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Große Koalition

Neun Gründe für ein Scheitern unserer Klimaschutzpolitik

Der Systemanalytiker Joachim Nitsch vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart hat im Auftrag des Bundesverbands Erneuerbare Energie die Ziele im Energiekonzept der Bundesregierung von 2010/2011 für Effizienzsteigerung und Ausbau erneuerbarer Energien mit den Ankündigungen der großen Koalition verglichen. Das Ergebnis ist alarmierend.

Der deutsche Beitrag für den europäischen Klimaschutz solle eine Reduktion der Treibhausgase bis 2050 um 80 Prozent sein. Eine regenerative Vollversorgung sowie 95 Prozent Treibhausgasminderung sollen bis 2060 erreicht sein. Die bisherigen Aktivitäten der großen Koalition (Groko) deuten darauf hin, dass dies nicht gelingt. Warum?

1) Falsche Ziele

Die Zwischenziele bis 2020 sind von der Groko massiv aufgeweicht worden: Statt einer Treibhausgasreduktion um 40 Prozent, will Groko nur noch 31,4 Prozent erreichen. Statt minus 20 Prozent Primärenergieverbrauch gegenüber 2008 sind es jetzt nur noch elf Prozent, die eingespart werden sollen, beim Strom nur noch vier statt zehn Prozent, beim Verkehr gar nur noch zwei statt zehn Prozent, bei Gebäudewärmebedarf nur noch elf statt 20 Prozent. Bei den Erneuerbaren gibt man sich mit einem Anteil von 16,4 Prozent am Bruttoendenergieverbrauch zufrieden statt mit 18 Prozent. Joachim Nitsch dazu: „Der Koalitionsvertrag fällt weit hinter die Vereinbarungen des Energiekonzepts 2011 zurück; die Ziele 2020 werden verfehlt; langfristiger Klimaschutz ist völlig offen.“

2) Versäumnisse lassen sich nicht aufholen

Mit einer Politik gemäß dem Szenario der Groko wird der Einstieg in den erforderlichen CO2-Reduktionspfad deutlich verfehlt; ein späteres Einschwenken kann heutige Versäumnisse kaum aufholen. Statt der für 2030 geplanten 55 Prozent CO2-Reduktion und der für 2040 vorgesehenen 70 Prozent wird man selbst 2030 noch nicht die 40 Prozent erreicht haben. Bis 2050 sind es laut Joachim Nitsch dann nur 61 Prozent statt 80. Statt einer Effizienzwirkung von 47 Prozent wird die Regierung beim aktuellen Kurs nur 30 Prozent erreichen.

3) Bei Verkehr und Wärme fehlen Impulse

Die Energiewende wurde bisher lediglich im Stromsektor angetreten. Und das auch nur durch den Ausstiegsbeschluss zur Kernenergie und durch die vom Erneuerbare-Energien-Gesetz ausgelöste Wachstumsdynamik des Regenerativstroms angestoßen. Im Wärmesektor, der immerhin 50 Prozent der CO2-Emissionen ausmacht, und im Verkehr, auf den 22 Prozent der CO2-Emissionen entfallen, ist eine Energiewende derzeit nicht in Sicht. Der Regenerativausbau erfährt im Wärme- beziehungsweise Verkehrsbereich keine neuen Impulse, dort sieht die Regierung nur 13 Prozent beziehungsweise 6,5 Prozent Regenerativanteil für 2020 vor. Zum Erreichen der Klimaziele würden aber 16 bei der Wärme beziehungsweise 10 Prozent im Verkehr gebraucht. Statt die Energiewende bei Effizienzsteigerung, Wärmeversorgung, Kraft-Wärme-Kopplung und Verkehr zu stärken, bleibt der Koalitionsvertrag hier sehr allgemein und unverbindlich.

4) Gebremster Zubau Erneuerbarer

Im Stromsektor wirken der beschriebene Korridor (siehe 1.) und der geplante Zubaudeckel bei den Erneuerbaren mittelfristig stark bremsend. Der verbindliche Regenerativenergieanteil laut EU-Richtlinie von 2009 von 18 Prozent für Deutschland im Jahr 2020 wird so nicht erreicht. Konstante Obergrenzen des Bruttozubaus von 2.500 Megawatt pro Jahr laut EEG-Eckpunktepapier bringen nach 2025 ein weiteres Netto-Wachstum von Wind und PV weitgehend zum Erliegen.

5) Fehlende Strategie

Der Koalitionsvertrag lässt eine schlüssige Strategie vermissen, damit eine Transformation aller energetischen relevanter Sektoren in den nächsten Jahrzehnten bewältigt werden kann. Damit fällt der Koalitionsvertrag hinter die Festlegungen des Energiekonzepts des Jahres 2011 zurück. Die dort beibehaltene Zielsetzung von einer CO2-Reduktion um 80 Prozent bis 2050 ist völlig unrealistisch.

6) Fokus auf EEG statt Gesamtkonzept

Im Eckpunktepapier zum EEG vom 17. Januar hat die Regierung angekündigt, bei der weiteren Umgestaltung des Stromsektors die Anpassung des EEG isoliert von der erforderlichen Umgestaltung des Stromsektors zu verfolgen.

7) CO2-Preis zu niedrig

Ein Aspekt, der die gesamte EU betrifft, sind die niedrigen CO2-Preise, die für einen völlig wirkungslosen Emissionshandel verantwortlich sind. Ehrgeizigere EU-Minderungsziele oder CO2-Mindestbesteuerung würden für höhere CO2- Preise sorgen. Das wiederum würde Effizienzpotenziale mobilisieren, weil eine Reduzierung des Energieverbrauchs zu spürbaren finanziellen Einsparungen führen würde. Das würde auch für fairere Marktbedingungen für die erneuerbaren Energien sorgen und im fossilen Bereich Gaskraftwerke attraktiver als Kohlemeiler machen.

8) Neubau von Kohlekraftwerken

Ein Einhalten der Regenerativziele der Regierung von 36 Prozent bis 2020 und 43 Prozent bis 2025 bedeutet ein Ausbremsen der bisherigen Wachstumsdynamik von Regenerativstrom. „Dies wäre indirekt eine Bestandsgarantie für die Stromerzeugung aus Kohle“, sagt Nitsch. Sinnvoll wäre es für den Klimaschutz, den Neubau von Kohlekraftwerken zu stoppen, neben Kernkraftwerken auch alte Kohlekraftwerke rasch stillzulegen. Marktanreize zum Beispiel durch Kapazitätsprämien sollten nur für sehr effiziente und flexible Kraftwerke, insbesondere Kraft-Wärme-Kopplung (KWK-Gesetz novellieren) gelten.

9) Kahlschlag beim EEG

Der von der Regierung geplante Kahlschlag bei den Erneuerbaren lässt die Klimaziele in weite Ferne rücken. Stattdessen sollte die Großindustrie angemessen an der EEG-Umlage beteiligt werden; auf eine Deckelung der Erneuerbaren sollte verzichtet werden; Windkraft im Binnenland sollte angemessen vergütet werden. Das heißt, das Referenzmodell sollte mit Augenmaß angepasst werden; Gleiches gilt für die verpflichtende Direktvermarktung und Ausschreibungen. (Nicole Weinhold)