Wie sehr ist Ihr nachhaltiges emissionsfreies Wärmeversorgungsmodell für ein ganzes Wohnquartier, wie Sie es auf der Bremer Überseeinsel vorexerzieren – einem neuen Viertel fürs Wohnen und Arbeiten –, aus dem Stand exportfähig?
Klaus Meier: Ich würde sagen, das ist komplett reproduzierbar. Wenn wir – wie bei der Wärmeversorgung der Überseeinsel – mit Flusswasser als Wärmequelle arbeiten wollen, setzt das natürlich einen Fluss mit einem bestimmten Volumenstrom voraus.
Das braucht es?
Klaus Meier: Klar, für eine Flusswasser-Wärmepumpe braucht es eben einen Fluss, der dafür geeignet ist. Es geht also an der Elbe, am Rhein, an der Donau, also an den größeren Flüssen, aber auch noch beispielsweise an der Isar. An kleineren Flüssen wäre zu prüfen, wie die Durchflussmengen sind. Mit Meerwasser würde das ebenfalls funktionieren. Aber Flusswasser als Wärmequelle ist keine notwendige Bedingung für ein solches Projekt. Man kann genauso gut Luft als Wärmequelle für eine Quartiersversorgung mit Großwärmepumpen nehmen. Das hat einige Folgewirkungen in der Planung, insbesondere in Bezug auf den Umgang mit Geräuschemissionen, und das muss man dann auch anders lösen. Aber das Grundprinzip – mit Großwärmepumpen bedarfsgerecht Kälte und Wärme herzustellen und zu speichern – lässt sich überall und in jeder Gemeinde in Deutschland umsetzen.
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Das Projekt ist komplett reproduzierbar in dieser Größenordnung also?
Klaus Meier: Ja, und 100-mal so groß wäre es auch kein Problem. Viel kleiner hingegen eher nicht. Wir sind nun bei sechs MW Wärmeleistung insgesamt, es würde vielleicht auch mit einem Megawatt funktionieren, aber mit Dimensionen darunter beschäftigen wir uns nicht.
Sie sprechen bereits von einem Wärme- und Kälte-Versorgungspreis im Quartier von unter 18 Cent pro Kilowattstunde – für eine Energie, die nicht preisabhängig von Erdgas-Preisentwicklungen und CO2-Emissionsrechte-Aufschlägen ist. Können Sie also einen stabilen Wärmepreis garantieren?
Tobias Werner: Der Wärmepreis hängt davon ab, welche Energie eingekauft wird, um sie in Wärme umzuwandeln. Bislang wurde das in Deutschland überwiegend mit Erdgas gemacht: Erdgas wird eingekauft, dann verbrannt und als Wärme verkauft. Steigt der Erdgaspreis, steigt auch der Wärmepreis über die Preisänderungsklausel. Wenn Wärme mit Strom erzeugt wird, ist es das Gleiche. Die Frage ist, wie können wir Strom so verbrauchen, dass er günstiger wird? Und das ist im Grunde das, was wir hier tun. Wir werden mit einem Überangebot von Wind und Sonne rechnen können – das sehen wir heute schon, beispielsweise während des PV-Mittagspeaks speziell im Sommer. Die Konsequenz aus einem Überangebot von erneuerbaren Energien sind geringe Strompreise. Und diese in Wärme umzuwandeln ist ein Schlüssel dafür, geringere Wärmegestehungskosten zu erzielen und diesen Vorteil schlussendlich auch an den Kunden weiterzugeben.
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Klaus Meier: Aber zu Ihrer Frage nach dem Preis ist auch anzumerken, dass 18 Cent nicht unser Zielpreis sein wird. Der ist niedriger …
Tobias Werner: Unser Zielpreis liegt unter 16 Cent pro Kilowattstunde Mischpreis brutto. Das liegt unterhalb der durchschnittlichen Fernwärmepreise in Deutschland.
Klaus Meier: Wir sind nicht von der CO2-Bepreisung abhängig, und ich glaube, der Strompreis wird in den nächsten Jahren eher sinken. Zusätzlich wird die Volatilität von Stromerzeugung und Stromeinspeisung weiter zunehmen. Damit wird die Wärmeproduktion auch für uns eher günstiger sein. Es spricht also alles dafür, dass wir preisstabil über einen sehr langen Zeitraum arbeiten können. Klar haben wir in den Preisen auch sonstige Kosten zu berücksichtigen. Das ist aber nicht die entscheidende Größenordnung. Entscheidend sind die Investitionskosten und die Stromkosten.
Wie sicher kann man denn sein, dass es regionaler Grünstrom ist, der wirklich verwendet wird?
Klaus Meier: Das machen wir nicht. Wir gehen überhaupt nicht auf die Grünstromzertifikate ein. Ich persönlich halte das auch für Unsinn. Hier im Quartier haben wir inzwischen sehr viel eigenen PV-Strom. Über 70 Prozent des erzeugten Stroms aus der installierten Photovoltaik nutzen wir direkt vor Ort – insbesondere für die Wärme- und Kälteerzeugung. Das liegt auch am hohen Anteil der Kälteversorgung. Zusätzlich beschaffen wir Strom vom Markt gezielt in Zeiten mit besonders niedrigen Preisen.
Deshalb gehen Sie davon aus, dass das meistens Grünstrom ist, zumindest Strom mit hohem Erneuerbarenanteil?
Klaus Meier: Das kann man nicht auf 1 Prozent genau beziffern. Klar ist aber: Wir haben keine 100-Prozent-Erneuerbare-Energien-Anlage. Unser hoher Grünstromanteil ergibt sich aus dem Strommix zum Zeitpunkt der Stromlieferung, also aus dem Stromhandel. Bildhaft gesprochen: Wenn in der Mittagszeit die Sonne scheint, dann liegt die Wahrscheinlichkeit, dass wir Solarstrom nutzen, bei eben über 90 Prozent. Und ich halte das auch für richtig, so zu bilanzieren und die Stromversorgung entsprechend anzugehen. Physikalisch ist es dann tatsächlich so, dass wir diesen hohen Grünstromanteil haben. Das können wir auch genau anhand der Strommixe zeigen. Aber wir bauen unser Modell bewusst nicht auf Zertifikaten auf, bei denen letztlich oft nur skandinavische Wasserkraft rechnerisch integriert wird.
Aber auch nicht mit der nachweislichen Integration regionalen Grünstroms, die Sie über Stromlieferverträge mit Betreibern regionaler Erneuerbare-Energien-Anlagen absichern …
Klaus Meier: Nein, da kann Ihnen keiner zusichern. Regionaler Grünstrom des örtlichen Versorgers ist als Produkt sinnlos: Das ist Strom, der aus der Leitung kommt, während der örtliche Versorger irgendwo an einer anderen Stelle in der Region eben eine Stromproduktion hat. Ebenso ließe sich behaupten, dass es nachhaltig wäre, Strom überall in Deutschland zu irgendeiner Uhrzeit aus dem Netz zu nehmen, weil wir ein paar 1.000 Megawatt Windleistung in Deutschland haben. Es ist deshalb falsch, weil es sich hier um eine rein bilanzielle Wirkung handelt, die nichts bewirkt.
Sie können Ihre Quartiersversorgung mit Ökostrom aus der Flusswasserwärmepumpe in Verbindung mit Ihrem ausgetüftelten Speicher- und Sektorkopplungskonzept aber nur mit Förderung leisten. Ist das ein Manko?
Tobias Werner: Staatliche Förderung senkt den Wärmepreis. Die Frage ist nur: Welche Technologien werden wie gefördert, und welche Alternativen gibt es? Auch Atomstrom, Kohlestrom und Erdgas-Kraft-Wärme-Kopplung wurden oder werden immer noch subventioniert. Das ist problematisch, auch für unser nachhaltiges System. Wir sind jedoch perspektivisch in der Lage – und wir müssen es auch sein –, unser Konzept ohne Subventionen anzubieten. Wir werden es schaffen, die Kosten im Anlagenbau so weit zu reduzieren, dass wir ohne Subventionen auf Wärmepreise von unter 18 Cent kommen.
Klaus Meier: Die nächsten drei Anlagen, die wir bauen, haben womöglich weiterhin Förderquoten zwischen 30 und 45 Prozent oder 40 Prozent. Ich glaube, das muss perspektivisch zurückgehen. Und das werden wir auch schaffen. Der einfachste Weg wäre natürlich, den Wärmepreis zu erhöhen. Das könnten und dürften wir problemlos tun, weil es im Fern- oder Nahwärmebereich keine Preisregulierungsmechanismen wie im Bereich der erneuerbaren Energien gibt, wo über bestimmte Umlagen gesteuert wird. Aber für uns und unser Konzept ist die Frage entscheidend und wichtig, wie es uns gelingt, den Preis für die Wärmeversorgung im Quartier möglichst schnell zu senken.