Wie sich die Netzinfrastruktur als Nadelöhr der Energiewende für einen schnellen Netzzugang durch Überbauung und Neubau optimieren lässt.
Nicole Weinhold
Walter Delabar, Geschäftsführer der REZ, weiß, wie komplex die Netzanschlussfrage bei großen Erneuerbaren-Projekten geworden ist. Beim Hybridkraftwerk Odervorland in Brandenburg hat REZ für den Planer MLK die Betriebsführung übernommen. Das Beispiel zeigt, wie bestehende Netzanschlüsse durch Überbauung effizienter genutzt werden können – und wie herausfordernd das im Detail ist. „Das Projekt war auch für den Netzbetreiber neu und mit neuen Anforderungen verbunden, die erst in einem System, das für andere Konzepte ausgelegt ist, implementiert werden mussten“, berichtet Delabar.
Beim Hybridkraftwerk speisen Wind- und Solarstrom gemeinsam über zwei Umspannwerke in Jacobsdorf und Sieversdorf ein. Beide Anlagen sind damit „überbaut“ – ihre nominelle Einspeisekapazität wird rechnerisch überschritten. Dennoch funktioniert das System, weil Wind- und Solarproduktion nur selten gleichzeitig ihre Spitzen erreichen. „Auch für uns war das ein Lernprojekt“, so Delabar. „Wir haben erwartet, dass es Aufwand macht, aber welchen genau, wussten wir vorher nicht.“ Besonders komplex war die Regelung der Einspeisung.
Auch für uns war das ein Lernprojekt.
Es galt, Prioritäten zwischen Windenergie und Photovoltaik dynamisch zu steuern, Abregelungen zu koordinieren und die Interaktion zwischen den verschiedenen Marktmodellen – EEG-Vergütung, PPA – beim Redispatch technisch wie regulatorisch zu lösen. „Insgesamt muss man ein solches Projekt angehen und die Anforderungen bewältigen, dann wird das schon irgendwann sauber durchlaufen. Bis dahin lernen wir eben alle, und das ist okay“, fasst Delabar die Erfahrungen zusammen.
Überbauung – das Beispiel Pommersfelden
Wie Überbauung aus Netzbetreiber-Perspektive erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigt ein Projekt mit der Bayernwerk Netz GmbH in Pommersfelden, Franken. Bayernwerk-Kundenbetreuerin Tanja Wenk beschreibt, wie hier ein neuer Photovoltaikpark an den bestehenden Netzanschluss eines Windparks angebunden werden konnte: „Beim Thema Überbauung profitiert diese Anlage von der vorhandenen Infrastruktur von sieben Windkraftanlagen.“ Das Netz musste nicht zusätzlich kostspielig erweitert werden.
Das Zusammenspiel zwischen Wind- und Solarstrom funktioniert dabei nahezu konfliktfrei: „Wir haben mittags die PV-Spitze, in der dann kein Strom aus Wind genutzt wird, aber vormittags und abends kommt der Strom aus der Windkraft. Die notwendige Abregelung durch gleichzeitige Produktionsspitzen ist niedriger als fünf Prozent.“
Beim Thema Überbauung profitiert diese Anlage von der vorhandenen Infrastruktur von sieben Windkraftanlagen.
Mit dem digitalen Tool „Snap Pro“ des Bayernwerks können Planer potenzielle Überbauungspunkte im Netzgebiet identifizieren. „Wir versuchen als Serviceleistung, Betreiber und Projektierer zusammenzubringen“, erklärt Wenk. Das Konzept erfreut sich wachsender Beliebtheit – gerade dort, wo neue Netzausbaukapazitäten auf sich warten lassen. Genau sind es sieben Bestandsanlagen im Windpark mit insgesamt 18,6 MW und 15,68 MW neuer PV-Leistung. Mit zusammen 34,28 MW maximaler Wirkleistung und einer Leistungsbegrenzung am Netzverknüpfungspunkt auf 21,16 MW ist ein Überbauungsgrad von 162 Prozent gegeben. Die Windkraft- und PV-Anlagen sind in der Direktvermarktung. Das Ergebnis der Überbauung: geringere Kosten und vor allem eine schnellere Realisierung. „Die Anfrage kam im vergangenen Jahr, und wenige Monate später war die Anlage am Netz“, sagt Wenk.
Netzanschlüsse unter Hochlast
Auch Omexom, die Energiemarke von Vinci Energies, verfügt über umfangreiche Erfahrung im Umgang mit Überbauungskonzepten. Das Unternehmen ist in Deutschland einer der zentralen Dienstleister für den Netzanschluss von Wind-, Solar- und Batterieparks. Frank Hofstätter, Divisionsleiter Umspannwerke bei Omexom Deutschland, beschreibt: „Natürlich hat jedes Projekt seine eigenen Herausforderungen. Dazu können der Standort, der Baugrund, der Netzanschluss des örtlichen Energieversorgers, netzbedingte Inbetriebnahmeverschiebungen sowie ausstehende Baugenehmigungen aufgrund von Klärungsbedarf mit der Genehmigungsbehörde gehören.“
Natürlich hat jedes Projekt seine eigenen Herausforderungen. Dazu können der Standort und der Baugrund gehören.
Omexom realisiert jährlich rund 50 neue 110-kV-Einspeisungen für regenerative Erzeugungseinheiten und hat über 260 standardisierte Umspannwerke errichtet. Die reine Bauzeit vor Ort beträgt oft weniger als drei Monate, was nur durch konsequente Standardisierung möglich ist. „Dank unserer jahrzehntelangen Erfahrung, unserer Systemtiefe und unserer standardisierten Abläufe sind wir in der Lage, eine große Anzahl schlüsselfertiger Systemlösungen zu mobilisieren“, betont Hofstätter.
Die Erfahrung aus Überbauungsprojekten zeigt, dass standardisierte Konzepte, die die Abstimmung mit Netzbetreibern und Zertifizierern erleichtern, entscheidend sind. Sie verkürzen Genehmigungsprozesse und sorgen für Rechtssicherheit. Auch die Betriebsführung nach Inbetriebnahme übernimmt Omexom selbst – inklusive Störungsmanagement und Wartung über die eigene Netzleitstelle in Oldenburg, die rund um die Uhr besetzt ist.
Netzengpässe und Lösungen
Die Energiewende in Deutschland erfordert neue Anlagen und bringt strukturelle Herausforderungen. Hofstätter formuliert es deutlich: „Der Netzausbau bleibt das zentrale Nadelöhr für die zahlreichen Netzanschlüsse regenerativer Anlagen.“
Omexoms Antwort auf diese Engpässe ist eine Kombination aus Standardisierung, Flexibilität und Systemtiefe. Mit dem EPC-Prinzip (Engineering, Procurement, Construction) bietet das Unternehmen Planern und Betreibern schlüsselfertige und nahezu schnittstellenfreie Komplettlösungen – eine wesentliche Voraussetzung für Tempo und Zuverlässigkeit beim Anschluss. Dabei kommen auch weitere Omexom-Einheiten ins Spiel: Sie ergänzen die technische Kompetenz um die Stärke im Bereich der 110-kV-EVU-Netzanbindung mittels Freileitungs- oder 110-kV-Kabelanschluss sowie um die Realisierung sämtlicher Tiefbauleistungen durch eigene Montageteams. Omexom steht für fein abgestimmte technische Modellierungen und Netzberechnungen, die als gesamtheitlicher Systemintegrator die Anschlussbedingungen optimieren und die Schnittstellen zwischen Netzbetreiber, Zertifizierer und Anlagenhersteller nahtlos zusammenführen. Diese Kombination aus Erfahrung, Engineering und Koordination macht Omexom zu einem zentralen Partner für Projektentwickler in der Energiewende.
Partner für Infrastrukturprojekte
Spie Deutschland & Zentraleuropa versteht sich als Partner für Energieinfrastrukturprojekte – vom ersten Planungsentwurf bis zur fertigen Inbetriebnahme. „Unser Rundum-sorglos-Paket beinhaltet, dass wir für unsere Kunden von der Planung des Umspannwerks über die Genehmigung bis hin zur Inbetriebnahme und dem Netzanschluss alles übernehmen“, erklärt Hannes Weinreich, der bei Spie die Aktivitäten im Bereich Energie verantwortet. Selbst nach der erfolgreichen Inbetriebnahme endet die Dienstleistung nicht: „Natürlich übernehmen wir später auch die Betriebsführung für das Umspannwerk. Der Kunde muss sich also um das Thema Umspannwerk gar nicht kümmern.“
Lediglich die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung liegt in der Hand der Auftraggeber. Weinreich erläutert: „Die Berechnungen, ob sich ein Projekt rechnet, macht immer der Kunde selbst. Wir liefern das Angebot für das Umspannwerk, die Kosten sind also transparent. Aber wie sich das mit den Preisen für Windkraftanlagen, den Pachtgebühren und den finanziellen Zielen rechnet, liegt beim Kunden.“ Jede Projektentwicklung habe ihre eigene Kalkulationsgrundlage, betont er, „denn jedes Unternehmen hat sein individuelles Ebit-Ziel, das es mit dem Projekt erreichen möchte“.
Wenn Sie heute ein 110-kV-Umspannwerk bestellen, bekommen Sie es in ungefähr zwei Jahren.
Ein entscheidender Faktor für die Energiewende und Netzstabilität sind die verfügbaren Umspannwerkskapazitäten. Doch der Markt ist unter Druck. „Wenn Sie heute ein 110-kV-Umspannwerk bestellen, bekommen Sie es in ungefähr zwei Jahren“, sagt Weinreich. „Bei 380 kV sprechen wir eher von drei bis dreieinhalb Jahren.“ Diese langen Lieferzeiten resultieren nicht allein aus internen Kapazitätsgrenzen, sondern auch aus Verzögerungen in der Lieferkette. „Einmal sind es die Zulieferer, andererseits auch unsere eigenen Ressourcen“, beschreibt Weinreich die Situation. Besonders kritisch seien die Hauptkomponenten: „Man spürt aktuell das Spannungsfeld auf dem internationalen Markt ganz deutlich. Deutschland ist da nur ein kleinerer Abnehmer.“
Das mache sich insbesondere bei Leistungsschaltern bemerkbar, die weltweit stark nachgefragt sind. „Viele Hersteller haben ihren Absatzschwerpunkt inzwischen in Regionen wie Südostasien oder Südamerika. Dort werden derzeit schlicht mehr Leistungsschalter verkauft als in Europa.“ Diese Neuausrichtung der Zulieferer führe dazu, dass Unternehmen wie Spie länger auf bestimmte Komponenten warten müssen. „Da gibt es derzeit einfach Engpässe“, fasst Weinreich zusammen.
Trotz dieser Herausforderungen sieht Spie die Energieinfrastruktur als zentrales Zukunftsfeld. Mit Komplettlösungen wie dem Rundum-sorglos-Paket will das Unternehmen Kunden Planungssicherheit bieten – und zugleich dafür sorgen, dass die notwendige Netzinfrastruktur für die Energiewende zuverlässig realisiert werden kann.
Innovation für Netzstabilität
Technologischer Fortschritt kann helfen, die bestehenden Netzengpässe zu entschärfen. Ein Beispiel dafür ist die Maxcap-Windkraftanlage von Windwise, die in enger Zusammenarbeit mit ABB entwickelt wurde.
Die Anlage nutzt eine innovative Umrichtertechnik und eine optimierte Steuerungssoftware, mit deren Hilfe die Einspeisung flexibel an die aktuelle Netzsituation angepasst wird. Markus Becker, Geschäftsführer von Windwise, betont: „Unsere Windkraftanlagen stärken nicht nur technologisch, sondern auch wirtschaftlich die Position der Windkraft als Grundstein einer neuen Anlagengeneration im Klimawandel.“
Herzstück der elektrischen Infrastruktur sind ABB-Komponenten: vibrationsfeste IS2-Automationsschränke mit integriertem Erdbebenkit, Sace-Leistungsschalter und AF-Schütze. Sie ermöglichen einen zuverlässigen Betrieb auch unter extremen Vibrationen, Temperaturschwankungen und Feuchtigkeitseinflüssen in der Gondel.
Das Ergebnis ist ein System, das durch präzise Einspeisesteuerung zu höherer Netzstabilität beiträgt.
„Die Vibrationsfestigkeit war ein entscheidender Faktor“, erklärt Jannik Schlegel, Business Developer bei ABB. „So können unsere Schaltschränke seismische Kräfte bis zu 0,75 G abfangen. Diese Robustheit nutzen wir für die Eigenvibrationen in der Gondel der Windräder.“
Das Ergebnis ist ein System, das durch präzise Einspeisesteuerung zu höherer Netzstabilität beiträgt – gerade dann, wenn das Stromangebot temporär größer ist als der Verbrauch. Mit der Möglichkeit, bei negativen Strompreisen gezielt herunterzuregeln oder Energie zwischenzuspeichern, verbessert Maxcap den Kapazitätsfaktor der Anlage. Damit wird sie zu einem wichtigen Baustein der Netzstabilisierung – und ein Beispiel dafür, wie technologische Innovation die Grenzen knapper Netzanschlusskapazitäten verschieben kann.
Ob Überbauung, Standardisierung oder technologische Weiterentwicklung: Alle erfolgreichen Strategien zielen darauf, vorhandene Netzkapazitäten besser zu nutzen. Die Praxisberichte zeigen, dass der Schlüssel in Kooperation, klaren Konzepten und standardisierten Abläufen liegt – und in der Bereitschaft, Neues zu wagen.