Jetzt also die Rolle rückwärts bei der Energiewende. So schnell schon. Eben noch durfte man mutmaßen, dass es vielleicht gut sein könnte, im Energie- und Wirtschaftsministerium eine erfahrene Energie-Frontfrau zu haben, eine ehemalige Energiestaatssekretärin und Eon-Managerin. Nun hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sich für den schnellen Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland ausgesprochen. Geplant sei eine Ausschreibung von mindestens 20 Gigawatt (GW), um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Ampel hatte zuvor die Hälfte, also 10 GW, angepeilt.
Warum ist das Quatsch? Versorgungssicherheit ist doch gut… Stimmt, aber die Versorgungssicherheit erhöht sich in Deutschland nicht, wenn die Abhängigkeit von Autokraten und Kriegstreibern erhöht wird. Deutschland hatte gut daran getan, dem russischen Gas eine Absage zu erteilen. Allerdings durften wir gleich feststellen, dass sich die fossilen Importe nicht so schnell durch heimische Quellen ersetzen lassen. Nun also kommt ein Teil unseres Bedarfs aus arabischen Staaten und ein weiterer Teil leider über Putins sogenannte Schattenflotte immer noch aus Russland. Weder ist es schön, Diktatoren und Kriegstreibern Geld für ihr schmutziges Geschäft in den Rachen zu schmeißen. Noch sind solche Partnerschaften als sichere Versorgung zu bewerten. Und genau diese Situation will Katherina Reiche nun also mit 20 Gigawatt an neuen Gaskraftwerken zementieren.
Ganz zu schweigen davon, dass wir auf diese Weise zwangsläufig unseren Pfad in Richtung Klimaneutralität 2045 aufgeben. Denn wer jetzt neue Gaskraftwerke plant, will diese nicht nur in den äußerst seltenen Fällen einer Dunkelflaute als Backup zuschalten. Denn damit ließe sich keine Wirtschaftlichkeit erzielen.
Was soll also der Unfug? Reiche verweist hier auf die alte Geschichte von der unsicheren Versorgung durch erneuerbare Energien. Dieser älteste Hut der Welt ist durch unendlich viel Studie widerlegt worden. Wir verfügen über zahlreiche Technologien, die das Netz stützen und bei Schwankungen in der Wind- und Solarproduktion für Stabilität sorgen. Biomasse-, Wärme-, Pumpspeicher- und vor allem Batteriegroßkraftwerke können hier schnell und flexibel bei Bedarf zugeschaltet werden. Kurzfristige Schwankungen bei Erzeugung und Verbrauch können somit ausgeglichen werden, um die Netzfrequenz stabil zu halten. Flexibilisierte Biogasanlagen könnten bis zu 24 GW Backup-Kapazität beisteuern. Großbatteriespeicher werden für kurzfristige Schwankungen ausgebaut, bis 2045 sind 45 bis 54 GW Batteriespeicher vorgesehen.
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Ja, aber der Blackout in Spanien. Zu viel Wind und Solar, oder? So jedenfalls Reiches Argumentation für ihre Gaskraftwerke. Die Antwort lautet: Nein, es ist noch nicht geklärt, wie der Zusammenbruch zustande kam. Ein Hackerangriff wurde von der Regierung allzu schnell ausgeschlossen. Gleichwohl, eine Absicherung gegen Störungen sollte auf unterschiedliche Weise geregelt werden. Bei plötzlichen Ausfällen von Erzeugern oder Netzteilen braucht es sofort verfügbare Leistung. Deshalb gibt es schon lange die Pflicht zur Kurzschlussfähigkeit von Windturbinen. Diese dürfen sich nicht zum eigenen Schutz ausschalten, wenn es einen Netzkurzschluss gibt, sondern müssen das Netz mit der Abgabe von Blindleistung stützen. Darüber hinaus ist es aber auch wichtig, autonome Netzregionen in Deutschland zu entwickeln, sodass sich ein Netzzusammenbruch zum Beispiel durch einen Hackerangriff nicht unbegrenzt fortsetzen kann. Eine Entwicklung der Netzinfrastruktur, die bei Bedarf zu autonomen Regionen geschaltet werden können, hätte in Spanien den Schaden eingegrenzt. Ohnehin ist die dezentrale Versorgung durch viele kleine Kraftwerke ein besserer Schutz gegen einen vollen Netzzusammenbruch, als wenn es nur wenige große Kraftwerke gibt, auf die sich ein terroristischer Anschlag konzentrieren könnte.
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Aber wofür werden Backup-Kraftwerke dann überhaupt gebraucht? Sie kommen ins Spiel im seltenen Fall einer zweiwöchigen Dunkelflaute, weil Batterien und Pumpspeicher nicht so lange Leistung vorhalten können. Gas und Wasserstoff können hingegen gespeichert werden und solche Phasen überbrücken. Wieviel Backup-Leistung 2045 benötigt wird, beziffern Institute ganz unterschiedlich. Je nachdem, ob sie Netzstabilisierung und einen saisonalen Ausgleich einbeziehen. Im Winter ist der Strombedarf oft hoch, während die Solarproduktion niedrig ist. Überschussstrom aus Windenergieanlagen kann in Wasserstoff umgewandelt und gespeichert und bei Bedarf genutzt werden. Aber auch thermische Speicher könnten als Power-to-Heat-Variante Windstrom als Wärme in Wasserbecken speichern und auf diese Weise saisonale Schwankungen ausgleichen – sowie überhaupt einen Beitrag zur kommunalen Wärmewende leisten. Im Windland Dänemark wird diese Methode schon lange eingesetzt.
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Das Ariadne-Projekt nennt zum Beispiel für 2045 einen Bedarf an Backup-Kraftwerken von rund 90 GW, die nur selten, aber in kritischen Situationen benötigt werden. Neben dem Fall einer Dunkelflaute wird hier aber auch wie oben beschrieben ein Nachfragehoch zum Beispiel durch Wärmepumpen im Winter und geringe Flexibilität durch zu wenig Speicher und Importen eingerechnet. Eine Studie von Aurora Energy Research im Auftrag von EnBW geht von einem Bedarf an wasserstofffähigen Gaskraftwerken im Jahr 2045 in einer Größenordnung von 55 GW als Backup aus. Damit wären wir eher in dem Bereich dessen, was die Ampel mit einem Zubau in einer Größenordnung von zehn GW vorgesehen hatte.
Die Union, die gelegentlich genau aufs Geld schaut, sollte hier noch einmal mit gespitztem Bleistift rechnen. Denn der Unterschied, ob man 10 oder 20 GW vorhalten will, hat es preislich in sich: Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft FÖS hat im April in einer Kurzanalyse berechnet, was eine Erhöhung der Kapazität neuer Gaskraftwerke von bisher geplanten 10 auf 20 Gigawatt bedeutet: Die Förderkosten für die erweiterte Strategie könnten sich auf 22,2 bis 32,4 Mrd. Euro belaufen – während ursprünglich 15,6 Mrd. Euro für die Förderung neuer Gaskraftwerke veranschlagt wurden. Werden die Kosten auf die Strompreise umgelegt, könnte die Umlage bis zu 1,6 ct/kWh betragen.
Also bitte: Erstmal Hausaufgaben machen. Das heißt Netzausbau entschlossen anpacken. Und die Hürden für Batteriespeicher und grünen Wasserstoff abbauen.

Silke Reents