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Bitte mehr Autonomie!

Nicole Weinhold

Frank Bomarius, stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer IESE, erklärt, was bei unserer Netzinfrastruktur verändert werden muss, damit die Energiewende umgesetzt werden kann.

Sie sagen: Der steigende Anteil aus Erneuerbaren macht Überlegungen hinsichtlich einer an diese fluktuierende Versorgung angepasste, autonome Netzsteuerung unabdingbar. Warum? Was bedeutet hier der Begriff autonom?

Frank Bomarius: Autonomie bedeutet, lokale Anpassungsentscheidungen fällen zu können. Wir hatten in der Vergangenheit ein zentral gesteuertes System. Das funktionierte so lange gut, wie man die großen Kraftwerke zentral hatte. Jetzt haben wir aber bereits überwiegend dezentrale Erzeugung, die auch noch fluktuierend ist. Man kann das mit dem Verkehr auf den Straßen vergleichen. Zu bestimmten Zeiten fließen Ströme in unterschiedliche Richtungen. Das zentral zu steuern, ist unsinnig, weil Sie extrem viel Wissen an einem Punkt zusammenziehen müssen.

Die Alternative ist, Steuerungsentscheidungen lokal beziehungsweise regional, jedoch in Abstimmung zu fällen. Ich rede nicht von Autarkie, sondern ich möchte eine begrenzte Autonomie auf gewissen Netzbereichen haben, sodass jeder Bereich für sich nach eigenen Zielvorgaben steuern kann – aber immer in Abstimmung mit Nachbarn, beziehungsweise über- und untergeordneten Ebenen. Dann kommt man zu modularen Strukturen, bei denen jede Einheit eine gewisse Autonomie hat. Solange alles im grünen Bereich ist, können diese steuern, wie sie wollen. Aber sobald von außen gesagt wird, dass die Versorgungsqualitäten nicht mehr gegeben sind, muss man zum Wohle des Gesamtsystems angepasst nachregeln.

Wir haben jetzt über die Steuerung im Normalbetrieb gesprochen. Was aber ist, wenn das System durch Naturkatastrophen oder Cyberangriffe betroffen ist? Dann ist ein zentrales System leichter angreifbar als etwas, das regional, dezentral verankert ist.

Ist das nicht sogar ein Hauptgrund für die Forderung nach Autonomie?

Frank Bomarius: Es gibt viele Gründe. Möchten Sie, dass eine zentrale, deutschland- oder gar europaweite Steuerung Ihnen sagt, wann Sie warmes Wasser benutzen oder Ihr Auto laden dürfen? Wenn das Windrad nebenan Strom produziert, dieser aber nicht vor Ort genutzt werden kann, sondern exportiert werden muss, ist das kein ideales System. Es gibt unterschiedliche Optimierungskriterien, die durch autonome Netze zeitlich und regional angepasst umgesetzt werden können. Meine Meinung ist, man sollte weitgehend lokal optimieren und dabei Durchleitung minimieren. Die großen Energiemengen aus Offshore-Parks in der Nordsee müssen natürlich weiträumig transportiert werden. Aber gleichzeitig sollte man die lokale Erzeugung möglichst auch lokal verbrauchen.

Ist das von der technischen Seite her ein Problem?

Frank Bomarius: Wir haben das längst. Wenn Sie schauen, was die Energieversorger tun, dann optimieren diese natürlich schon immer. Aber sie tun das nach hergebrachten Marktgesichtspunkten (Preise) in unterschiedlichen Zeithorizonten: year ahead, day ahead und so weiter. Jetzt gibt es aber zusätzliche Kriterien wie CO2-Vermeidung, Emissionshandel, Optimierung lokaler Verbräuche oder die Erzeugung von Gasen.

Die Verteilnetzbetreiber haben bisher keinen Anreiz, um sich stärker in Richtung regionale Autonomie zu entwickeln, oder?

Frank Bomarius: Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler, aber für mich hat das ganz klar mit der Incentivierung zu tun. Momentan verdienen sie ihr Geld durch optimierte Auslastung ihrer Netze. Was wir gerade besprochen haben, kann aber bedeuten, dass man wenig durchleiten möchte, um Kosten und Energieverluste zu reduzieren. Das heißt, es müssen Anreize angepasst werden, dass der Netzbetreiber ein möglichst ausgeglichenes Netz unter den neuen Randbedingungen betreibt. Damit kommt eine veränderte Aufgabe auf den Netzbetreiber zu. Er kann sein regionales Netz autonom steuern, indem er beispielsweise Anlagen, Firmen, Häuser entsprechend ansteuert.

Dafür ist eine umfassende digitale Transformation nötig, sagen Sie.

Frank Bomarius: Wenn wir die autonome Steuerung umsetzen wollen, brauchen wir Daten, nach denen wir steuern können. Wir brauchen vermutlich eine viel größere Menge an Messpunkten, um genauer zu wissen, wann was wohin fließt. Wir brauchen aber auch Informationen über geplante oder prognostizierte Erzeugungen und Verbräuche. All dies gibt es ansatzweise und muss nun umfassend eingesetzt werden, um Verfügbarkeit und Qualität des Stroms in Zukunft zu garantieren. 230 Volt, 50 Hertz wurden bisher von den großen Generatoren – Stichwort: rotierende Massen – mit hoher Qualität erzeugt; dies wird in Zukunft vermehrt durch digitale Steuerungen zu gewährleisten sein.

Frank Bomarius
stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer IESE, Institut für Experimentelles Software Engineering

Fraunhofer IESE

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