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Energie mit KI, aber sicher!

Tilman Weber

KI oder Untergang – dringlicher hätten die Entwickler sogenannter künstlicher Intelligenz (KI) ihren Appell wohl kaum ausbuchstabieren können, als sie es mit der Namensgebung für ihr Forum beim Branchentreff Windenergietage im November getan haben. „Die unaufhaltsame Revolution, die jedes Geschäft umgestaltet“, nannte Michael Darnieder die auch im Wind­energiegeschäft einkehrende Entwicklungstendenz der Energiebranche. Darnieder ist Geschäftsführer des Mainzer Unternehmens Tedexa. Es berät überwiegend Projektentwickler von Windenergie- und Photovoltaikanlagenparks darin, Konzepte für KI-Anwendungen zu entwickeln und sie mit Datenverarbeitungsprogrammen einzuführen. Spätestens im kommenden November will Darnieder auch über das Internet entsprechende KI-Software für Projektentwicklung und den Instandhaltungsdienst in Wind- und Solarparks zur Verfügung stellen. Die „KI-basierte SaaS-Lösung“ wolle er bis zum nächsten Windenergietage-Termin liefern.

Das Prinzip der KI für Windkraft oder Photovoltaik (PV) ist im Wesentlichen dies: Computer-Rechenprogramme erkennen Muster in Datenströmen, filtern aus allerhand digitalem Material die Abweichungen heraus und leiten daraus Gefahren oder Chancen ab. Sie melden sie der Betriebsführung der Anlagenparks und benennen am besten auch ihre Ursache. Am Ende leiten sie vielleicht sogar selbstständig Reaktionen in Maschinen oder Betrieb und Management ein.

1,6 Milliarden Euro für KI-Förderung legte im November das Bundesforschungs­ministerium auf. Diese Forschungsfinanzierung bezieht die Energieversorgung als eines von zehn KI-Fördergebieten mit ein.

Was KI kann, hängt stark von der Qualität der Daten, aber auch von ihrer Vergleichbarkeit ab. Weil in der Praxis allein schon die zeitliche Taktung der Datenaufzeichnungen oder mitunter die Erfassung mal in exakten physikalischen Messwerten und mal in Form von Reparaturberichten inklusive wertenden Einschätzungen des Wartungspersonals nicht zusammenzupassen scheint, blieb vieles in Ansätzen stecken. Bestenfalls reicht es zum Managen von Big Data: von technischen Betriebsdaten aus unterschiedlichsten Sensoren oder bezogen auf Produktion, Aufbau sowie Instandhaltung und Betrieb der Anlage, von historischen Daten – oder auch von Werten zum Wetter, Strommarkt und Netzgeschehen. Wenn Servicemitarbeiter gezielt Daten nachfragen, lassen sich daraus dann Zusammenhänge herstellen und vielleicht Schlüsse ziehen.

Inzwischen aber stellen zunehmend mehr Anbieter auf Basis von KI große Effizienzgewinne und Innovationen in immer mehr Energiewende-Geschäftsbereichen in Aussicht. Tedexa-Chef Darnieder sieht es somit als „absolut notwendig“ an, sich eine KI-Strategie zuzulegen (siehe Interview unten). Automatisierte intelligente Datenauswertung werde zu verbesserten Geschäftsprozessen, Kundenzentrierung und fortlaufender Innovation führen. Wer dagegen das Potenzial verkenne, werde im Wettbewerb verlieren.

Vergangenes Jahr verwies auch der Bundesverband Windenergie (BWE) mit einem von Werbepartnern gesponserten Poster auf die vielen Einsatzgebiete: Instandhaltung und Steuerung von Windparks, betriebswirtschaftliche Entscheidungsfindung, höhere Stromerträge, bessere Wettervorhersagen, Frühwarnsysteme, um anfliegende Vögel wahrzunehmen und rechtzeitig Turbinen abzuschalten, bessere Flächennutzung durch kluge Turbinenpositionierung. Auch eine bessere Flächenbewertung in Bezug auf drohende Konflikte mit dem Naturschutz bietet ein KI-Werbepartner des BWE an.

„Jeder Betriebsführer heute würde von sich sagen, mit seinen Datenverarbeitungsprogrammen modernes Instandhaltungsmanagement zu betreiben. Tatsächlich ist es überwiegend reaktives Management“, analysiert der langjährige Chef der Servicesparte des früheren Windturbinenunternehmens Senvion, Christian Müller (Interview Seite 45). Ihm gehört das noch junge Kieler Unternehmen für Windparkbetriebsmanagement Predixxion – WSO. Müller und Mitgeschäftsführer Dirk Reinhold machten ein Grundproblem im Windparkservice aus. In der Praxis habe die datengetriebene Fernüberwachung und Betriebsführung der Windparkunternehmen ohne KI-Revolution keine Mitarbeiterkapazitäten, um die eingehenden Daten zurückzuverfolgen. Vielmehr suchten sich die Mitarbeiter kurz vor dem Bruch von Komponenten alle Informationen aus verschiedenen Datenquellen mühsam zusammen.

Tatsächlich ist Instandhaltungsmanagement heute überwiegend reaktives Management.

Christian Müller, Geschäftsführer, Predixxion – WSO

Müller und Reinhold entwickelten von 2021 an die KI Predixxion, die „täglich einen Überblick über die sogenannte Kritikalität des Zustandes einer Turbine und ihrer Komponenten“ abliefert. Instandhaltungsdienstleister können die KI zum Beispiel gezielt so nutzen, dass sie ihre Einsätze „immer auf die größten Risiken im Windpark beziehen – nicht um die Anlagen näher an Bruchgrenzen auszureizen, sondern um den Schaden nicht zu erreichen“.

Auch die Politik erkennt die Bedeutung der digitalen Intelligenz für die Erneuerbare-Energien-Wirtschaft. So vergab das Bundesland Schleswig-Holstein am 1. November vergangenen Jahres für Predixxion bei einem Treffen des landeseigenen Netzwerkes „KI.SH“ einen Förderbescheid über 196.000 Euro. Müller und Reinhold wollen nun ihr System noch darauf trimmen, die Ursachen sich anbahnender Schäden klar herzuleiten.

Andere Bundesländer haben ebenfalls Fördertöpfe. Niedersachsen erteilte 2022 einen Bescheid über 4,8 Millionen Euro für eine KI-gestützte Drohneninspektion „unzugänglicher Infrastrukturen“ – was freilich auch der Zustandsüberwachung von Brücken oder Schiffen mitdienen soll. Und im Bund fördert sogar das Bundesumweltministerium mit zwei Millionen Euro das Projekt Wind-Giski zur Auswahl naturschutzgerechter Windkraftpotenzialflächen. Eine grundsätzliche KI-Förderung in Höhe von 1,6 Milliarden Euro legte im November das Bundesforschungsministerium auf. Das Geld soll noch in der Legislaturperiode bis Herbst 2025 fließen. Die Energieversorgung nennt das Ministerium in einem KI-Aktionsplan als einen von zehn förderungswürdigen Einsatzbereichen.

Als großer Anwender will das Bremer Instandhaltungsunternehmen Deutsche Windtechnik bald auf eigene KI zurückgreifen. Das größte unabhängige deutsche Serviceunternehmen der Branche bereitet, unterstützt von der schleswig-holsteinischen KI-Förderung, seine „Predictive Maintenance Wind Turbine“ vor: eine auf Schadens- und Abnutzungsentwicklungen vorausschauende Windturbinenwartung. „Wir wollen direkt die defekte Komponente benennen können“, sagt der Softwareentwickler Markus Schuster. Das KI-System soll außer den gewöhnlichen Betriebsdatensammlungen im sogenannten Scada-System der Turbine eben Serviceberichte und jährliche Wartungsprotokolle analysieren – um dem Einkauf und den Wartungsteams anzuzeigen, welche Ersatzteile sie besorgen beziehungsweise zu den Einsätzen mitnehmen müssen.

Wir wollen direkt die defekte Komponente benennen können.

Markus Schuster, Softwareentwickler Deutsche Windtechnik, über das Entwicklungsziel einer unternehmenseigenen KI für die Instandhaltung von Windturbinen

Im ersten Schritt will Deutsche Windtechnik 300 Windturbinen mitsamt ihrer Daten in das kluge Rechenprogramm, die KI-Algorithmik, miteinbeziehen. Das soll analog zur menschlichen Erfahrung das Wissen der KI und wohl auch ihre Lernfähigkeit für eine immer klügere Beurteilung stärken.

Auch über den Instandhaltungsservice hinaus bestimmt KI mittlerweile das Betriebsführungsmanagement. Das Ziel ist der besonders wirtschaftliche Betrieb der Anlagenparks. Als gelebte Praxis ausgerufen haben dies das Dresdner PV- und Wind­energie­unternehmen VSB und der Berliner KI-Entwickler Turbit Systems (Projektbericht auf Seite 46). Seit Anfang 2023 setzt der sächsische Betriebsführer beim Überwachen seines gesamten Windportfolios auf künstliche Intelligenz des Partners aus der Hauptstadt. Sie soll die Stromerzeugung ausreizen und dennoch Komponentenschäden und Turbinenausfälle reduzieren. Die KI erkennt das Normalverhalten jeder Turbine an ihrem Standort. Dafür berücksichtigt sie Anströmverhältnisse aufgrund von Landschaftserhebungen, Wetter und Witterung, die typischen Eigenschaften des Windturbinentyps sowie den Zustand der Anlage und ihre Wartungsgeschichte. Auch Netzengpässe oder Abschaltungen bei Vogelflug hat die KI im Blick.

Der Projektmanager für technische Betriebsführung bei VSB, Eric Schacht, treibt das Themengebiet der KI-gestützten Betriebsführung als inzwischen wesentlichen Teil seines Jobs voran. Über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren leitete er die Testphase für ausgewählte Windenergieanlagen und steuerte die Implementierung des gesamten Windenergieportfolios von VSB. Inzwischen hat sich der Austausch zwischen VSB und Turbit den Erfordernissen angepasst: von anfänglich wöchentlichen Besprechungen zur Systemoptimierung hin zu bedarfsorientierten Meetings.

Schon seit 2017 bietet Turbit das System an. Das 20-Mitarbeitende-Unternehmen leistet zum einen Scada Due Diligence: Durch digitale Analyse der langjährigen Betriebsdaten ermitteln die Berliner bei einem Verkauf von Altwindparks den Zustand der Anlagen schnell und kostengünstig. Zum anderen erschafft das Unternehmen digitale neuronale Netze, die das normale Betriebsverhalten der einzelnen Komponenten der Windenergieanlage lernen. Die KI erkennt dann Minderleistungen im zweistelligen Kilowattbereich auch im Teillastbetrieb. Kleinste Temperaturabweichungen in den Komponenten während des Anlagenbetriebs von 0,5 bis 2 Grad Celsius kann sie ebenso sofort herausfiltern. Sie zeigt frühzeitig an, wo kleinere Instandhaltungsmaßnahmen größere Schäden verhindern könnten. Binnen 14 Tagen stellen die Berliner ihr System nach der Bestellung bereit. Zudem rechnen sie mit einer sechs- bis zwölfmonatigen Phase zur Umstellung der Windparkbetriebsführung. Der Gewinn aus dem KI-Betrieb soll die Ausgaben nach einem Jahr übertreffen. Wo die Versicherung der Betriebsführung das Turbit-System außerdem als Vorteil anerkennt, weil die Risikodeckung weniger kostet, soll der Return of Invest sogar ab Tag eins erreicht sein.

Der Trend ist eindeutig: Viele Akteure – vom Energiekonzern oder traditionellen Windparkbetreiber bis zum Ingenieursdienstleister und Start-up – treten bereits als KI-Anbieter auf.

Sorgenfrei wird die KI-gestützte Zukunft natürlich nicht. Denn die unaufhaltsame Vernetzung der Datenquellen birgt Risiken. Angriffe auf die Daten durch Kriminelle, Wettbewerber, vielleicht Wind- oder PV-Park-Gegner und staatsnahe ausländische Akteure wirken tiefer als bei isolierten Datensystemen. Cyberkriminalität und der Schutz vor ihr ist also die andere Seite der sprichwörtlichen Medaille. Die Bundesbehörde BSI ist für die Sicherheit vor Cyberangriffen auf Versorgungssysteme zuständig, die zur kritischen Infrastruktur (Kritis) gehören. Sie zählte 2023 genau 99 Meldungen über Angriffe auf Kritis der Energieversorgung. 2022 waren es 82 gemeldete Kritis-Cyberattacken auf Energieanlagen.

Eine Verordnung legt fest, dass Erneuerbare-­Energien-Anlagen ab 104 Megawatt (MW) am Stromnetz zu Kritis-Anlagen werden. Damit, so sagen Branchenexperten, werden Betriebsführer ab 104 MW betreuter Leistung zu Kritis-Betreibern. Gemäß dem für Cybersicherheit relevanten Gesetz BSIG müssen sie Systeme zur Abwehr von Angriffen einsetzen und haben Meldepflichten.

Wir legen sehr viel Wert auf intensive und direkte Kundenbetreuung, damit die Umstellung auf unser System reibungslos läuft.

Sven Auhagen, Geschäftsführer, Voleatech

Voleatech in Reutlingen (Anzeige Seite 45) ist ein 2013 gegründeter Zulieferer für Betriebstechnologie-Netzwerke: für die sogenannte operative Technologie (OT) von Unternehmen. 2019 brachte Voleatech ein in Deutschland entwickeltes Datensicherheitssystem auf den Markt. Die VT Air genannte Firewall-Software kommt auf Kundenwunsch mit speziell abgesicherten Routern zur sicheren Verbindung der lokalen Firmennetzwerke ins Internet. Nicht ohne Grund: Viele Unternehmen erneuern inzwischen aus Sicherheitsgründen ihre OT-Netzwerke. Je nach Größe der Unternehmen belaufen sich die Investitionen häufig auf fünf- bis sechsstellige Beträge, um die Systeme auf den Stand der Technik zu bringen. Kunden sind überwiegend Stadtwerke, große Energie- oder Wasserversorger, Windparks und die Industrie.

Die Voleatech-Technik mitsamt Router-Hardware VT Air 310 arbeitet mit einer eigens entwickelten Software. Das bringt deutlich schnellere Firewall-Geschwindigkeiten als bei konventionellen Systemen am Markt – und bietet damit mehr Sicherheit. Zudem empfiehlt Voleatech-Geschäftsführer Sven Auhagen ein Rezept, das KI- und Cybersicherheitssysteme wohl beide erfordern: „Wir legen sehr viel Wert auf intensive und direkte Kundenbetreuung, damit die Umstellung auf unser System reibungslos läuft.“

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