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OLG gegen Clearingstelle

Strom aus kleineren Biogasanlagen wird durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verstärkt gefördert. Voraussetzung für die Wirtschaftlichkeit eines Biogasenergieparks ist daher die Vergütung seiner Bestandteile als Einzelanlagen – auch wenn mehrere der Anlagen einzelne Bauteile gemeinsam nutzen. Im Falle einer Zusammenfassung von Einzelanlagen zu einer großen könnten die Synergieeffekte allerdings die daraus folgenden wirtschaftlichen Nachteile bei der Vergütung nicht ausgleichen. Daher muss genau geplant werden, welche Einrichtungen einer Biogasanlage für eine weitere Anlage verwendet werden können, ohne eine Anlagenzusammenfassung zu riskieren.
In einem für einen Landwirt erstrittenen Urteil beispielsweise entschied der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 21. Mai 2008 (VIII Zivilrecht 308/07), ein Fermenter sei zur Inbetriebnahme einer Biogasanlage erforderlich. Das Urteil betraf aber nur den Inbetriebnahmebegriff. Der BGH klärte nicht, ob ein Fermenter Teil einer Biogasanlage ist. Nach der Empfehlung der Clearingstelle vom 1. Juli 2010 (Aktenzeichen: 2009/12) ist neben der Antriebseinheit und dem Generator auch eine Vorrichtung Teil einer Biogasanlage, die Energieträger unmittelbar der Antriebseinheit zuführt oder für diese bereitstellt. Allerdings sei eine solche Einrichtung gleichzeitig Teil mehrerer Anlagen, ohne dass die jeweiligen Biogasanlagen zusammenzufassen wären. Gemeinsam genutzte Einrichtungen führen danach nicht zu einer Verklammerung der Anlagen.

Anlagenbegriff nach EEG

Um der Frage nachgehen zu können, wann mehrere Anlagen als eine gelten, muss zunächst geklärt werden, was das EEG unter dem Begriff Anlage versteht. Im Zuge der Novelle des EEG in 2004 ist der Anlagenbegriff verändert worden. Erforderlich ist somit eine getrennte Betrachtung des EEG 2004 und des EEG 2009. Im Gesetz von 2004 regelte Paragraf 3 Absatz 2 Satz 1 den Begriff der Anlage als selbstständige technische Einrichtung zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Nach Satz 2 galten mehrere Anlagen als eine, wenn sie mit gemeinsamen für den Betrieb technisch erforderlichen Einrichtungen oder baulichen Anlagen unmittelbar verbunden waren. Nach dem 2009er EEG Paragraf 3 Nummer 1 ist eine Anlage jede Einrichtung zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien. Diese Norm entspricht im Wesentlichen Paragraf 3 Absatz 2 Satz 1 des EEG von 2004. Die vorher in Satz 2 enthaltene Regelung ist in Paragraf 3 fünf Jahre danach aber nicht mehr vorhanden, sondern in den Absatz 1 von Paragraf 19 abgewandert (Salje, EEG, Paragraf 3 Randnummer 67). Dort gelten mehrere Biogasanlagen in Bezug auf die Vergütung als eine, wenn sie binnen zwölf Monaten in unmittelbarer räumlicher Nähe errichtet werden. Die Clearingstelle folgerte, dass der Zubau einer getrennt zu vergütenden Anlage nach Ablauf eines Jahres selbst bei Nutzung gemeinsamer Einrichtungen möglich ist. Bei Überschreiten des Zwölfmonatszeitraumes des Paragraf 19 Absatz 1 EEG 2009 entstehe also immer eine neue Anlage.

OLG contra Clearingstelle

Ein Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) vom 16. September 2010 (Aktenzeichen: 12 U 79/10) kommt nun allerdings zu einem anderen Ergebnis. Das OLG teilt die Ansicht der Clearingstelle zum Verhältnis zwischen Paragraf 3 Nummer 1 und Paragraf 19 Absatz 1 im aktuellen EEG nicht. Vereinfacht dargestellt lag dem OLG-Urteil folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Landwirt errichtete 2003 eine Biogasanlage mit einem und 2005 eine weitere Anlage mit zwei Blockheizkraftwerken (BHKW). Die Anlagen verfügen über einen jeweils eigenen Fermenter. Die Substratzufuhr erfolgt über einen gemeinsamen Feststoffdosierer. Die Anlagen werden durch eine Güllepumpe und über eine gemeinsame Leitung mit Gülle versorgt. Sie verwenden den gleichen Gärrestbehälter. Nach Weigerung des Netzbetreibers zur getrennten Abrechnung erhob der Landwirt Klage. Es handele sich um zwei Einzelanlagen.
Das OLG wies die Klage ab und bestätigte das Urteil der Vorinstanz (Landgericht Frankfurt/Oder, Urteil vom 16. April 2010, Aktenzeichen: 12 O 324/09). Feststoffdosierer, Güllepumpe, Gülleleitungen und Gärrestbehälter führten gemäß Paragraf 3 Absatz 2 Satz 2 des EEG von 2004 und laut Paragraf 3 Nummer 1 im EEG von 2009 zur Anlagenverklammerung. Entgegen der Behauptung des Netzbetreibers sei zwar kein Missbrauchsfall gegeben. Die gemeinsamen Einrichtungen seien aber technisch zur Stromerzeugung notwendig. Deshalb erfolge eine Anlagenzusammenfassung. Seit Inkrafttreten der jüngsten EEG-Reform am 1. Januar 2009 gelte nichts anderes als davor. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich einen weiteren Anlagenbegriff regeln wollen. Dem widerspräche es, wenn nunmehr Anlagen nur noch unter den Vorgaben des Paragraf 19 Absatz 1 im aktuellen EEG zusammenzufassen wären. Die Empfehlung der Clearingstelle überzeuge nicht.

Urteil überzeugt nicht

Allerdings hat das Urteil des OLG argumentative Schwächen. Nach Paragraf 3 Absatz 2 Satz 2 im EEG von 2004 können Einrichtungen mehrere Anlagen nur dann zu einer Anlage verklammern, wenn sie technisch zur Stromerzeugung erforderlich sind. Feststoffdosierer, Gülleleitungen und Güllepumpe sind als bloße vorgelagerte Transporttechnik technisch hierfür aber gerade nicht erforderlich. Sie leiten und verteilen den Stoff lediglich in vorgelagerten Arbeitsschritten. So kann zum Beispiel die Dosierung alternativ auch manuell oder diskontinuierlich erfolgen. Der Gülletransport kann zum Beispiel durch einen Lkw erfolgen, den niemand als Teil der Anlage werten würde.
Auch der Gärrestbehälter ist technisch nicht erforderlich. Er dient nur der Zwischenlagerung der Gärreste, bevor diese zum Beispiel auf den Feldern ausgebracht werden. Anlagenbetreiber können ein gemeinsames Gärrestlager nutzen, das sich zum Beispiel auf dem Hof eines Landwirts befindet. Wenn aber ein solches, gegebenenfalls weit entferntes Gärrestelager unstreitig nicht zu einer Anlagenzusammenfassung führt, dann auch kein Gärrestelager am Standort der Biogasanlage. Die fraglichen Einrichtungen sind allenfalls mittelbar zur Stromerzeugung erforderlich.
Auch unternehmerische Überlegungen zur Anlagenoptimierung lassen keine zwingenden Rückschlüsse auf die technische Erforderlichkeit einer Einrichtung zu. Folgt man aber dem OLG, so beweist stets der Einzelfall die technische Erforderlichkeit. Das würde bedeuten: Was auch immer der Anlagenbetreiber zur Anlagenoptimierung unternimmt, beweist dann allein aufgrund der Tatsache der durchgeführten Maßnahme deren technische Erforderlichkeit. Das OLG verzichtet in bedenklicher Weise auf die Sachkunde eines Gutachters, indem es die technische Erforderlichkeit einer Maßnahme schlicht unterstellt. So kann ein Anlagenbetreiber keine Synergieeffekte nutzen.
Zudem überzeugt die Auslegung des EEG 2009 nicht. Bei der Auslegung von Gesetzen werden in Anlehnung an den berühmten Rechtsgelehrten Savigny vier Auslegungsmittel unterschieden: die Auslegung nach dem Wortlaut sowie nachrangig die historische, systematische und nach Sinn und Zweck fragende Auslegung. Der Wortlaut des Paragraf 3 Nummer 1 im aktuellen EEG ermöglicht entgegen der Ansicht des OLG keine Anlagenzusammenfassung. Danach ist eine Anlage jede Einrichtung zur Stromerzeugung, also jede Stromerzeugungseinheit. Dies ist die Antriebseinheit und der Generator. Also können die fraglichen Teile nicht zu einer Anlagenzusammenfassung gemäß diesem Paragrafen führen, sondern nur nach Paragraf 19 Absatz 1. Der Wortlaut des Paragraf 3 Nummer 1 im EEG 2009 gibt die Zusammenfassung einer Einheit aus Generator und Antriebseinheit mit einer anderen Einheit aus Generator und Antriebseinheit nicht her. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Clearingstelle.

Unklarer neuer Anlagenbegriff

Das OLG verkennt auch, dass ein eindeutiger gesetzgeberischer Wille nicht identifizierbar ist. Der Gesetzgeber wollte einen weiten Anlagenbegriff regeln. Er präzisiert jedoch nicht, was er mit diesem meint. Der Gesetzgeber betont jedenfalls, dass sich die in Paragraf 3 Absatz 2 Satz 2 in der EEG-Version von 2004 enthaltene Regelung zur Behandlung mehrerer Anlagen seit 2009 speziell in Paragraf 3 Nummer 1 eben nicht wiederfindet (Bundestagsdrucksache 16/8148, Seite 38). In der Begründung zu Paragraf 19 Absatz 1 des EEG 2009 bestätigt der Gesetzgeber dies: Dieser Paragraf sei inhaltlich mit Paragraf 3 Absatz 2 Satz 2 des EEG von 2004 identisch (Bundestagsdrucksache 16/8148, Seite 50 f.). Damit betont der Gesetzgeber, dass er eine Anlagenzusammenfassung ausschließlich über Paragraf 19 Absatz 1 des aktuellen EEG will.
Wie ist dies aber mit der Aussage in Einklang zu bringen, einen weiten Anlagenbegriff zu wollen? Aus der Gesetzesbegründung geht nicht hervor, welche Änderungen konkret durch die Verwendung eines weiten Anlagenbegriffes gewollt waren.
Der Widerspruch innerhalb der Gesetzesbegründung ist jedoch lösbar, wenn man die Anlagendefinitionen isoliert vergleicht, also ohne die Regelungen zur Anlagenzusammenfassung. Nach Paragraf 3 Absatz 2 Satz 1 im EEG 2004 ist jede selbstständige technische Einrichtung zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien eine Anlage. Die Merkmale selbstständig und technisch sind im EEG 2009 aber entfallen, was den Anlagenbegriff tatsächlich erweitert. Nur die Solar- und Brennstoffzelle sind für sich genommen selbstständige technische Einrichtungen (Altrock und andere, EEG 2004, Paragraf 3 Randnummer 38). Der Generator dagegen ist erst in Kombination mit der Antriebseinrichtung eine EEG-Anlage. Folgerichtig wurde der Anlagenbegriff insofern erweitert, als nunmehr der Generator allein schon Anlage im Sinne des aktuellen Paragraf 3 Nummer 1 ist. Der Anlagenbegriff wurde zudem erweitert, weil Paragraf 19 Absatz 1 eine weitergehende Verklammerung von Anlagen ermöglicht als der 2004 hier entscheidende Paragraf 3 Absatz 2 Satz 2. So ist nur die von der Clearingstelle EEG vertretene Auffassung mit dem Wortlaut vereinbar und in sich widerspruchsfrei.

Richterspruch auf tönernen Füßen

Betrachtet man die Auswirkungen der Auffassung des OLG genauer, so zeigen sich gravierende Wertungswidersprüche. Nach dem OLG kann ein Fermenter zwei Anlagen schon gemäß Paragraf 3 Nummer 1 des EEG seit 2009 zu einer verklammern. Würde die gemeinsame Nutzung eines Fermenters aber tatsächlich bereits die Anlagenzusammenfassung bedeuten, so würde der Fermenter denklogisch nicht mehr zur Zusammenfassung auch nach Paragraf 19 Absatz 1 EEG 2009 führen. Nach der Gesetzesbegründung ist aber genau dies der Fall: Die gemeinsame Nutzung eines Fermenters soll danach ein Hinweis für die Zusammenfassung mehrerer Anlagen nach Paragraf 19 Absatz 1 EEG 2009 sein (Bundestagsdrucksache 16/8148, Seite 50 f.). Einer solchen Zusammenfassung bedürfte es aber gar nicht mehr, wenn die gemeinsame Nutzung eines Fermenters bereits zur Anlagenzusammenfassung nach Paragraf 3 Nummer 1 des EEG in 2009 führte.
Die Ansicht des OLG führt zu weiteren systematischen Wertungswidersprüchen. Nach der Gesetzesbegründung zu Paragraf 19 Absatz 1 im EEG von 2009 sind gemeinsame Infrastruktureinrichtungen ein Indiz für eine gemeinsame Anlage (Bundestagsdrucksache 16/8148, Seite 119 f.). Demgegenüber sollen diese nach der Gesetzesbegründung zu Paragraf 3 Absatz 2 Satz 2 des EEG 2004 gerade nicht zu einer Verklammerung führen.
Die Widersprüchlichkeit zeigt sich auch, wenn zwei Anlagen zum Beispiel über gemeinsame Messeinrichtungen verfügen. Ist man der Ansicht, der Regelungsgehalt des Paragraf 3 Absatz 2 Satz 2 von 2004 sei in Paragraf 3 Nummer 1 in 2009 aufgenommen worden, so wäre eine Verklammerung gemäß letzterem auszuschließen. Die weitere Prüfung erfolgt dann gemäß Paragraf 19 Absatz 1, wonach die gemeinsamen Messeinrichtungen nun ein wesentliches Indiz für eine Verklammerung sind. Das Vorhandensein von gemeinsamen Mess­einrichtungen spricht also zunächst eindeutig gegen, dann eindeutig für eine Verklammerung. Eine solche Rechtsfolge ist natürlich widersprüchlich.
Weiterhin verstößt eine auf den aktuellen Paragraf 3 Nummer 1 gestützte Anlagenzusammenfassung gegen die Rechtsprechung des BGH, der hohe Anforderungen an die Wirksamkeit einer gesetzlichen Grundannahme stellt. Für solche im Gesetz festgelegten Annahmen bedarf es also konkreter sprachlicher Anhaltspunkte im Normtext selbst und nicht nur in der Gesetzesbegründung. Paragraf 3 Nummer 1 EEG von 2009 enthält aber keinen solchen Anhaltspunkt. 

Folgenschwere Entscheidung

Der Zweck des Paragraf 3 Absatz 2 Satz 2 von 2004 war die klare und rechtssichere Verhinderung missbräuchlicher Umgehungen der Vergütungsschwellen insbesondere durch die Zwölfmonatsgrenze. Dem widersprechen zwei parallele, inhaltlich kollidierende Regelungen zur Anlagenzusammenfassung. Der Gesetzgeber hätte den Regelungsgehalt von 2004 aber völlig unproblematisch in Paragraf 3 des EEG von 2009 neu formulieren können, so er dies gewollt hätte.
Die Folge des OLG-Urteils sind fehlende Verlässlichkeit und Rechtsunsicherheit. Diese verstärkt das OLG noch durch die praxisferne Einzelfallbetrachtung der technischen Erforderlichkeit von Anlagenteilen. Und technisch erforderlich ist nach Meinung des OLG eben, was der Anlagenbetreiber realisiert.
Wichtig für die Investitionssicherheit wäre die ausschließliche Anwendung von Paragraf 19 Absatz 1. Sollte der Gesetzgeber auch nach zwölf Monaten eine Missbrauchsgefahr erkennen, so kann er den Zeitraum des Paragraf 19 Absatz 1 ja noch ausdehnen. Solange dies nicht geschieht, gibt er demgegenüber zu erkennen, dass ein Anlagenzubau nach zwölf Monaten gebilligt wird.
Das OLG vermeidet zudem eine ausdrückliche Stellungnahme zu Blockheizkraftwerken, die sich am Standort eines Wärmeabnehmers befinden und über eine in der Regel mehrere hundert Meter lange Biogasleitung mit der Anlage verbunden sind. Diese Satelliten-BHKW können bei Zugrundelegung des Urteils nicht mehr unproblematisch getrennt vergütet werden. Solange kein anderes OLG oder der BGH abweichend entscheiden, ist das OLG-Urteil für die Praxis maßgeblich.
Bedenklich ist, dass sich das OLG inhaltlich kaum mit der ausführlichen Empfehlung der Clearingstelle befasst. Verwunderlich ist auch die Kundgabe des beklagten Netzbetreibers im Laufe des Gerichtsverfahrens, die Entscheidung der Clearingstelle nicht zu akzeptieren. Je mehr Netzbetreiber ihnen unliebsame Entscheidungen der Clearingstelle auch zukünftig ablehnen, desto mehr verlieren diese an Praxiswert. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber in der für Anfang 2012 vorgesehenen EEG-Novelle den Anlagenbegriff auch im Hinblick auf Satelliten-BHKW rechtssicher regelt und Investitionen kalkulierbarer macht. (Michael Herrmann, Thorsten Gottwald, Luther Nierer)