Bracht ist eine kleine Gemeinde in Mittelhessen, ein Ortsteil der Stadt Rauschenbach, auf halbem Weg von Gießen nach Kassel. Die Gemeinde hat sich schon länger zum Ziel gesetzt, ihre Wärmeversorgung unabhängig von Öl und Gas zu machen. Zwei Jahre hat es gedauert, jetzt ist es gelungen. Im Solardorf werden jetzt knapp 200 Liegenschaften komplett mit Solarwärme versorgt.
Dazu wurde eine Solarthermieanlage mit knapp 12.000 Quadratmetern errichtet, die rund 70 Prozent der benötigten Wärme liefert. Um diese zu speichern, wenn sie nicht gebraucht wird, wurde ein Erdbeckenspeicher errichtet. Die restliche Wärme liefern zwei große Wärmepumpen. Diese gesamte Technik schickt die erzeugte oder gespeicherte Energie in ein Nahwärmenetz, an das die 200 Gebäude angeschlossen sind.
Klimaschutzziele erfüllt
Rund 16,3 Millionen Euro wurden in das Projekt investiert. Doch für die Anwohner:innen in Bracht bedeutet dies einen großen Modernisierungsschub. Denn der gesamte Gebäudebestand wird nach Fertigstellung des Projekts bereits die Klimaschutzziele für 2045 erfüllen – nach nur zwei Jahren Bauzeit und ohne teure und aufwendige Dämm- und Sanierungsmaßnahmen an den Häusern vornehmen zu müssen, wie der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) berichtet, der das Projekt begleitete.
Nahwärme bei weniger Dämmung
Dies war eine Herausforderung. Denn die bauliche Struktur Brachts ist typisch für viele Dörfer und Ortsteile in Deutschland. Die meisten Gebäude wurden vor 1980 erbaut, ein Viertel sind sogar Fachwerkhäuser. Das heißt, die Möglichkeiten einer energetischen Gebäudesanierung waren zum großen Teil eingeschränkt. Die Installation von regenerativen Wärmelösungen hätte viel Geld gekostet und wäre sehr aufwendig gewesen. Das gemeinschaftliche Nahwärmesystem löst dieses Dilemma. Der BSW-Solar geht davon aus, dass dieses Projekt Schule machen wird. Schließlich werde sich aufgrund der absehbar steigenden Öl- und Gas- und CO2-Preise und verfügbarer Fördergelder das Projekt binnen weniger Jahre bezahlt machen.
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Der BSW-Solar verweist darauf, dass es nicht zwingend ein solches Gemeinschaftsprojekt sein muss, um die Energiewende im Heizungskeller zu realisieren. Denn auch dezentral in Eigenheimen und Mehrfamilienhäusern sei die solare Wärmewende realisierbar und auch wirtschaftlich attraktiv, betonen die Branchenvertreter.
Solarthermie macht Wärmepumpe effizienter
Noch ist die Kombination von Solarthermie mit einer Wärmepumpe eher eine Ausnahme. Nach Einschätzung von Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des BSW-Solar, könnte sich dies jedoch bald ändern. „Die kostengünstigste und wirtschaftlichste Maßnahme zur Einsparung von Heizkosten ist in der Regel die Ergänzung einer solarthermischen Anlage zur bestehenden oder neuen Heizung. Thermische Solarkollektoren erhöhen auch die Effizienz und Lebensdauer von Wärmepumpen. Das spart Energiekosten und unter Umständen auch notwendige Investitionen in den baulichen Wärmeschutz“, erklärt er.
Kombination senkt die Betriebskosten
Auch die Wissenschaft sieht hier eine Kombination, die hervorragend zusammenspielt. So ist Taco Holthuizen, Professor für Architektur und Gebäudetechnik an der Berliner Hochschule für Technik (HTW), davon überzeugt, dass sich durch eine Optimierung von Gebäude- und Haustechnik die Investitionen und Energiekosten eines Gebäudes häufig senken lassen. „Werden Solarthermie und Wärmepumpen klug miteinander kombiniert, so können sie helfen, Bau- und Energiekosten bei Neubauten und der Sanierung älterer Gebäude deutlich zu reduzieren“, sagt er. „Das System kann nicht nur kostengünstig Solarwärme vom Sommer für den Winter speichern. Im Sommer kann es gleichzeitig passiv Kälte für die Gebäudeklimatisierung bereitstellen“, betont er unter anderem mit Blick auf die Kombination der Solarthermie mit einer Erdwärmepumpe.
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Solarthermie nicht ausschließen
Auch nach Einschätzung der Energieberaterin Birgit Abrecht sollte diese Alternative künftig vor einer baulichen Vollsanierung ernsthaft in Betracht gezogen werden. „Denn häufig ist das Budget limitiert oder aufgrund der Gebäudestruktur ist eine Dämmung nur eingeschränkt oder mit hohem Aufwand möglich“, sagt sie. Ein individueller Sanierungsfahrplan für Planungssicherheit sei deshalb ebenso wichtig wie die Wahl eines erfahrenen Installateurs. Denn oft werde aus Unkenntnis oder Bequemlichkeit von einer Solarthermieanlage abgeraten, weiß sie aus ihrer Praxiserfahrung.