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Kommentar

Wärmewende lässt sich nicht ersatzlos aushebeln

Die „Heizungsdebatte“ ist zurück. Kaum hat sich die Erinnerung an die hitzigen Talkshows über Wärmepumpen und Verbotsfantasien etwas abgekühlt, greift die nächste Bundesregierung das Gebäudeenergiegesetz (GEG) wieder an. Ausgerechnet die zentrale Vorgabe, wonach Heizungen ab einem Austausch zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen, steht zur Diskussion. Ein „Schritt zurück zu mehr Technologieoffenheit“, wie es beschönigend heißt – tatsächlich aber ein offener Rückfall in klimapolitische Verantwortungslosigkeit.

Doch so einfach ist es nicht. Und das ist das eigentlich Hoffnungsvolle: Deutschland darf sich diese Rolle rückwärts gar nicht leisten – nicht aus Brüssel, nicht aus Karlsruhe. Miriam Vollmer, Verwaltungs- und Energierechtlerin, weist in ihrem Gutachten für den Bundesverband Wärmepumpe unmissverständlich nach: Der Gesetzgeber kann § 71 GEG nicht ersatzlos zurückdrehen. Dafür sorgen europarechtliche wie verfassungsrechtliche Schranken. Wer also glaubt, mit einem Federstrich sei das „Heizungsgesetz“ erledigt, verkennt die Realität.

Rolle rückwärts schwer machbar

Alle Seiten, die in den letzten Jahren beim Klimaschutz in Deutschland genau hingeschaut haben, kennen das Muster: Erst werden ambitionierte Ziele beschlossen, dann droht beim ersten Gegenwind der Rückzieher. Ob CO₂-Grenzwerte, Kohleausstieg, Tempolimit oder Heizungsmodernisierung – das Muster ist stets gleich.

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Umso wichtiger, dass das deutsche Recht und die EU den Klimaschutz-Volten in Berlin einen Riegel vorschieben. Denn: Die EU-Klimagesetzgebung verpflichtet alle Mitgliedstaaten, bis 2050 klimaneutral zu sein. Die Lastenteilungsverordnung (ESR) schreibt Deutschland für den Gebäudesektor eine Emissionsminderung um 50 Prozent bis 2030 vor. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) verlangt, dass der Gebäudesektor 2030 zu 49 Prozent erneuerbar sein muss. Die Gebäuderichtlinie (EPBD 2024) zwingt uns auf den Pfad zu einem klimaneutralen Bestand – Neubauten sollen schon 2030 Nullemissionsgebäude sein. Das alles bedeutet: Wer heute neue fossile Heizungen zulässt, verfehlt diese Ziele krachend. Eine ersatzlose Streichung der 65-Prozent-Vorgabe ist also nicht nur unvernünftig – sie ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schlicht rechtswidrig.

Karlsruhe sagt: Kein Zurück hinter das Erreichte

Hinzu tritt das Grundgesetz: Art. 20a GG, das „Umweltschutzgebot“, das spätestens seit dem Klima-Beschluss des BVerfG 2021 scharf geschaltet ist. Der Verfassungsauftrag ist klar – Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, im Interesse künftiger Generationen. Vollmer formuliert es prägnant: Das bedeutet ein Verschlechterungsverbot. Maßnahmen, die einmal etabliert wurden und wirksam Treibhausgase mindern, darf der Gesetzgeber nicht ersatzlos kippen.

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Das gilt umso mehr, als die Grundrechte – das Recht auf Leben, Gesundheit, Eigentum – ebenfalls staatliche Schutzpflichten begründen. Wenn der Staat sehenden Auges mehr fossile Heizungen zulässt, erhöht er die Klimarisiken für alle – und entzieht sich der Verantwortung, diese Grundrechte zu sichern.

Die Illusion der „Märkte“

Auch der Emissionshandel wird seinen Beitrag leisten, Preissignale wirken nicht über Nacht. Kein Hauseigentümer tauscht eine zehn Jahre alte Gasheizung nur wegen steigender Zertifikatspreise. Jeder Heizkessel, der heute noch eingebaut wird, blockiert für 20 Jahre den Pfad zur Klimaneutralität. Genau diese „Lock-in-Effekte“ sollen durch § 71 GEG vermieden werden.

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Dass Europa die Mitgliedstaaten verpflichtet, konkrete ordnungsrechtliche Maßnahmen zu erlassen, ist kein bürokratischer Zwang, sondern nüchterne Notwendigkeit. Emissionshandel ist ein Werkzeug – aber kein Ersatz für verbindliche Effizienz- und Erneuerbaren-Quoten.

Was das für Deutschland bedeutet

Eine ersatzlose Abschaffung des § 71 GEG wäre also riskant bis rechtswidrig. Risiken reichen von Vertragsverletzungsverfahren in Brüssel über Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe bis hin zu einer juristischen Hängepartie für Verbraucher, die im Vertrauen auf gesetzliche Vorgaben bereits investiert haben. Eine unklare Rechtslage wäre der Super-GAU für Bürger und Branche.

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Auch wirtschaftlich wäre eine Abkehr fatal: Die Wärmepumpenbranche hat investiert, Produktionskapazitäten aufgebaut, tausende Handwerker weiterqualifiziert. Der Marktanteil liegt inzwischen bei knapp 50 Prozent. Politik, die diesen Trend mutwillig unterminiert, verspielt nicht nur Vertrauen, sondern auch industrielle Chancen.

Klimapolitik ist in Berlin zu oft eine Sandkastendemokratie: heute bauen, morgen einreißen. Die EU zwingt uns wenigstens, Türme nicht vorschnell dem Populismus zu opfern. Das mag für manche nach „Entmündigung“ klingen – tatsächlich ist es unsere letzte Versicherung dafür, dass politische Stimmungen nicht den Klimaschutz kompostieren.

Die Wahrheit ist unbequem, aber klar: Deutschland kann sich beim Heizen nicht aus der Verantwortung stehlen. Der Weg zur Klimaneutralität im Gebäudesektor ist vorgegeben – durch EU-Recht und Verfassungsrecht. Wer also ernsthaft glaubt, mit Schlagworten wie „Technologieoffenheit“ die Wärmewende aufschieben zu können, sollte sich schon mal auf sehr lange Verhandlungen mit Brüssel – und sehr kurze Fristen aus Karlsruhe – einstellen. Dass es solche Schranken gibt, ist ein Glücksfall. Ohne sie wäre der deutsche Klimaschutz längst zwischen Wahlkampf und Wirtschaftsinteressen zerrieben. Manchmal ist es gut, wenn Europa nicht nur zusieht – sondern den Taktstock in der Hand hält.

Nicole Weinhold, Chefredakteurin Magazin Erneuerbare Energien

Silke Reents

Nicole Weinhold, Chefredakteurin Magazin Erneuerbare Energien