Hoch oder runter: Wohin geht die Reise für den Energieträger Wasserstoff?
Von der Bundesregierung fehlen klare Impulse für grünen Wasserstoff. Doch es gibt effektive Mittel für den Hochlauf.
Fabian Kauschke
Tempo für den Wasserstoffhochlauf: Darum dreht sich das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz, das die rechtlichen Rahmenbedingungen auf eine klimafreundliche Industrie ausrichten soll. Genauer geht es dabei um den Entwurf zur „Beschleunigung der Verfügbarkeit von Wasserstoff und zur Änderung weiterer rechtlicher Rahmenbedingungen für den Wasserstoffhochlauf und weiterer energierechtlicher Vorschriften“, der Anfang Oktober vom Bundeskabinett beschlossen und anschließend Anfang November im Bundestag diskutiert wurde. Ziel des Gesetzes sei es, die Genehmigungsverfahren zu vereinfachen, zu digitalisieren und bürokratische Hürden abzubauen. Die vorgeschlagenen Regelungen beschleunigten die Verfügbarkeit von Wasserstoff und sorgten für bessere Rahmenbedingungen beim Wasserstoffhochlauf, heißt es in dem Entwurf.
Das H2-Beschleunigungsgesetz soll für bessere Rahmenbedingungen sorgen.
Damit sendet die Bundesregierung ein Signal in die Wasserstoffbranche, auf das bereits seit Beginn der Legislaturperiode gewartet wird. Die Wartezeit ist am H2-Markt nicht ohne Spuren vorbeigegangen und hat vor allem für eins gesorgt: Unsicherheit. „Es lässt sich eine deutliche Verunsicherung in der Branche sowie im gesamten Wasserstoffmarkt feststellen“, bestätigt Thomas Kattenstein, Leiter des Competence Centers Wasserstoff bei DMT Energy Engineers. Der Kabinettsentwurf des Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes sende zwar ein positives Signal, konterkariert werde dieser Impuls jedoch durch das Aufweichen des Zehn-Gigawatt-Ziels für die heimische Wasserstoffproduktion per Elektrolyse, das die Bundesregierung aus dem Energiewende-Monitoringbericht zieht. Stattdessen würden flexible Ziele gesetzt, die sich an konkreten Projekten auf Nachfrageseite in Deutschland orientieren, heißt es in den zehn Schlüsselmaßnahmen des Bundeswirtschaftsministeriums.
20Prozent steigen die Kosten von grünem Wasserstoff durch RFNBO-Kriterien. Das zeigt eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln.
Damit ergeben sich Unklarheiten, die ebenso an anderen Maßnahmen der Bundesregierung zu erkennen sind. „Gleichzeitig ist auch ein verlässlicher finanzieller Rahmen erforderlich: Der aktuelle Haushaltsentwurf sendet jedoch mit Kürzungen bei der Wasserstoffförderung ein völlig falsches Signal. Die Bundesregierung muss hier dringend nachsteuern, um Planungssicherheit, Investitionen und den Wasserstoffhochlauf nicht zu gefährden“, äußert sich Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Die H₂-Branche nimmt die in dieser Position erkennbare Unsicherheit deutlich wahr.
Reformen für mehr Investitionssicherheit
„Der Ball liegt ‚auf dem Elfmeterpunkt‘. Jetzt braucht es ein klares politisches Bekenntnis und verlässliche Rahmenbedingungen, damit Deutschland seine Vorreiterrolle bei grünem Wasserstoff behaupten kann“, bekräftigt Geert Tjarks, Leiter Geschäftsfeldentwicklung Großspeicher und Wasserstoff bei EWE. Auch für den Energieversorger habe der Regierungswechsel zunächst für Unsicherheit gesorgt. Der Monitoringbericht Energiewende bestätige jedoch die Wichtigkeit von Planungssicherheit für die Dekarbonisierung der Industrie. Diese könne durch wettbewerbsfähige Strompreise, technologieoffene Förderinstrumente und eine verlässliche Regierung geschaffen werden. Konkret schlägt EWE eine dauerhafte Strompreiskompensation und Netzentgeltbefreiung für systemdienliche Elektrolyseure vor und nachfrageseitige Instrumente wie Klimaschutzverträge, grüne Leitmärkte und Treibhausgasquoten zu optimieren. Um kurzfristig Investitionssicherheit zu schaffen und ebenso Bürokratie abzubauen, spiele die Überarbeitung der RFNBO-Kriterien eine wichtige Rolle. Die Abkürzung steht für „nicht biogene Kraftstoffe erneuerbaren Ursprungs“.
Wir brauchen diese Reformen für mehr Investitionssicherheit, ohne die der Markthochlauf nicht gelingen kann.
Foto: Westfalen AG
Dass die RFNBO-Kriterien Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von grünem Wasserstoff in Deutschland haben, zeigt eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) der Universität zu Köln. Laut Studie steigern die Vorgaben der Europäischen Union die Kosten bei der Wasserstoffproduktion um bis zu 20 Prozent. Ausschlaggebend sei dafür neben den Faktoren der Zusätzlichkeit und der Gleichzeitigkeit die räumliche Korrelation. Demnach müssen die Stromerzeugung und die Wasserstoffproduktion in der gleichen Stromgebotszone stattfinden. Das soll sicherstellen, dass der Wasserstoff tatsächlich klimafreundlich ist und das Stromnetz nicht zusätzlich belastet wird. „Der Kostenanstieg bei der Wasserstoffproduktion ist darauf zurückzuführen, dass diese Erneuerbare-Energien-Anlagen ausschließlich für die Wasserstoffproduktion aufgebaut werden und somit Synergien mit dem Strommarkt ungenutzt bleiben“, sagt Ann-Kathrin Klaas, Leiterin der Forschungsabteilung am EWI.
„Wir brauchen diese Reformen für mehr Investitionssicherheit, ohne die der Markthochlauf nicht gelingen wird“, erkennt auch Nicolas Dohn, Leiter des Bereichs Wasserstoff bei der Westfalen-Gruppe. Die Vorgaben für den Einsatz von grünem Strom seien zu ambitioniert und zu komplex, was letztlich zu steigenden Kosten und damit auch zu Verzögerungen oder sogar zum Abbruch von Projekten führe. Aufgrund dieser Lage sehen sich Unternehmen dazu gezwungen, mit ihren Investitionen zurückhaltend umzugehen und Erwartungen sowie Planungen für den Markthochlauf nach unten anzupassen. Die Vereinfachung dieser regulatorischen Vorgaben sei ein zentraler Hebel, um den Markthochlauf tatsächlich in Gang zu bringen.
Alternative Farbgestaltung
Angesichts dieser Unsicherheiten und Preisnachteile ist es kein Wunder, dass die Industrie sich nach alternativen Dekarbonisierungsmöglichkeiten umschaut. Konkret rückt blauer Wasserstoff als Übergangslösung stärker in den Fokus. „Blauer Wasserstoff kann und sollte als Brückenlösung genutzt werden, bis ausreichend grüner Wasserstoff zu einem bezahlbaren Preis verfügbar ist“, bestätigt Nicolas Dohn von Westfalen. Ein Markthochlauf mit gemischten Farben sei daher ein sinnvoller Schritt. „Gerade am Anfang, wenn nicht ausreichend erneuerbarer Wasserstoff verfügbar ist, müssen die Leitungen und Speicher mit andersfarbigem Wasserstoff gefüllt werden, um die Investitionen in die neue H₂-ready-Infrastruktur wirtschaftlich zu gestalten“, sagt Thomas Kattenstein von DMT Energy Engineers. Damit blauer Wasserstoff jedoch eine emissionsarme Alternative für die Industrie sein kann, braucht es Carbon-Management zur CO₂-Speicherung. Durch den somit erforderlichen Aufbau von Carbon-Management-Infrastruktur würden sich Nutzungskonkurrenzen sowie Synergien ergeben. Konkurrenz gäbe es, wenn Erdgas weiterhin als Energieträger unter dem Einsatz von CCS erlaubt bliebe. Synergien hingegen entstünden bei der Produktion von E-Fuels.
Es lässt sich eine deutliche Verunsicherung in der Branche sowie im gesamten Wasserstoffmarkt feststellen.
Foto: EE ENERGY ENGINEERS GmbH
Unabhängig von der Farbe des Wasserstoffs gilt der Ausbau der H₂‑Infrastruktur, vor allem in Form des Wasserstoff-Kernnetzes, als Hebel für den Hochlauf. 2025 schlossen Betreiber bereits den Bau von ersten Teilstrecken ab. Jetzt rückt die Skalierung in den Fokus, um die Zeitpläne der Koordinierungsstellen einzuhalten. Dafür braucht es regionale Ausbaukonzepte: „Nur wenn Cluster, Häfen und Industriezentren strategisch angebunden werden, entsteht ein echter Binnenmarkt“, sagt Jimmie Langham, Geschäftsführer von Cruh 21. Für das strategische Beratungsunternehmen für grünen Wasserstoff braucht es zudem digitale Planungs- und Genehmigungsprozesse, mit denen Verfahrensverkürzungen durch standardisierte Umwelt- und Netzverträglichkeitsprüfungen erreicht werden. Gleichzeitig dürfe sich die Förderlogik nicht nur auf die Infrastruktur konzentrieren, sondern müsse entlang der Wertschöpfungskette Erzeugung, Speicherung und Abnahme mit synchronisieren.
Nur wenn Cluster, Häfen und Industriezentren strategisch angebunden werden, entsteht ein echter Binnenmarkt.
Foto: Cruh21
Positives Vorbild durch regionale Projekte
Vorbild für die bundesweite Entwicklung von H₂‑Erzeugungs‑ und -Verwendungsmöglichkeiten sind regionale Konzepte. „Regionale Projekte sind Katalysatoren für den Markthochlauf. Sie schaffen Akzeptanz, binden lokale Unternehmen und fördern Innovation“, bestätigt Geert Tjarks aus Sicht des EWE-Konzerns. Für Cruh 21 sind diese Projekte das Rückgrat des Wasserstoffhochlaufs, da Akzeptanz, Arbeitsplätze und kommunale Wertschöpfung geschaffen werden. Zudem fungieren sie als Reallabore, die Technologie, Logistik und Geschäftsmodelle erproben würden. Entscheidend sei die Integration in die nationale Infrastrukturstrategie, sodass Insellösungen vermieden werden. „Auch wenn wir hier noch nicht beim avisierten Status quo des Wasserstoffhochlaufs angekommen sind, findet dieser, vor allem auf regionaler Ebene, bereits statt, so sind erste Erzeugungsprojekte im Drei-Megawatt-Bereich in Deutschland bereits in der Umsetzung, unter anderem in der Stahlindustrie“, sagt Thomas Kattenstein von DMT Energy Engineers. Ein zusätzlicher Vorteil ergäbe sich, wenn Regionen über ein hohes erneuerbares Erzeugungspotenzial verfügen würden, wodurch Wertschöpfung generiert und stabile Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit geschaffen sowie ein schneller Marktzugang ermöglicht wird.
Was auf regionaler Ebene für grünen Wasserstoff bereits gezeigt wird, lässt sich mit den richtigen Signalen auf die nationale Ebene übertragen. Für beide gilt jedoch: Es braucht ein klares Bekenntnisfür H2 statt Unsicherheit.
Regionale Projekte sind Katalysatoren für den Markthochlauf.
Foto: EWE/Ilka Andreeßen
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