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Aktivistin Tina Ternus über Umlage, Kohle und Kampagnen

Gottgegeben und totgeschwiegen, Teil 1

Tina Ternus betreibt zusammen mit Ihrem Mann das "Photovoltaikbüro" in Rüsselsheim. Es bietet unabhängige Endkundenberatung, erstellt Gutachten und Fehleranalysen, sowie Monitoring für große Photovoltaikanlagen. Außerdem geht sie den Dingen gern auf den Grund, zum Beispiel den Umlagekosten. Die Aktivistin hat die Energieblogger mitgegründet: ein von Menschen aus der Branche mit Bloggbeiträgen betriebenes Portal, das 2014 für seine Aufklärungsarbeit den Solarpreis erhielt.

Frau Ternus, Eon hat sich von Kohle und Atom verabschiedet. Die atomar-fossile Wirtschaft will in der Regenerativwirtschaft Fuß fassen. Freut Sie das?

Ich schlage vor, das fragen Sie mich in fünf Jahren nochmal? Grundsätzlich zählen für mich Taten immer mehr als Worte. Auch Frau Merkel mit ihren verschiedenen Koalitionspartnern war ja in Worten stets die Klimakanzlerin oder – nach der extremen Kehrtwende nach Fukushima – die Kanzlerin, die die Energiewende unbedingt will und vorantreibt. Die Taten sprachen eine ganz andere Sprache. Innerhalb kürzester Zeit wurde die Energiewende der Bürger - die seit 2000 bereits einen Anteil von 26,2 Prozent erreicht und damit höchsten Anteil im Strommix hat - schon fast dem Erdboden gleich gemacht. Daher: Worte alleine reichen nicht, Taten müssen es beweisen.

Wie hoch ist der Anteil der Erneuerbaren bei Eon und Co?

Der Marktanteil von Eon an Erneuerbaren Energien war bislang sehr, sehr gering. Eon, EnBW und Vattenfall zusammen hatten letztes Jahr zwischen ein und zwei Prozent. Erneuerbare Energien sind naturgemäß dezentral und müssen dezentral gesammelt werden. Das bisherige zentrale Modell sehr weniger Großkraftwerke funktioniert hier nicht. Es wird spannend, wie Eon diesem fundamentalen Strukturwechsel gewachsen sein wird.

Und ebenfalls spannend wird es, wie es mit der neuen Gesellschaft der konventionellen Kraftwerke weitergeht. Wie hoch die Kosten für den Rückbau der AKW und Endlagerung tatsächlich sein werden. Ob die neue Gesellschaft wirtschaftlich arbeiten kann und vor allem, was passiert, wenn das nicht der Fall ist? Bekommen wir dann einen neuen Fall von „Systemrelevanz“? Eon muss beweisen, dass Verantwortung übernommen wird und durch eine Umstrukturierung für den Steuerzahler nicht folgender Sachverhalt vorangetrieben wird: „Gewinne privatisieren, Risiken sozialisieren“.

Welche Interessenslage hat die fossile Energiewirtschaft Ihrer Meinung nach?

Die fossile Energiewirtschaft hat zunächst die Interessenslage, die jede Wirtschaftsbranche oder jedes Unternehmen hat: Überlebensfähig sein und mit möglichst geringem Aufwand Gewinne erzielen. Steuerlich abgeschriebene Alt-Kraftwerke maximal lang laufen zu lassen, ist hierbei natürlich lukrativer als der Bau neuer Kraftwerke. Der Betrieb von alten Braunkohlekraftwerken ist eines der letzten profitablen Geschäftsfelder von Vattenfall und RWE.

Aber Braunkohle-Kraftwerke sind auch die größten CO2-Schleudern, oder?

Ganz aktuell hat die Bundesnetzagentur in ihrem Szenariorahmen etwa die Hälfte der Braunkohlekraftwerke nicht mehr in ihrer Planung dabei, da die ältesten Braunkohlekraftwerke besonders viel Kohlendioxid emittieren. Ob dieser Plan beibehalten wird, ist fraglich. Zum einen, da die Bundesnetzagentur nicht über genügend Entscheidungsbefugnis verfügt, um so schnell so viele Kraftwerke stillzulegen, zum, anderen, weil zahlreiche Besuche von Hildegard Müller im Kanzleramt und Wirtschaftsministerium das massiv zu verhindern versuchen werden.

Der BDEW stellt an die Politik in Anbetracht sinkender Börsenstrompreise Forderungen nach einem Rettungsschirm für den konventionellen Kraftwerkspark: Der sogenannte Kapazitätsmarkt. Kraftwerke sollen nicht mehr nur für die abgegebene Leistung Geld erhalten, sondern vor allem auch für ihre Betriebsbereitschaft. Damit könnten sich die Kraftwerksbetreiber ihre alten Kraftwerke nochmals vergolden lassen. Im Augenblick lehnt Bundeswirtschaftsminister Gabriel dieses Modell ab. Es wird spannend, ob er bei dieser Haltung bleibt oder nachgibt.

War der Systemwechsel bei der Umlage ein Fehler? Wenn ja, warum?

Hier muss man zunächst fragen, Fehler für wen? Für den Verbraucher, für die Bürgerenergiewende, für die Akzeptanz der Energiewende insgesamt war es ein Riesen Fehler. Durch den Systemwechsel - der übrigens 2008 vom BDEW eingefordert wurde und dessen Lösungsvorschlag einschließlich Umsetzungsdatum genau dem entspricht, was Bundesumweltminister Gabriel im Mai 2009 als Ausgleichsmechanismusverordnung formuliert hat - wurde die Entwicklung der EEG-Umlage entkoppelt von der Entwicklung der reinen Förderkosten. Vorher liefen Zuwachs der Förderkosten und Zuwachs der EEG-Umlage in ihrem Verlauf weitestgehend synchron. Ab der Änderung der Berechnungsmethode hat sich die EEG-Umlage hingegen verfünffacht, während sich die reinen Förderkosten durch Zubau neuer Anlagen verdoppelt haben.

Erneuerbare Energien wurden durch die zwangsweise Vermarktung an einer Strombörse, die sich an Brennstoff- und CO2-Kosten orientiert, schlagartig entwertet. Die sinkenden Börsenpreise treiben die EEG-Umlage nach oben. Mit zunehmendem EEG-Strom sinken die Börsenpreise umso schneller und steigt die EEG-Umlage umso stärker. Das ist ja das sogenannte EEG-Paradoxon, das durch den Systemwechsel entstand. Die EEG-Umlage wurde dadurch massiv aufgebläht. Vor allem zu Lasten der Haushaltskunden und des Mittelstandes. Die aufgeblähte Umlage wurde alleinig den EEG-Anlagenbetreibern angelastet. Die Akzeptanz der Energiewende von unten wurde stark torpediert. Es wurde eine Sündenbockdebatte forciert, die letztendlich Grundlage wurde für die Solarausstiegsbeschlüsse 2012 und die EEG-Novelle 2014.

Gab es auch Profiteure der Systemänderung?

Für den Stromhandel und Großabnehmer, die an der Strombörse einkaufen, hingegen war der Systemwechsel sehr lukrativ. Großunternehmen, die so billig wie noch nie Strom einkaufen können und zugleich von der EEG-Umlage befreit sind, bzw. nur einen stark reduzierten Beitrag zahlen, profitieren doppelt.

Für Kraftwerksbetreiber werden die sinkenden Börsenpreise zwar ebenfalls zum Problem. Gleichzeitig hat der Systemwechsel aber auch bewirkt, dass sie ihre Kunden, beziehungsweise Stadtwerke wieder weitgehend vollständig oder sogar zu 100 Prozent mit konventionellem Strom beliefern können. Beim alten Modell erhielten die Endversorger den EEG-Strom als sog. EEG-Stromband monatlich tatsächlich physisch geliefert, so dass die großen Vorlieferanten (RWE, Eon, Vattenfall, EnBW, etc.) auch faktisch immer weniger konventionellen Strom an ihre Stadtwerke liefern konnten und in sehr kurzer Zeit hohe Marktanteile verloren.

Konventioneller Strom wird zum Großteil über den Terminmarkt gehandelt. Dort wird die zukünftige Erzeugung von Kraftwerken zu einem heute bekannten Preis verkauft. Wenn ein Erzeuger zum Zeitpunkt der Lieferung besonders günstig einkaufen kann, da viel Sonne und Wind am Spotmarkt ist, ermöglicht der günstige Börsenpreis einen Zusatzgewinn. Selbst, wenn er das Kraftwerk (das bei Altkraftwerken in der Regel steuerlich schon abgeschrieben ist) herunterfahren muss.

Die Energieblogger mit Tina Ternus (hält die Trophäe) erhielten 2014 den Deutschen Solarpreis von Eurosolar. - © Foto: Eurosolar
Die Energieblogger mit Tina Ternus (hält die Trophäe) erhielten 2014 den Deutschen Solarpreis von Eurosolar.

Sie können mit ein paar Klicks im Internet jedem Laien zeigen, dass die EEG-Vergütungszahlungen für die Anlagenbetreiber in den vergangenen Jahren kaum gestiegen ist. Wo genau sind Sie da auf welche Zahlen gestoßen?

Seit der Ausgleichsmechanismusverordnung (AusglMechV), also beginnend mit Herbst 2009 sind die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, die EEG-Umlage bis zum 15. Oktober eines Kalenderjahres zu ermitteln und zu veröffentlichen. Die Originalzahlen der Vergütungszahlungen, Berechnung der EEG-Umlage usw. findet man schlicht und einfach auf deren Website. Jeder, der einen Internetanschluss besitzt, kann die Zahlen unter www.netztransparenz.de unter Erneuerbare-Energien-Gesetz - Jahresabrechnungen finden.

Die Tabellen ab dem Jahr 2000 bis 2013 zeigen jeweils für das betreffende Jahr die Summe der EEG-Vergütungszahlungen, bzw. ab dem Jahr 2012 zusätzlich noch die Summe für die Marktprämie im Rahmen der Direktvermarktung. Das sind die reinen, über den Strompreis finanzierten Förderkosten. Die Jahresabrechnung für das vergangene Jahr wird im Sommer veröffentlicht und beinhaltet die endgültigen Zahlen. Die Zahlen für das laufende Jahr, bzw. nach Jahreswechsel die des letzten Jahres, wenn die Datenlage noch nicht endgültig bekannt ist, findet man als vorläufige Zahlen in der EEG-Kontenübersicht in der Einnahmen/Ausgaben-Tabelle. Genauer gesagt ganz oben unter den Ausgabenpositionen. Das ist keine Raketenwissenschaft, sondern kann jeder nachschauen. Und jeder kann mittels Taschenrechner oder Excel Tabelle die Entwicklung der Auszahlungen an die Anlagenbetreiber von 2000 bis 2014 ermitteln.

Was hat Sie dazu gebracht, das zu untersuchen?

Jahrelang war überall zu lesen und hören, dass die Photovoltaik den Riesen Löwenanteil bei den EEG-Zahlungen ausmacht, also war die Entwicklung bei der Photovoltaik letztendlich so etwas wie ein Indikator für die gesamten EEG-Zahlungen. Ab 2010 begannen die etlichen Kürzungsrunden. Ich fragte mich, ob derart überproportionale Steigerungen der EEG-Umlage noch möglich sein können nach diesen vielen Kürzungsrunden und ob der Zubau tatsächlich so überdimensional stark war, dass er die Kürzungen der Neuanlagen überkompensiert. Also begann ich danach zu schauen, wie hoch die Zahlen tatsächlich sind und wie sie sich entwickelt haben. Ich war mehr als überrascht über das Ergebnis!

Warum hat die Presse das nicht geschafft?

Das ist eine gute Frage, die ich mir auch oft gestellt habe. Vor allem hätte ich gerne gewusst, warum keine der angeschriebenen Printmedien jemals auf die Informationen reagiert hat, die ich ihnen mehrmals zukommen ließ. Die Thematik wurde schlicht totgeschwiegen. Die Bedeutung und Folgen der AusglMechV wurde bis zum heutigen Tag nicht thematisiert. Sicher liest man in der Presse immer wieder was zu sinkenden Börsenpreisen und z.T. auch, dass genau dadurch die Umlage steigt. Dieser Sachverhalt wird aber letztendlich so kommuniziert, als sei er gottgegeben, als könne man daran nichts ändern und sei schon immer so gewesen. Ein Zusammenhang, feststehend und unveränderlich wie ein Naturgesetz. Wie die Newtonschen Gesetze oder der Energieerhaltungssatz. Ist es aber nicht. Das EEG-Paradoxon ist menschengemacht und kein Zustand, den es schon immer gab.

Der Knick in der Entwicklung der EEG-Umlage ab 2009 ist so deutlich und unübersehbar, dass er Fragen aufwirft. Allein mit einem hohen PV-Zubau ist das nicht erklärbar. Journalisten der „alten Schule“ hätten hier genauer hingeschaut und begonnen zu recherchieren, was 2009 los war. Das ist leider nicht geschehen. Wenn die EEG-Umlage überhaupt in der breiten Zeitungslandschaft kritisch hinterfragt wurde, wurde sich an den Industrieausnahmen abgearbeitet.

Warum haben die Medien versagt?

In einer von Existenzkrisen und hohem Personalabbau gekennzeichneten Branche gilt folgendes Prinzip: Wessen Botschaft plakativ in eine Zeitungsschlagzeile passt, hat gewonnen. Die Begriffe Subventionsempfänger und Energiearmut waren sehr schlagzeilentauglich. Wer hingegen langwierig argumentieren und komplizierte Sachverhalte erklären muss, der hat medial schnell verloren.

Auch das, was der frühere Spiegel-Redakteur Harald Schumann als „Blattlinie“ bezeichnet, könnte eine Rolle spielen. Schumann hatte 2004 unter öffentlichem Protest gekündigt, als Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust einen gründlich recherchierten Windkraftartikel mit positivem Tenor ablehnte und stattdessen eine negative Windkraft-Geschichte bei einem Autor gezielt bestellte und diese auch noch zur Titelstory machte. Schumann ist deutlich in seinen Aussagen. „Bei meinem früheren Arbeitgeber war die Verbreitung von Behauptungen zum Schutz der Interessen der betroffenen Konzerne die offizielle Blattlinie.“

Ende Teil 1, morgen folgt Teil 2. In unserer gedruckten April-Ausgabe finden Sie eine gekürzte Version des Interviews.