pilotprojekt Alpha Ventus den Windpark. Einige von ihnen treten die Reise zum 45 Kilometer nördlich von Borkum gelegenen Windfeld das erste Mal an.

Mit 25 Knoten peitscht der Katamaran über die ruhige See, seine Besatzung ist gespannt auf die Ankunft und stolz über den geglückten Aufbau. „Das ist absolut faszinierend, wenn man von Anfang an dabei war und dann endlich den fertigen Park vor Augen hat“, sagt Ralf Lamsbach, Geschäftsführer der Deutschen Offshore-Testfeld und Infrastruktur GmbH amp; Co. KG (DOTI), die für Planung und Realisierung des Projektes verantwortlich war. Für ihn ist es bereits der vierte Besuch des Offshore-Feldes und er ist stolz – gleichwohl das Projekt einige Hürden durchlaufen musste, mit denen die Beteiligten nicht rechnen konnten. Das größte Problem millionenschwerer Pilotprojekte: „Wir konnten nicht auf Erfahrung zurückgreifen“, sagt Lamsbach, der als einer der drei DOTI-Geschäftsführer für Projektstatus, Zeitplan und Kosten verantwortlich war. Das Equipment war nicht speziell für Offshore-Windparks konzipiert und das Wetter durchkreuzte mehr als einmal den Zeitplan. „Bei Tagesmieten für Errichterschiffe bis 150.000 Euro wird man sensibel.“

Erster Strom seit August


250 Millionen Euro hat Alpha Ventus am Ende gekostet, rund 70 Millionen mehr als ursprünglich geplant. Die ersten Kilowattstunden hat der Windpark bereits im August letzten Jahres ins Stromnetz eingespeist, als die ersten drei Multibrid M5000 ans Netz gingen. Die letzte Multi­brid-Anlage hat im November ihren Betrieb aufgenommen und seit der Inbetriebnahme der zwölften Windenergieanlage, einer Repower 5M, ist das Windleistungsportfolio von 60 Megawatt vollständig.

Ende April ist die Inbetriebnahmephase für die Windenergieanlagen bereits abgeschlossen. Dennoch fahren Techniker fast jeden Tag in das Windfeld, um letzte Anpassungen vorzunehmen. Am 26. April holen sie verschiedenes Equipment vom Umspannwerk ab und bringen letzte Gerüstteile einer Repower-Turbine wieder an Land.

Der Kapitän drosselt die Maschinen und steuert mit seiner Restgeschwindigkeit das Umspannwerk an. Die Spitze der Wind Force 1 ist zum besseren Andocken an die runden Stahlrohre der Gründungskonstruktion (Jacket) von Umspannwerk und Windturbinen angepasst. Eine Handbreit Gummi kleidet die Einbuchtung der Wind Force 1 aus, um die wirkenden Kräfte beim Andockmanöver zu dämpfen. Der Kapitän hält Kurs auf das Umspannwerk, ein kurzer Stoß und plötzlich steht der Katamaran still im Wasser. Während die Heckpropeller kontinuierlich Schub gegen die Jacketkonstruktion der Plattform geben, haben die Techniker genug Zeit auf die Anlage zu steigen. Dann kehrt der Kapitän den Schub um und die Wind Force 1 entfernt sich vom Umspannwerk.

Zwar ist der Katamaran speziell für die Versorgung bei Service und Wartung in der Nordsee ausgelegt, wo er rauen Bedingungen trotzt und zudem das flache Wattenmeer befahren kann, dennoch lässt das Wetter nur an rund 75 Tagen im Jahr seinen Einsatz zu. Mit dem Helikopter haben sich die Projektplaner einen verlässlichen, zusätzlichen Weg erschlossen, mit dem sie jährlich an rund 220 Tagen für Service, Wartung und Reparatur auf See gelangen können.

Auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen nahm den Dienst des Helikopters in Anspruch – bei bestem Wetter, zur offiziellen Inbetriebnahme des Windparks. Zusammen mit den Vorstandsvorsitzenden der beteiligen Energieversorger Wulf Bernotat (Eon), Werner Brinker (EWE) und Tuomo Hattaka (Vattenfall Europe) flog er zur Umspannplattform im Windpark, auf deren Deck bereits der symbolische Buzzer, ein grüner Startknopf zur Inbetriebnahme, wartete. Gekleidet in gelbe Overalls und mit vorschriftsmäßig angelegter Rettungsweste gaben sie den Windpark offiziell für die Produktion von Offshore-Ökostrom frei. „Beim Bau von Alpha Ventus werden die gesammelten Erfahrungen allen künftigen Offshore-Windparks zugute kommen“, sagt Röttgen. Dafür wurde Alpha Ventus konzipiert. „Die Wirtschaftlichkeit ist zweitrangig“, sagt auch DOTI-Geschäftsführer Lamsbach. Die Forschungsinitiative des Bundesumweltministeriums Research at Alpha Ventus, kurz Rave, hat bislang jede Projektstation begleitet. Die Forschung bei Rave geht von Tragstrukturen über die Anlagentechnik bis zu Windmessungen und einer breit gefächerten ökologischen Begleitforschung. Das hierzu aufgebaute Wissen soll anderen Projektentwicklern später zur Verfügung stehen und helfen, ihre Projekte effizient durchzuführen. „Der Informationsaustausch läuft langsam an, auf Konferenzen erzählt auch unser Gesamtprojektleiter viel über die Tücken, die ein solches Projekt birgt“, sagt Alpha-Ventus-Sprecher Lutz Wiese. Er räumt aber ein, dass bislang noch nicht konkret geplant ist, wann andere Interessenten welche Betriebsdaten vom Windpark erhalten. „Noch sind wir in der Anfangsphase und müssen zunächst Datenmaterial sammeln.“

Rauhe Bedingungen – Die Nordsee ist anspruchsvoll


Über die Tücken des Windparkbaus haben die Beteiligten bereits viel zu berichten. „Wir haben eine riesige Lernkurve durchlaufen“, sagt Irina Lucke, Teilprojektleiterin des Offshore-Umspannwerks und zuständig für die Verkabelung innerhalb des Windparks. Im Schnitt brauchte ihr Team eineinhalb Tage für die Kabelverbindung zwischen zwei Windenergieanlagen. In 30 Metern Tiefe spülten sie jedes der 800 Meter langen Kabel einen Meter tief ein. Vieles in der Planung sei aufgegangen wie gewollt, aber das Wetter hat das Team vor große Herausforderungen gestellt. „Die kommenden Offshore-Windpark-Entwickler müssen sich darüber bewusst werden, dass die Nordsee unter allen Weltmeeren das anspruchsvollste Gebiet für Windparkprojekte ist. Wer in der Nordsee arbeiten darf, darf überall arbeiten“, erläutert Lucke. Schnelle Wetterumschwünge, bis zu zehn Meter hohe Wellen und starke Winde – die Anlagenbauer mussten jeden Tag mit neuen Widrigkeiten rechnen. Auch hatte der extrem kalte Winter die Arbeiten hinausgezögert. „Gefährlich lange Eiszapfen hingen im Winter an den Blättern der schneebedeckten Turbinen – da mussten wir die Arbeit unterbrechen“, sagt Lucke.

Bei den kleinen Zeitfenstern, die das Wetter zulässt, dürfen sich die Projektierer keine Fehler in Organisation und Equipment leisten. Ralf Lamsbach schildert, dass selbst kleine Details manchmal großen Ärger bereiten können: Als noch keine Wind Force zur Verfügung stand, wollten die Techniker mit einem Schlauchboot die letzten Meter vom Schiff zu den Windenergieanlagen überwinden. „Wir hatten nur ein Boot auf dem Schiff und das war defekt.“ Ein Tag ging verloren, aber seitdem hat das Team seinen Schlauchbootbestand aufgerüstet.

Die wichtigste Anschaffung für eine hohe Erreichbarkeit bleibt der Helikopter, der etwa bei jedem dritten Besuch des Windparks zum Einsatz kommt. Bei der Offshore-Logistik sieht Lamsbach Entwicklungsbedarf, denn die verfügbaren Kranschiffe und Hubinseln sind nicht für Windenergieanlagen gemacht. „Man braucht ein Schiff zum Rammen der Pfähle, ein weiteres transportiert die Windenergieanlagen und ein Drittes hebt die Bauteile an ihre Position.“ Nur wenige Geräte seien für den Bau von Windenergieanlagen geeignet. Um effizienter zu arbeiten brauche man eigenes Equipment. Die Beteiligten von Alpha Ventus halten das Konzept der Bard Gruppe deshalb für sinnvoll. Das Unternehmen baut schrittweise eine eigene Flotte speziell für die Errichtung und die Versorgung von Offshore-Windparks auf.

Gondeltausch bei der M5000


Nach den überstandenen Widrigkeiten blickt Lamsbach zuversichtlich in die Zukunft: „Schon im Probebetrieb haben die Anlagen ein gutes Leistungsverhalten gezeigt.“ 500 Stunden mussten die Windturbinen absolvieren, um die Fehlerfreiheit ihrer Komponenten unter Beweis zu stellen. Der Probebetrieb verlief ohne nennenswerte Komplikationen; bis auf einen Ausreißer. Im November musste die komplette Gondel einer Multibrid M5000 ausgetauscht werden. „Die Schmierölzufuhr war defekt“, erklärt Lamsbach. Auf Anfrage von ERNEUERBARE ENERGIEN erläutert Multibrid-Geschäftsführer Félix Debierre die Ursache: „Bei den Untersuchungen fanden wir einen Fremdkörper in der Ölzufuhr. Dieser hat sich während des Probebetriebs gelöst und im Schmierölsystem festgesetzt.“ Wegen des Turbinenkonzeptes mit integriertem Triebstrang, in dem Gussteile, Getriebe und Generator fest miteinander verbunden sind, konnten die Komponenten nicht einzeln getauscht werden. Debierre bekräftigt, dass das Problem nicht auf Konstruktion und Design zurückzuführen ist, im Gegenteil ermögliche das Konzept ein leichtes Gondelgewicht und einen besseren Komplettaustausch. Multibrid hat mit seinen Kunden und Lieferanten bereits Maßnahmen abgestimmt und wird mehr Qualitätskontrollen in der Produktionskette durchführen. Außerdem will das Unternehmen bis zum Frühjahr 2011 einen Teststand für Windenergieanlagen errichten, in dem jede Anlage mechanisch auf Volllast gebracht wird, um Fehler im Betrieb ausschließen zu können.

Die Multibrid-Anlagen sollen laut Unternehmen im Windpark Alpha Ventus trotz des Gondeltausches eine Verfügbarkeit von 97 Prozent erreicht haben. Seit der ersten Inbetriebnahme im August erzeugten die sechs Anlagen über 60 Millionen Kilowattstunden Strom.

Zwar ist Alpha Ventus nicht primär auf Wirtschaftlichkeit ausgelegt, dank EEG-Vergütung kann sich die Investition von 250 Millionen Euro jedoch innerhalb der zwanzigjährigen Laufzeit amortisieren. In den ersten 13,5 Jahren erhält der Windpark 15 Cent für jede eingespeiste Kilowattstunde. Der Zeitraum für die höhere Anfangsvergütung liegt normalerweise bei zwölf Jahren, wegen des Abstands von Alpha Ventus zur zwölf Seemeilenzone und der dort herrschenden Wassertiefe sieht das EEG eine Verlängerung dieser Zeit vor. 220 Gigawattstunden prognostiziert das DOTI-Konsortium aus EWE, Eon und Vattenfall an jährlicher Energieausbeute. Abzüglich der vom Netzbetreiber Transpower angegebenen Übertragungsverluste von 4,5 Prozent bleiben 210 Gigawattstunden. Nach einer Laufzeit von 13,5 Jahren, hat der Windpark bereits eine Gesamtvergütung von rund 350 Millionen Euro erwirtschaftet, inklusive der jährlichen Degression von fünf Prozent ab 2015.

Während die Mühlen von Alpha Ventus nach sieben Monaten Bauzeit und jahrelanger Vorbereitung endlich Ökostrom aus dem Meer liefern, blickt Ralf Lamsbach bereits auf sein nächstes Projekt. Er will den 400-Megawatt-Windpark Amrum Bank West vom Papier bis zur Baureife nördlich von Helgoland begleiten. Bis Mitte 2011 soll eine Investi­tionsentscheidung fallen. „Die Kosten pro Megawatt sollen dann nur drei Millionen Euro betragen, ein Viertel weniger als bei Alpha Ventus.“ So könnten sich Offshore-Windparks von Projekt zu Projekt den Windparkkos­ten an Land langsam angleichen. 


Denny Gille