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Politisches Statement

Angst vor den Wählern als schlechter Ratgeber

Jeffrey Sachs, vom Chicago-Saulus zum Nachhaltigkeits-Paulus gewandelter, inzwischen weltweit anerkannter Direktor des Nachhaltigkeitsnetzwerks der Vereinten Nationen (UNSDSN) und des Earth Institute an der New Yorker Columbia University, erzählte vergangene Woche zu Beginn seiner Mercator Climate Lecture in der Berliner TU einen Witz: "Kommt ein Mann zum Arzt und lässt sich untersuchen. Danach sagt der Arzt: ‚Ich habe eine schlechte und eine ganz schlechte Nachricht für Sie‘. Darauf der Patient: ‚Ich möchte zuerst die schlechte Nachricht hören‘. Der Arzt: ‚Sie haben noch 72 Stunden zu leben‘ Der Mann: ‚O Gott! Was aber kann schlechter sein als das?‘ Der Arzt: ‚Wir versuchen Sie schon seit Tagen zu erreichen…'“ Sachs weiter: „Das beschreibt unsere Situation als Wissenschaftler: Wir versuchen jetzt bereits seit 20 Jahren, Sie zu erreichen…“ Sachs meinte zwar sein Publikum im TU-Audimax, aber vor allem Politiker, deren Beweggründe gerade in Klima- und Nachhaltigkeitsfragen oft schwer ergründbar erscheinen.

Viele Politiker machen die Inhalte ihrer Politik von Wählerstimmen abhängig. pixabay

Dabei ist das gar nicht so schwer.1905 unternahm der russische Forscher Iwan Petrowitsch Pawlow seinen berühmten Versuch zum Nachweis der klassischen Konditionierung an dem nach ihm benannten Hund. Er hatte einen Zusammenhang zwischen Speichelfluss und Verdauung beobachtet, und kombinierte Futtergaben mit einem Glockenton. Wie inzwischen weit herum bekannt, sonderte der Hund schließlich auf den Ton allein Speichel ab.

Politiker reagieren vergleichbar. Sie kennen – etwas vergröbert gesagt - zwei handlungsauslösende Reize: Parteispende und Wählerstimme. Wenn eine der beiden, oder gar beide abnehmen, werden sie unruhig (beides gegenwärtig im Rahmen des offenen Unionsstreits über Flüchtlings-Obergrenzen und EEG/Überlandleitungen auf offener Bühne zu besichtigen - wirklich lustig wird das erst, wenn Strom in Bayern teurer wird als im deutschen Norden. Auf die Energiepolitik heruntergebrochen erklärt das Bild; warum Frau Kraft und die Herren Hasseloff/Woidke so stur an der Braunkohle festhalten. Sie sagen, es gehe ihnen um die Versorgungssicherheit und schwafeln von den ach so teuren Erneuerbaren (falsch), von Grundlast (falsch), Dunkelflauten (falsch) und verstopftem Netz (falsch). Alles falsch, denn das Netz ist nicht von Erneuerbaren, sondern von Kohlestrom verstopft, der massenhaft exportiert werden muss, weil wir zu viel davon haben. Boris Schucht nannte das eben im Tagesspiegel-Interview „Mythen der Energiewirtschaft“, bis zu 70 Prozent Erneuerbare Energien seien problemlos integrierbar. Die Vorstellung, man brauche bei der Integration der Erneuerbaren sofort mehr Flexibilität im System, also Speicher oder abschaltbare Lasten oder Backup-Kraftwerke, sei ein solcher Mythos. Wir hätten viel mehr Flexibilität im System, als wir benötigten, stellte Schucht klar – „wir haben auch noch riesige weitere Potenziale“.

Unseren Braunkohle-PolitikerInnen geht es ums Wieder-Gewählt-Werden, das in Gefahr gerät, wenn die Umfragen abzustürzen oder Wahlspenden zu versiegen drohen. Habituell führen Politiker das unter anderem auf gefährdete Arbeitsplätze zurück (in vielen Gegenden zu Unrecht: in der Lausitz sind zum Beispiel 90 Prozent eh schon weg). Also wird weitschweifig und wortreich argumentiert, dass und warum die vorsintflutlichen Braunkohle-Tagebaue samt zugehöriger CO2-Dreckschleudern unbedingt so lange weitergeführt werden müssen, bis das letzte Dorf umgesiedelt ist – „ausgekohlt“ nennen sie das.

Wir sind nur zu kurzfristigem Denken in der Lage. Dieter E. Zimmer, kluger ZEIT-Redakteur, schrieb irgendwann Ende der 70er Jahre, dass wir, wenn ein Spaß damit verbunden wäre, uns mit dem Hammer auf den Daumen zu hauen, der Schmerz aber erst nach Ablauf von drei Jahren einträte, uns unentwegt mit dem Hammer auf den Daumen hauen würden.

Wirklich langfristiges Denken wäre: Die Kohle so bald wie möglich und so sozialverträglich wie nötig im Boden zu lassen – oder, alternativ, jetzt sofort ganz viel Geld nicht in CCS, sondern in CCU (Wiederverwendung des gespeicherten CO2) zu stecken. Kreislaufwirtschaft muss das Ziel sein, denn die Natur kennt keinen Abfall. Wie lange dauert es noch, bis Politiker und –innen das nicht nur in Sonntagsreden packen, sondern auch danach handeln? Wirklich langfristiges Denken ginge jedenfalls über eine vierjährige Legislaturperiode hinaus. Ein Merkel-Vorgänger sagte einmal in Neuhardenberg (es ging um Hartz-4): „Wir müssen das machen, auch wenn der Erfolg erst nach den nächsten Wahlen eintritt.“

Autor: Gerhard Hofmann (geb. 1948), Geschäftsführer der Agentur Zukunft, war bis 2008 Chefkorrespondent von n-tv und RTL. Heute arbeitet er als Berater im Bereich der Erneuerbaren Energien und Nachhaltigen Entwicklung, u.a. für die Max-Plank-Gesellschaft und acatech.