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Windnutzung

Experten kommentieren Effizienz der Energieentnahme aus Luftströmungen

Die Berichterstattung über die Studie "Two methods for estimating limits to large-scale wind power generation “ hat in den öffentlichen Medien für reichlich überstürzte Warnmeldungen gesorgt: Die Windenergie könne nur ein Siebtel so viel Energie aus dem Wind schöpfen, wie die Branche selbst den Dreiflügler-Turbinen bisher zugetraut hätte. Das führe dazu, dass sich letztlich nur ein Megawatt (MW) pro Quadratkilometer Fläche installieren lasse oder genauer: 1,1 Watt pro Quadratmeter - ohne den Wind nachhaltig aufzubrauchen. So stark nämlich verschatteten Windenergieanlagen an Land sich gegenseitig den Zugriff auf den Wind - und nähmen sich diesen aus den Segeln.

Wir dokumentieren Ihnen hier nun die Meinungen der Wind-Strömungsexperten

Heinz-Theo Mengelkamp

Wolfgang Schlez

Herbert Schwartz:

Heinz Theo Mengelkamp, Windgutachter, Geschäftsführer der anemos Gesellschaft für Umweltmeteorologie mbH:

Autoren und Institutionen sind ja durchaus seriös und zunächst mal ernst zu nehmen. Auch die Methoden scheinen so zu sein, wie man heute das Problem wohl angehen würde.
Allerdings sind die Effekte der Windenergieanlagen auf die atmosphärische Grenzschicht nur sehr einfach beschrieben - anders geht es heute mit den angewandten Modellen nicht.
Auch ist in dem Artikel oft von Diskrepanzen die Rede und man hat den Anschein, dass die Autoren irgendwie ihr Ergebnis zurecht interpretieren. Es ist auch keine Unsicherheit angegeben. Also zunächst ist das mal nur eine Modellrechnung, in der die entscheidenden Effekte der turbulenten Übertragung kinetischer Energie nur mehr einfach parametrisiert werden. Dann ist noch von Low Level Jets die Rede, die möglicherweise in den Modellen gar nicht dargestellt werden. Es scheint, dass mehr interpretiert als kritisch betrachtet wird.

Zudem gilt das Ergebnis wohl nur für einen unendlich großen Windpark. Aber bis ein Windpark der Atmosphäre so viel Energie entziehen kann, dass von oben nicht mehr genug nachgeliefert werden kann, muss schon einiges passieren. Es gibt auch eine Studie, dass die von oben nachgelieferte Energie dafür sorgt, dass hintere Windenergieanlagen mehr produzieren als die ersten Reihen. Allerdings nur bei turbulenter Atmosphäre.

Es ist halt eine interessante Modellstudie. Modellieren kann man vieles. Sollte man die Simulationen mal mit einem eher geeigneten Large Eddy Simulationsmodell durchspielen können, mag das Ergebnis ganz anders aussehen.

Wolfgang Schlez, Berater Windenergienutzung, Director ProPlanEn Ltd., früher befasst mit Untersuchungen von Windparkeffekten bei Garrad Hassan:

Studie belegt: Genug Windenergie in Kansas und in der Nordsee für jeweils 100 GW.

Zum Verständnis:

Dynamisches Gleichgewicht: In der atmosphärischen Grenzschicht wird der Atmosphäre durch die Bodenreibung kontinuierlich Energie und Impuls entzogen. Der Zufluss erfolgt im gleichen Maße und wird von dem maßgeblichen Wettersystem angetrieben. Diese kontinuierliche Umsetzung erzeugt den Eindruck stationärer Verhältnisse.

Eine Windenergieanlage koppelt sich in dieses System ein und entnimmt der Strömung Energie und Impuls, noch bevor diese durch die Geländeoberfläche entzogen werden kann. Ein gutes Analogon in diesem Zusammenhang ist, die Windenergieanlage als einen Baum zu betrachten. Bei einem homogenen, großflächigen Windpark kommt es nicht mehr zu einem Zufluss von der Seite, sondern die einzige Quelle ist der vertikale Eintrag von Energie und Impuls. Grundsätzlich kann aus dem Fließgleichgewicht nicht mehr entnommen werden, als wieder zugeführt wird. Die Studie modelliert einen vertikalen Eintrag von ungefähr 1.1 W pro m².

Die Studie geht von einem exemplarischen Windpark mit 100 000 km² aus. Bei der Parametrisierung einer Packungsdichte von 0 bis zu 10 W pro m² oder 10 MW pro km² ergeben sich maximal 1 000 000 MW oder 1000 GW, also mehr als die global installierte Windleistung, konzentriert auf der Fläche eines US-Bundesstaates. 100 GW hingegen, die sich aufgrund von 1 W pro m² ergeben, sind auf so einer Fläche eine immer noch sehr anspruchsvolle, aber technisch realistischere Größenordnung.

Was bedeutet das in der Praxis?

Der vorgestellte Effekt ist nicht neu, sondern wurde von der Industrie seit 2006 an Daten von Horns Rev I beobachtet und modelliert. In der Praxis wird dies als Large Wind Farm Effekt (WindFarmer), in abgewandelter Form auch als Deep Array Effekt (OpenWind), oder in Forschungsmodellen als explizite Wechselwirkung der Wakes (Nachläufe der Windkraftanlagen) mit der Grenzschicht beschrieben. Hier wird jeweils, genau wie in der Studie, von einer Störung des Grenzschichtprofiles durch den Windpark ausgegangen, was die Windgeschwindigkeit an nachfolgenden Anlagen reduziert. Planern und Investoren stehen aufgrund dieser Studie also keine weiteren Überraschungen ins Haus.

Einzelne weitergehende Überlegungen:

Die Annahme einer unendlich großen homogenen Fläche von Windparks ist in der Praxis nicht gegeben. Es werden nur selten über 50 % der Fläche für Windparks zur Verfügung stehen. Der Zufluss oder die Profilerholung findet jedoch über die gesamte Fläche statt.

Die Annahme der Studie eines nominalen Kapazitätsfaktors von 0.47 (4100 Vollaststunden) ist unrealistisch, genauso wie die Annahme einer installierten Leistungsdichte von bis zu 10 W pro m². Kompakt aufgestellte riesige Windparks sind durch die hohe gegenseitige Abschattung und auftretenden Turbulenzbelastungen unwirtschaftlich, was bekannt ist und durch die Studie letztendlich einfach noch einmal aus anderer Sicht untermauert wird.

Die Gegenwart der Windenergieanlagen erhöht, im Vergleich zum ungestörten Fall, den vertikalen Eintrag von Energie durch zusätzliche Scherung und Turbulenz. Damit wirkt die Windenergieanlage in Analogie zu einem Katalysator in einer chemischen Reaktion, der den Umsatz im Fließgleichgewicht erhöht.

Bei ausgedehnten Feldern mit tausenden von Windenergieanlagen kann ein Effekt auf das Wetter nicht ausgeschlossen werden. Bei derzeit bestehenden Windparks kann es in Tal- und Passlagen schon jetzt zu Blockade und Umleitung von lokalen Windsystemen kommen. Um spätere Enttäuschungen zu vermeiden, ist es deshalb essenziell, auf hochwertige Messungen und erfahrene Windgutachter zurückzugreifen.

Herbert Schwartz, Windgutachter, anemos-jacob:

Meine erste Lektüre des Artikels führt zu folgenden Kommentaren:

"Für mich ist noch unklar, inwiefern in der Studie der unten genannte erhöhte vertikale Eintrag von Energie durch die Präsenz von Windkraftanlagen implementiert ist. Dieser Effekt mildert die Problematik. Aber eigentlich ist das egal, weil auch nach Dr. Schlez die Studie sehr hypothetisch ist und in der Praxis die aufgezeigten Grenzen, wo auch immer sie zu lokalisieren sind, weit von den meisten Planungen entfernt sind. Nochmal zur Verdeutlichung …: die 1,1 W/m² beziehen sich auf die mittlere Windleistung pro m² Erdoberfläche.

Verstehen Sie bitte die Aussagen als Trends: ... Die wichtigste Frage zur Interpretation der in der Presse häufig zitierten Aussage ist, worauf sich der Grenzwert von 1,1 W/m² bezieht. Hier scheint mir recht deutlich die mittlere Energieproduktion gemeint zu sein, also etwa 3400 TWh/a für die Fläche Deutschlands. In der Studie wurde die Grenze auch mit einer installierten Kapazität von 10 MW/km² verbunden (wobei auch gesagt wurde, dass mit 5 MW/km² aufgrund der beschriebenen Effekte noch fast dieselbe Energie erzielt werde). Für Deutschland wäre die Grenze bei gleichen atmosphärischen Bedingungen wie im Sommer in Kansas (siehe unten) also bei einer installierten Kapazität von 3572 GW erreicht, wobei schon mit einer installierten Kapazität von 1785 GW fast dieselbe Energie erzielt würde. Von dieser Grenze der installierten Windkraftleistung sind wir bekanntermaßen noch weit entfernt. Sie entspricht dem 9-fachen der gesamten derzeit installierten Kraftwerksleistung Deutschlands – und dies nur in Windkraftinstallation umgewandelt. Das heißt, selbst in dem dicht besiedelten und pro Fläche viel Strom verbrauchenden Land Deutschland kann niemand ernsthaft daran denken, Windkraftleistungen zu installieren, bei denen die beschriebenen Effekte eine große Rolle spielen. In schwächer besiedelten Gegenden ist dies erst recht nicht von Belang.

Theoretische Studie - gut für Kansas

…. Dies verdeutlicht, dass es sich um eine sehr theoretische Studie handelt. Die Aussagen der Studie gelten außerdem nur für eine extrem großflächige Belegung mit Windkraftanlagen. Wenn größere Lücken zwischen den Windparks bestehen, kann sich die atmosphärische Strömung wieder erholen. Deshalb wurde auch angemerkt, dass eine entsprechende Studie anhand verschiedener existierender Windparks in Großbritannien eine tatsächliche Produktion von 2,9 W/m² ergab, was der jetzt vorgelegten Studie nicht widerspräche, weil es sich noch immer nicht um eine großflächige Belegung mit Windkraftanlagen gehandelt habe.

Die Studie wurde anhand eines Gebietes in Kansas mit einer mittleren Windgeschwindigkeit von 8 m/s in 84 m über Grund und Kapazitätsfaktoren von 47 % (über 4000 Volllaststunden) durchgeführt. Sie betrachtete nur vier Sommermonate mit einem starken Einfluss von nächtlichen low level jets (die mittlere Windgeschwindigkeit läge nachts bei 9,5 m/s in 84 m Höhe). Diese Situation ist für Deutschland und viele andere Regionen in der Welt nicht repräsentativ. Da der Fokus der Untersuchung auf den Austauschvorgängen zwischen den atmosphärischen Schichten lag, ist es wichtig, welche Schichtung vorliegt. Die Situation mit low level jets ist hier sehr speziell und hat einen Einfluss auf das Ergebnis. Sie kann nicht einfach auf weltweiten Maßstab übertragen werden.

Interessant ist auch, dass nach der vorgelegten Studie durch die genannten Effekte vor allem die hohen Windgeschwindigkeiten abgeschwächt werden und somit die Leistungsabgabe der Windkraftanlagen gleichmäßiger wird. "