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Zementierung fossiler Infrastruktur: Regierung will Öl- und Gasförderung vor der Haustür

Die Bundesregierung hat ein deutsch-niederländisches Abkommen zur Erschließung von Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee beschlossen. Das sogenannte Unitarisierungsabkommen soll die „optimale" Ausbeutung grenznaher Lagerstätten ermöglichen. Umweltschützer und Experten üben scharfe Kritik an dem Vorhaben.

Regierung ignoriert laufende Gerichtsverfahren

Mit der Unterzeichnung des Abkommens setzt sich die Bundesregierung über laufende Gerichtsverfahren hinweg. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt derzeit vor deutschen und niederländischen Gerichten gegen Genehmigungen für Gasbohrungen im Feld N05-A vor der Insel Borkum.

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH, wirft der Regierung vor, mit dem Abkommen Druck auf Gerichte und Genehmigungsbehörden ausüben zu wollen: „Die Bundesregierung versucht offenbar, politische Realitäten zu schaffen - trotz unseres laufenden Gerichtsverfahrens.“

Besonders problematisch: Einige der anvisierten Gasfelder liegen unter dem Naturschutzgebiet Borkum Riffgrund. Umweltschützer warnen vor verheerenden Folgen für die Artenvielfalt in der Nordsee.

„Wertvolle Riffe und bedrohte Tiere wie der Schweinswal dürfen nicht zu den Opfern der fossilen Industrie werden“, mahnt Müller-Kraenner. Die geplanten Aktivitäten umfassen Untersuchungen mit Schallkanonen, Rammarbeiten im Meeresboden sowie die Einleitung von Schadstoffen.

Bernd Meyer von der Bürgerinitiative Saubere Luft Ostfriesland berichtet von einem ersten Erfolg: „Am Montag hat One-Dyas nun auf unseren gerichtlichen Druck hin seismische Untersuchungen mit Schallkanonen für dieses Jahr abgesagt.“ Dies sei vor allem für die Schweinswale wichtig, die nun ungestört ihre Kälber zur Welt bringen könnten. Befürworter argumentieren, die Erschließung neuer Gasfelder sei für die Energiesicherheit notwendig. Experten widersprechen dieser Darstellung vehement.

Pao-Yu Oei von der Europa-Universität Flensburg erklärt, die geplanten Gasfelder vor Borkum würden lediglich etwa ein Prozent zum deutschen Gasverbrauch beitragen. „Das ist ein vernachlässigbarer Anteil. Ihre Relevanz für die Versorgungssicherheit ist damit nicht gegeben.“

Gefahr eines fossilen Lock-In-Effekts

Oei warnt zudem vor einem sogenannten Lock-In-Effekt: „Die ökonomische Tragfähigkeit solcher Projekte hängt stark von Synergieeffekten und Infrastrukturausbau ab – etwa durch weitere Felder oder neue Leitungen. Das erhöht die Gefahr eines fossilen Lock-Ins und konterkariert die Klimaziele.“

Einmal getätigte Investitionen in fossile Infrastruktur könnten demnach dazu führen, dass diese über Jahrzehnte genutzt wird - unabhängig von klimapolitischen Zielsetzungen.

Widerspruch zu Klimazielen

Die Erschließung neuer Gasfelder steht im direkten Widerspruch zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens. „Frühzeitige Produktionsstopps zur Einhaltung der Klimaziele könnten zu teuren Schiedsgerichtsverfahren und Entschädigungsforderungen führen“, warnt Oei.

Er zieht Parallelen zur Debatte um LNG-Terminals: „Wie schon bei den LNG-Terminals zeigt sich: Projekte werden mit Verweis auf Versorgungssicherheit gerechtfertigt, obwohl sie energiewirtschaftlich nicht notwendig sind.“

Statt in neue fossile Infrastruktur zu investieren, fordern Experten und Umweltschützer einen beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien. „Anstelle neuer fossiler Infrastrukturen sollten wir gezielt in den Ausbau von Erneuerbaren Energien, Speichertechnologien und die Flexibilisierung der Nachfrage investieren – nur so lässt sich echte Energiesouveränität erreichen“, betont Oei.

Der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) kritisiert das Abkommen ebenfalls scharf, da es einer konsequenten Klimapolitik widerspricht und klimapolitische Vorgaben gänzlich fehlen: Weder das Pariser Abkommen noch das deutsche Klimaschutzgesetz werden im Vertragstext erwähnt.  

„Mitten in der Klimakrise stellt sich die Bundesregierung mit diesem Vertrag gegen ihre eigenen Klimaziele. Statt den Ausstieg aus fossilen Energien zu beschleunigen, wird neue Gasinfrastruktur für Jahrzehnte zementiert“, so Florian Schöne, Geschäftsführer des DNR. „Das Abkommen stellt wirtschaftliche Interessen über Umwelt- und Klimaschutz. Es enthält keine CO₂-Bilanz, keine Nachhaltigkeitsstandards und keine Perspektive für eine fossilfreie Zukunft“, so Schöne weiter. 

Umweltkontrolle geschwächt – Beteiligung ausgeschlossen 

Umweltverbände bemängeln zudem die Schwächung demokratischer Kontrolle: Zwar ist eine Konsultation zwischen deutschen und niederländischen Behörden vorgesehen, doch eine verbindliche Umweltaufsicht oder Öffentlichkeitsbeteiligung fehlen. Besonders kritisch: Der Vertrag soll noch vor Abschluss des parlamentarischen Verfahrens vorläufig anwendbar gemacht werden. 

DNR fordert: Fossile Abkommen stoppen – Energiewende beschleunigen 

Der Deutsche Naturschutzring fordert die Bundesregierung auf, das Abkommen morgen nicht im Kabinett zu beschließen, sondern es einer klimapolitischen Neubewertung zu unterziehen. 

„Die Förderung heimischen fossilen Erdgases schafft weder Unabhängigkeit noch Klimaschutz“, so Schöne. „Sie ist angesichts des deutschen Gasverbrauchs nicht mehr als ein fossiler Tropfen auf den heißen Stein. Stattdessen braucht es einen klaren Fahrplan zur Reduktion des Gasbedarfs – durch Elektrifizierung, Energieeffizienz und den konsequenten Ausbau der Erneuerbaren. Das schafft Resilienz und Sicherheit, nicht neue Gasbohrungen.“

Mit der Unterzeichnung des Abkommens hat die Bundesregierung einen weiteren Schritt zur Erschließung der Nordsee-Gasfelder unternommen. Ob die Bohrungen tatsächlich realisiert werden, bleibt angesichts laufender Gerichtsverfahren und massiver Proteste ungewiss. Das Vorhaben steht gleichwohl exemplarisch für den Konflikt zwischen kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen und langfristigen Klimazielen.