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„Rechenzentrumsbetreiber legen Wert auf Nachhaltigkeit“

Tobias Heyen ist seit 20 Jahren in der Energiewirtschaft unterwegs, immer mit dem Fokus Trading und Energiemanagement. Bei Engie ist er nun als Leiter Origination in Deutschland an der Schnittstelle zwischen der Erzeugung und den Kunden tätig. Auf dem Netzwerktreffen The Blue Beach in Hamburg informiert er am 26. Juni im Panel „Nachhaltige Power für die digitale Zukunft: Grüne Lösungen für Datencenter“: über die Herausforderung, den wachsenden Energiehunger der Rechenzentren aus erneuerbaren Quellen zu stillen – und die Chancen dieses neuen Marktes. Im ERNEUERBARE-ENERGIEN-Interview erklärt er die Hintergründe. 

Kurz, nachdem Sie Ende 2022 zunächst Leiter der Renewables Origination Platform Germany wurden, vermeldete Engie den Abschluss eines zehnjährigen Stromliefervertrages zu einem geplanten riesigen Photovoltaikpark mit dem globalen Rechenkapazitätsanbieter Digital Realty. Im April präsentierten Sie die künftige Wärmeversorgung eines Berliner Quartiers aus der Abwärme eines Rechenzentrums. Wird die elektronische Datenverarbeitung so schnell grün?

Tobias Heyen: Die Energiewirtschaft verändert sich seit Jahren grundlegend. Die zunehmende Einspeisung erneuerbarer Energien ins Netz, der hohe Bedarf an Flexibilität und Speichern, die steigende Nutzung grüner Gase, die Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Industrie und Kommunen beschäftigen uns seit Jahren. Aktuell sehen wir aber noch eine immense Veränderung auf uns zukommen: die rasant steigende Nutzung von Künstlicher Intelligenz der KI. KI-Systeme benötigen immense Rechenleistung, um komplexe Algorithmen und Datenverarbeitungen durchzuführen, was wiederum einen hohen Energieverbrauch zur Folge hat. Weltweit wird laut Bitcom/Borderstep mit einer Verdreifachung der Rechenzentrums-Kapazitäten zwischen 2022 und 2030 gerechnet. Deutschland positioniert sich dabei als größter Rechenzentrumsstandort Europas. Für uns im Energiemanagement stellt sich hier die Frage: wie grün ist Intelligenz und was kostet Intelligenz in Zukunft? Hier setzen wir an, um nachhaltige Lösungen für Rechenzentrumsbetreiber zu finden.

Wie passen Nachhaltigkeit und KI zusammen?

Tobias Heyen: Rechenzentrumsbetreiber legen sehr großen Wert auf Nachhaltigkeit. Als ein Pionier hat sich Digital Realty schon 2020 als erster globaler Rechenzentrumsanbieter seiner Größe, mit der Science-Based Target Initiative, SBTi, ambitionierte und wissenschaftlich fundierte Emissionsziele gesetzt. Dazu gehört die Verpflichtung, die Scope 1- und 2-Emissionen bis 2030 um 68 Prozent …

… also den direkten eigenen Treibhausgasausstoß sowie CO2-Emissionen durch die außen eingekaufte Energieversorgung …

Tobias Heyen: … und die (indirekt von Zulieferern verursachten) Scope 3-Emissionen um 24 Prozent zu senken. Ein wichtiger Baustein bei der Erreichung dieser Ziele sind erneuerbare Energien. Mit Digital Realty als weltweit größtem Anbieter von Cloud- und Carrier-neutralen Rechenzentrums-, Colocation- und Interconnection-Lösungen, haben wir bereits vor Sichtbarwerden der Ausmaße des KI-Trends vor zwei Jahren ein PPA mit einer Laufzeit von zehn Jahren abgeschlossen, das den Bau eines Freiflächen-Photovoltaikprojekts mit unterstützt hat. 

Ihr Ziel bei Engie ist es, über Power Purchase Agreements eine verlässliche Grünstromversorgung bereitzustellen. Wie passen die volatilen Erneuerbaren zu dem doch recht konstanten Strombedarf von Rechenzentren? Spielen hierbei Speicher die Hauptrolle oder nutzen Sie weitere Marktinstrumente?

Tobias Heyen: Speicher alleine reichen nicht aus. Mit sogenannten hybriden PPAs, die schon in der jüngeren Vergangenheit zunehmend mehr verhandelt worden sind, mit Verträgen zur Stromlieferung aus Solar- und Windenergieanlagen an Land oder auch aus Offshore-Windparks zielen diese Power Purchase Agreements auf die sich ergänzende Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom. Speicher sind dann die nächste Iteration, um in diesem hybriden Versorgungsprofil noch die Sonnenstromspitzen in spätere Zeiten zu verschieben oder um sich auch mehr den Verbrauchskurven der Datenzentren anzupassen.

Welche Rolle spielen in diesem Vermarktungskonzept die Hybridparks: Windturbinen und Photovoltaikanlagen an einem Standort und an einem Einspeisepunkt?

Tobias Heyen: Hybridparks bleiben weiterhin eher rar. Wichtiger sind hybride Lieferstrukturen, PPA zu einem PV-Park hier und einem Onshore-Windpark da. Und wir als Midstreamer oder Aggregatoren, haben die Fähigkeiten, diese gebündelte Energie an unsere Kunden weiter zu verkaufen. Solche Kombinationen werden für die Versorgung von Rechenzentren künftig sicher noch wichtiger werden.

Können Sie damit eine grüne Energieversorgung rund um die Uhr sicherstellen?

Tobias Heyen: Eine grüne Stromversorgung 24/7 bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Belieferung ausschließlich über PPAs aus Solar-, Wind- und vielleicht noch Speicherstrom erfolgt. Vielmehr zählt auch der Grünstromanteil dazu, der über das Netz bezogen wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Carbon Free Energy Score oder CFE-Score, der den Anteil der Energie misst, den ein Unternehmen zu jeder Stunde eines Jahres aus kohlenstofffreien Quellen bezieht. Er zeigt, wie gut der tatsächliche Stromverbrauch mit der Verfügbarkeit von sauberer Energie übereinstimmt – je höher der Score, desto näher ist der Energieverbrauch an einer vollständig emissionsfreien Versorgung in Echtzeit.

Im Zuge der Notwendigkeit zur Dekarbonisierung setzen sich viele Rechenzentrumsbetreiber individuelle Ziele zur Erreichung hoher CFE-Scores. Diese freiwilligen Initiativen haben das Ziel, den Stromverbrauch von Rechenzentren klimafreundlicher zu gestalten – idealerweise im Rahmen einer 24/7 Carbon-Free Energy-Versorgung. Wir sehen das als Chance gerade für die Rechenzentren an, die dann große Endabnehmer sein werden – vergegenwärtigen wir uns, dass ein mittleres Datenzentrum so viel Strom verbraucht wie eine deutsche Kleinstadt. Während wir uns bei Engie auf dem Weg zur Klimaneutralität ebenfalls selbstverpflichtende Ziele gesteckt haben, wollen wir natürlich auch unsere Kunden unterstützen, ihre Ziele zu erreichen.

Also werden Lieferverträge für grünen Strom auch in Zukunft einen Schwerpunkt Ihrer Aktivitäten ausmachen?

Tobias Heyen: Ich gehe davon aus, dass die PPA-Versorgung mindestens die Hälfte unserer Stromvermarktung ausmachen wird. Neben neuen Erzeugungs-Anlagen werden dabei auch ausgeförderte Anlagen im System bleiben, damit wir die Nachfrage decken können. In Zukunft wird die gesetzliche Entwicklung der Einspeisevergütung im Erneuerbare-Energien-Gesetz vermutlich weniger Förderung gewähren und mehr Markt vorschreiben. Das wird PPA als ein Mittel der Vermarktung aufwerten.

Und die Rechenzentren werden einen ganz großen Anteil daran haben?

Tobias Heyen: Es ist davon auszugehen, dass Rechenzentren mit den steigenden Anforderungen an grüne Energie auch auf PPA zurückgreifen werden.

Abschließend noch ein anderes Thema: Rechenzentren ab einer bestimmten Größe sind ja laut Energieeffizienzgesetz jetzt auch zur Steigerung der Energieeffizienz und zur schrittweisen Nutzung von Abwärme verpflichtet. Ist das ein Thema für Sie?

Tobias Heyen: An Konzepten zur Nutzung der Abwärme von Rechenzentren arbeiten unsere Kollegen aus anderen Engie-Bereichen in der Tat intensiv. Die große Herausforderung ist es, Wärmequellen und Wärmesenken auf wirtschaftlich sinnvolle Weise zusammenzubringen. Das von Ihnen schon erwähntes Leuchtturmprojekt für das „Heizen mit Daten“ setzt Engie derzeit zusammen mit der Gasag in Berlin um. Das neu entstehende Quartier Das Neue Gartenfeld wird in Zukunft mit der Wärme aus nahegelegenen Bestandsrechenzentren von NTT Global Datacenters versorgt – es ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Berliner Wärmeversorgung. Mit einer Wärmeleistung von acht Megawatt aus bestehenden Rechenzentren ist dieses Projekt eines der größten seiner Art in Deutschland.

Tobias Heyen studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Er begann seine berufliche Laufbahn 2005 als Risikomanager bei Vattenfall in Stockholm, bevor er 2007 zum Energieversorger EWE wechselte, wo er verschiedene Positionen innehatte, unter anderem als Head of Short Term Trading und Head of Direct Marketing. Im Jahr 2021 wechselte er zur Engie-Gruppe (ehemals GDF SUEZ), zunächst als Managing Director Second Life Wind. Seit 2022 ist er Leiter der Renewables Origination Business Plattform Germany, die Erneuerbare-Energien-Produzenten mit der Industrie verbindet.