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Kommentar zu Turbinenentwicklung

Flexible Hoch(See)technologie überzeugt

Schon 2019 soll Belgiens dann größter Offshore-Windpark namens Norther ans Netz gehen. Investor ist ein Joint Venture der belgischen Energie-Versorger und Regenerativ-Projektierungs-Unternehmen Eneco und Elicio. Das Joint Venture erhält finanzielle Unterstützung durch Eneco und Elicio selbst wie auch durch den japanischen Konzern Mitsubishi, der am Turbinenlieferant beteiligt ist. Der Anlagenhersteller MHI Vestas – selbst ein Joint Venture aus dem dänischen Windenergieanlagenkonzern Vestas und dem japanischen Technologiekonzern Mitsubishi (MHI) – liefert die 44 Anlagen der bislang größten Leistungsklasse der Branche von acht Megawatt (MW), die V164 mit 80 Meter langen Rotorblättern beziehungsweise 164 Meter Rotordurchmesser. Dabei hat MHI Vestas die Auslegung der Turbinen an den nicht so küstenfernen Nordsee-Standort angepasst und wird die Nennkapazität der Anlagen durch eine individuelle Steuerungseinstellung von 8,0 auf 8,4 MW erhöhen. Der Windpark wird so mit 370 MW fast so leistungsstark wie die heute typischen 400-MW-Hochseeprojekte der deutschen Nordsee mit je 80 Turbinen. Sie galten bis vor kurzem als branchenweiter Maßstab für moderne Meereswindparks.

MHI Vestas kann sich über mangelnde Nachfrage nach dem Zugpferd V164 nicht mehr beklagen. Gerade haben die Installateure  des britischen Windfeldes Burbo Banks die Erweiterung des Windparks mit V164-Windenergieanlagen abgeschlossen. In den Auftragsbüchern stehen auch noch einige andere Offshore-Windprojekte. Die Investoren vertrauen ganz offensichtlich dem von Siemens vor einigen Jahren als Offshore-Weltmarktführer abgelösten Player Vestas im Verbund mit dessen japanischen Partner wieder.

Dabei darf dies auch als ein kleines Wunder ansehen, wer sich die Angst der Investoren vor nicht bewährten neuen Typen unter den Meereswind-Turbinen zurück ins Gedächtnis ruft. Vor nicht allzu langer Zeit galten neue Antriebskonzepte als verpönt. Selbst die als technologisch sauber arbeitenden deutschen Hersteller der ersten Fünf-MW-Anlagen bekamen nur schwer einen Fuß in die See. Die damals als Areva und Repower firmierenden Player, inzwischen im Joint-Venture Adwen aufgegangen sowie zu Senvion umbenannt, bekamen in Großbritannien oder Dänemark keinen Stich gegen die herkömmliche Land-Windanlagen der Zwei- und Drei-MW-Klasse installierenden Player Siemens und Vestas. Nicht zuletzt auch, weil Vestas mit dem versuchten Wechsel zu komprimierten Triebsträngen bereits teure Serienschäden verursacht hatte, aber auch nachdem der Fünf-MW-Anlagenlieferant Bard wegen Anlagenproblemen aufgeben musste. So galten neue Turbinenkonzepte als nicht verkäuflich.

Jetzt kann Vestas mit einem neuen komprimierten und mittelschnell drehenden Triebstrang aber große Bestellungen sogar für küstennahe Windparks einholen. Nicht zu vergessen ist bei dieser Analyse die lange Zeit von der Branche gepflegte These: Große Multimegawattturbinen lohnen sich nur in küstenfernen Standorten wie in der deutschen Nordsee, wo jeder Service-Einsatz immense Kosten bedeutet und daher möglichst wenige Anlagen anzufahren sein sollten. Jetzt hingegen haben die Investoren Vertrauen in eine Riesenanlage auch küstennah – die sogar noch eine bisher nicht vorgeführte spezielle Turbinensteuerung und Kapazitätserhöhung verspricht. Und die noch keinerlei Windparkergebnisse vorweisen kann.

Eigentlich ließen sich Gründe für ein erschüttertes Investorenzutrauen immer neu finden. So hatte Senvion vor zwei Jahren Rotorblattprobleme in einem Nordsee-Windpark einräumen müssen. Und der US-amerikanische Konzern GE hat nach dem Kauf des französischen Herstellers Alstom vor einem Jahr noch immer nicht die getriebelose Alstom-Anlage Haliade mit sechs MW Leistung weiter ins Investoren-Spiel gebracht: Nach einem technischen Schaden am Generator bei einem Prototypen scheint das Vertrauen noch nicht soweit zurück zu sein, in diese Sechs-MW-Newcomertechnologie, wie sich das GE wünschen dürfte. Dennoch: In den etablierten Offshore-Windkraftländern gab es im vergangenen Jahr bislang einen Auftrag, den für den deutschen 400-MW-Windpark Merkur.

Geschenkt, dass ironischerweise nun Vestas und auch Konkurrent Siemens mit einer getriebelosen Sieben-MW-Turbine gleichermaßen den Markt dominieren, aber als Beispiele einen Makel haben: Ausgerechnet diese beiden Player hatten ja am längsten an den kleinen herkömmlichen Windturbinen der Drei-MW-Klasse festgehalten. Geschenkt, dass ihr Erfolg wesentlich auch auf Ihrer Größe als Windturbinenbauer beruht: Die Investoren suchen angesichts heutiger Windparkdimensionen nach Anlagenherstellern, die ebenfalls groß sind. So wollen die Investoren sich absichern, dass ihr Lieferant immer genügend Kapazitäten besitzt, um das Projekt schnell und auch nach Pannen noch ohne Unterbrechung voranzutreiben. Und dass er finanzielle Risiken mit tragen kann.

Wichtiger ist, dass die technologische Reife inzwischen dazu führt, dass Entwicklungsfortschritte der Branche nun so breit in die Praxis einfließen: ob neue Steuerungen, neue Anlagendesigns, oder auch die Industrialisierung und Automatisierung der Serienfertigung: Sie führt dazu, dass sich neue Produktionsstätten wie das jetzt eröffnete Rotorblattwerk von Siemens im nordenglischen Hull lohnen. Selbst deutsche Landesbanken wie nicht zuletzt die Bayern LB halten Offshore-Technologie inzwischen als risikoarm, wie Vertreter schonmal bei Begegnungen mit Journalisten gerne einräumen.

Selbst Reparaturen in begrenztem Rahmen sind offenbar kein Grund mehr, um Angst vor Vertrauensverlust zu haben: So verbreitete der britische Reparaturdienstleister und Schiffe-Provider CWind vergangene Woche im Einverständnis mit Siemens stolz, dass er Siemens bei Blattreparaturen in zwei älteren britischen Windparks helfen durfte. Reparaturen sind bei gesicherten, etablierten und gut funktionierenden Technologien eben Normalität und gut, lautete die unterschwellige Botschaft.

(Tilman Weber)