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Windpark-Wartung – I

"Riskante Preispolitik"

ERNEUERBARE ENERGIEN: Die herstellerunabhängigen Servicedienstleister sind heute fester Bestandteil der Windbranche. Sie, Herr Schomakers, kamen einst vom Windturbinen-Hersteller GE, um einen herstellerunabhängigen Wartungsservice aufzubauen. Fehlte es damals an unabhängigen Serviceanbietern?

Ulrich Schomakers, Availon-Geschäftsführer: Ja. Als wir 2007 SSB Service gründeten, heute Availon, gab es kaum freie Serviceanbieter, vor allem nicht für Windenergieanlagen größer als ein Megawatt. Viele Hersteller hatten den Service noch nicht so ernst genommen wie vielleicht heute. Vor allem im Multimegawattbereich mussten unabhängige Serviceanbieter auch nach Ablauf der Gewährleistungszeit versuchen, das Produkt zu verbessern. Dieses wurde von vielen Herstellern nicht wahrgenommen.

Andreas von Bobart, Wind-Chef bei GE Deutschland: Der Erfolg der Unabhängigen zeigt, dass deren Markteintritt ein wichtiger Schritt war. Ich sehe keinen Grund, warum es in der Windbranche anders laufen sollte als in anderen Branchen, in denen es vom Automobil bis zum Kraftwerksbau unabhängige Wartungsdienstleister gibt.

Christian Essiger, Serviceleiter Nordex: Hersteller mit Fokus auf die Maschine haben die Tür für den unabhängigen Service aufgemacht. Das hängt damit zusammen, dass die Windbranche noch etwas jünger ist. Ich komme aus dem Wartungsbereich für Bahninfrastruktur bei Siemens. Dort steht schon lange die Wartung im Fokus. In der Windbranche haben wir da in den letzten zehn bis 15 Jahren einen Prozess durchgemacht. Da boten unabhängige Wartungsdienste für die Anlagen auch längere Vertragslaufzeiten an. Auch hierdurch wurde mehr auf Wartungsfreundlichkeit geschaut und vor allem wurde im Service dann mehr Wert auf die kontinuierliche Verbesserung von Bestandsanlagen gelegt. Ich weiß jetzt nicht, ob diese direkte Kausalität besteht: Es gibt nun unabhängige Wartungsdienstleister, alle Turbinenhersteller kriegen große Augen und jetzt wird sich erstmals die Wartung der Anlagen als Aufgabe näher angeschaut. Aber sicherlich waren die herstellerunabhängigen Dienstleister ein Faktor.
Keine monopolistischen Strukturen

Klingt harmonisch. Dann nehmen Sie sich in Wirklichkeit also nichts weg?

Matthias Brandt, Vorstand Deutsche Windtechnik: Natürlich nehmen wir vom Bestandsgeschäft der Hersteller etwas weg. Aber wir beleben deren Geschäft auch, weil der Kunde sich durch die mit uns entstandenen Alternativen ermutigt fühlt. Der sagt dann: Ich kaufe lieber eine Mühle, bei der ich im Service auch Alternativen habe, als dass ich monopolistischen Strukturen ausgesetzt bin. Das trifft nicht auf den Marktführer zu: Enercon hat da einiges richtig gemacht. Aber auch dort lohnt sich ein näherer Blick: Je nachdem, wo die Anlagen etwa vom Typ E70 aufgebaut sind, wartet sie Enercon eben nicht selbst. In Polen, Litauen oder Finnland machen das Unabhängige, die sich das zutrauen. Daran sieht man, dass sich Servicedienstleister grundsätzlich in jede Anlage einarbeiten können.

Warum sind dann die Hersteller nicht offener, wenn es um die Bereitstellung ihrer Wartungsanleitungen geht?

Essiger: Naja. Trotz allem ist es ja ein Konkurrenzgeschäft und wir sind nicht nur gute Freunde. Um die Wartungsaufträge wird auch gekämpft, fair zwar, aber wir wollen unsere Konkurrenten nicht über das Notwendige befähigen, ins Geschäft einzusteigen.

Es gibt ja noch ganz andere Möglichkeiten, die herstellerunabhängigen Dienstleister beim Service auf Distanz zu halten. Man kennt die Beschwerden, dass Hersteller ihre Zulieferer bitten, nicht an herstellerunabhängige Dienstleister zu liefern. Sind diese Methoden noch aktuell, sind sie legitim oder schaden Sie gar dem Wettbewerb?

Schomakers: Wir haben in der Regel zwei bis drei Zulieferfirmen je Komponente. Wenn es bei einem Ersatzteil nicht um spezifisches Know-how geht, also Intellectual Property, dann gibt es heute die Ersatzteile zu kaufen. Oder man entwickelt alternative Produkte – was wir im Einzelfall auch gemacht haben – gemeinsam mit einem anderen Zulieferer als dem des Herstellers.

Von Bobart: Bei Steuerung, Lastmanagement und Spezifikation der Komponenten ist der Hersteller vorne. Er gibt zwei- bis dreistellige Millionenbeträge für die Entwicklung einer Anlage aus. Und diesen Posten muss er sich wiederholen, was über den Verkauf der Anlage und den Service geht. Den Wissensvorsprung möchte der Hersteller behalten. Das ist legitim. Bei Dokumentation und Teileverfügbarkeit hat die jüngste Vergangenheit aber bestätigt, dass sowohl die Teile zur Verfügung stehen als auch die Dokumentation. Das heißt nicht, dass wir diese an unabhängige Servicedienstleister und damit unsere Wettbewerber geben müssen. Unsere Kunden bekommen vielmehr Dokumentationen, die sie für die Wartung benötigen. Wir nehmen aber wahr, dass unabhängige Anbieter in Schnelligkeit und Flexibilität etwas voraus haben.

Essiger: Nein. Ich stehe für einen Anlagenhersteller, der sich durch ein großes Maß an Schnelligkeit und Flexibilität geradezu auszeichnet. Was ich eher hervorheben will, ist die Wechselwirkung zwischen dem Design für eine Neuanlage und dem Service. Das Design für Neuanlagen beruht auf Erfahrungen, die im Feld mit dem Service gewonnen wurden …

Sie sprechen von einer Schadensdatenbank, die regelmäßig aktualisiert wird und in die hersteller­unabhängige Servicedienstleister auch gerne Einblick nehmen würden?

Brandt: Ich würde hier gerne einhaken. Ich glaube, dass der Wissensvorsprung des Herstellers in der Praxis schnell aufgebraucht ist. Mit ihrer vollständigen Konzentration auf Instandhaltung können Herstellerunabhängige diesen ganz schnell wettmachen. Bei Anlagen außerhalb der Gewährleistung sind wir binnen zwei Jahren besser. Wichtig dafür ist nur, dass das wettbewerbsrechtlich unterstützt wird. Die Hersteller dürften eigentlich nichts vorenthalten. Es gibt ja dazu bereits Rechtsprechungen, allerdings traditionell in unserer Branche weniger als in anderen Branchen.

Schomakers: Bei den Dokumentationen sehen wir Unterschiede zwischen den Herstellern. Der eine stellt etwas mehr zur Verfügung als der andere. Aber keine dieser Standardinformationen reicht aus. Wir würden uns wünschen, dass weitergehende Dokumente zur Verfügung gestellt werden – wie es in anderen Branchen Standard ist. Das dauert vielleicht noch fünf bis zehn Jahre. Zwar bilden manche Windenergieanlagenhersteller in Schulungszentren ihre Kunden aus. Doch der herstellerunabhängige Wartungsdienstleister kann nur eigene Entwicklungsingenieure nutzen, um eigene Dokumentationen aufzubauen. Wir sind bei Availon so weit gegangen, dass wir eigene Wartungsanweisungen für verschiedene Turbinentypen erstellt und vom Germanischen Lloyd haben zertifizieren lassen.
Unabhängige kaufen Kompetenzen

Brandt: Ich frage die Hersteller: Kriegt jeder Kunde dieselben Standardinformationen?

Essiger: Das läuft anders. Die Informationen stecken im Wesentlichen in den Köpfen der angestellten Menschen, bei den Servicetechnikern selber. Da ist nicht alles Wissen auf Papier festgehalten. Deswegen beobachte ich auch, dass unabhängige Servicedienstleister sich diese Kompetenzen am Markt zielgerichtet einkaufen. Wir haben es bei Ihnen, Herr Brandt, bei der Deutschen Windtechnik gesehen …

Von Bobart: Es gibt nicht die eine Standarddokumentation. Energieversorger stellen andere Anforderungen als ein Windparkbetreiber und Investor in Deutschland. Die Kunden bekommen daher ihre maßgeschneiderte Dokumentation. Kunden in Deutschland haben traditionell immer Wert auf langfristige Instandhaltungsdienstleistungen gelegt, sie verlangen nicht so eine detaillierte Dokumentation, werden aber dennoch zufriedenstellend bedient.

Die Vollwartung erfreut sich wachsender Beliebtheit – schon alleine, weil die Banken sie gut finden. Ist es für unabhängige Servicedienstleister schwierig, Vollwartung kosteneffizient anzubieten?

Von Bobart: Wir beobachten mit Spannung, ob die Risikobetrachtung wirklich stimmt. Wir reden über Anlagen, die in den Jahren zwölf bis 20 ihrer Lebensdauer sind. Man muss sie genau kennen, um Fehler- oder Ausfallhäufigkeiten abschätzen zu können. Ich glaube, dass das auch für die Unabhängigen bedingt möglich ist. Aber warten wir ab, wie nachhaltig das ist und welche wirtschaftlichen Kennzahlen der Dienst für die einzelnen Anbieter bedeutet ...

Ist das vielleicht das Stichwort Dumpingpreise?

Essiger: Ich sehe da die Hersteller im Vorteil. Wir kennen die Ausfallraten der Komponenten am besten. Wir haben die Flottendaten und zudem die Erfahrung an den eigenen Standorten gesammelt. Ein Standort mit hoher Turbulenz wirkt sich ganz anders auf die Anlage aus als einer mit geringen Turbulenzen. Damit sind wir am besten in der Lage zur konkreten Risikobetrachtung. Mir erschließt sich auch nicht, dass die Unabhängigen geringere Kosten haben sollten. Die müssen sich das Know-how erarbeiten, das die Lieferanten haben. Ich sehe daher vor allem eine aggressivere Preispolitik bei den Unabhängigen.

Brandt: Das sehe ich komplett anders. Die herstellerunabhängigen Servicedienstleister können die Daten sogar besser analysieren. Wir haben aber alle Probleme, die Zukunft validiert zu sehen. Wenn der Hersteller alles wüsste, könnte er eine Anlage ohne Fehler bauen. Aber er stellt selbst erst nach anderthalb Jahren fest, wo er Serienschäden hat. Der Unabhängige findet die Fehler oft schon vorher. Das andere ist der Kostendruck. Da müssen wir sehen, wer die Arbeit profitabel schafft. Die Chancen sind da beim herstellerunabhängigen Service auf keinen Fall schlechter. Es wird von den Herstellern immer suggeriert, dass wir alles schlechter machen. Aber es ist genau andersrum. Wir stehen sowohl in der Analyse als auch ökonomisch häufig genauso gut da.
Aber auch nicht besser?

Brandt: Doch, besser. Gucken Sie sich Ratings an, manches herstellerunabhängige Unternehmen wird besser bewertet. Viele Hersteller stehen bei Ulrich Schomakers und mir auf der Matte und fragen: Willst du nicht für uns den Service machen? Ich könnte einige Beispiele nennen, warum der Hersteller sagt: Uff, bei unserem Service klemmt es aber ganz schön.

Eine Zeitlang hatte sich GE von der Vollwartung verabschiedet, weil das Geschäft nicht lukrativ war. Ist es schwer, im Service schwarze Zahlen zu schreiben?

Von Bobart: Wenn man eine Zeitlang sagt, Vollwartungskonzepte will man nicht anbieten, dann weil Sie eine bestimmte Flottengröße brauchen, damit es wirtschaftlich funktionieren kann. Das ist für uns eine wesentliche Voraussetzung gewesen. Wir bieten heute auch für Altanlagen Vollwartungsverträge an. Auf der technischen Seite bieten wir einen Mehrwert, der aber vom Kunden honoriert werden muss.

Schomakers: Ich glaube, dass ein Unabhängiger immer noch eine bessere Kostenstruktur hat als das Herstellerunternehmen.

Warum?

Schomakers: Weil das Unternehmen sich einfach schlanker aufstellen kann. Wir haben eine flache Hie-
rarchie. Ich kenne die Strukturen von GE oder anderen Herstellern. Insgesamt weiß ich, dass die Kosten da höher sind. Wenn wir Unabhängigen schon kein Geld mehr verdienen, dann macht der Hersteller sicherlich Verluste. Beispielsweise können die Hersteller materialseitig bei Serienprodukten durch Volumen günstiger einkaufen, wir hingegen können dafür viele Teile zu geringeren Kosten schneller reparieren. Wir als Unabhängiger haben hier ein starkes Netzwerk aufgebaut, um entsprechend in jeder Situation agieren zu können. Das gleicht sich aus. Durch den Wettbewerb sind die Preise im Markt gesunken. Was gut ist, weil jeder sich Mühe gegeben hat, seine Kostensituation zu verbessern, um die Flotte wirtschaftlich zu betreiben. Jetzt ist die Talsohle erreicht, in den nächsten Jahren werden die Preise steigen. Hersteller bieten in einigen Fällen Preise, wo wir sagen: Hier steigen wir aus. Wir machen keine Verträge, mit denen wir Verluste machen.

Es gibt ja auch Berechnungen, die besagen, der Betreiber fährt billiger, wenn er keine Vollwartung abschließt. Aber Vollwartung ist im Trend, die Banken lieben sie. Wie sehen Sie das?

Brandt: Ja, in jedem Vollwartungsvertrag steckt eine Risikoabzinsung. Das ist ein Trend. Aber es wird einen Gegentrend geben. Leute werden sagen, das ist es mir nicht wert in der Risikobetrachtung. Ich glaube an Basis und gute technische Betreuung. Vollwartungsverträge sorgen allerdings in dieser Gemengelage für weniger Schnittstellenmanagement. Das ist den Menschen einiges wert.

Von Bobart: Wenn man die Grenzen dieses Landes hinter sich lässt, sieht man, es gibt beide Vertragsvarianten – und letztlich ist es eine kaufmännische Abwägung.

In den USA, der Heimat von GE, ist Vollwartung unüblich.

Von Bobart: Da werden einige Sachen nach außen gegeben, den ganzen Rest machen die Betreiber selbst. Sie holen sich gezielt Dienstleister und machen das Ganze kostenoptimiert. Das sind aber auch ganz andere Verhältnisse als hier, wo Sie über die Finanzierung eines Windparks mit drei Anlagen reden müssen.

Essiger: Auch die Parkgröße spielt da eine maßgebliche Rolle. Wenn Sie einen Windpark mit 30 Anlagen haben, von denen eine steht, ist das ein ganz anderes Risikoprofil, als wenn Sie eine einzige Bürgerwindturbine haben und die steht.

Schomakers: Die Hersteller versuchen, bei neuen Anlagen mit zwei bis drei Megawatt durch Vollwartungsverträge das Geschäft für sich zu sichern. Das wird aber nicht von allen gewünscht.

Brandt: Wir schließen bei den neuen Verträgen sicher 75 bis 80 Prozent Vollwartungsverträge in der Megawatt-Klasse ab. Es gibt mit Berechtigung viele kleine Unabhängige, die sich auf ältere Anlagen spezialisiert haben. Die stoßen bei Vollwartungskonzepten an ihre Grenzen.

( Das Interview führten Tilman Weber und Nicole Weinhold)