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Potenzial und Eignungsraum

Tilman Weber

Foto: badenova

Plötzlich kann Badenova wieder Windparkprojekte im Schwarzwald anschieben. Das kommunale Versorgungsunternehmen in Freiburg gehört 96 Kommunen in Süd- und Mittelbaden entlang der Westflanke des Mittelgebirges. Schon 2021 hatte es nach fünf Jahren ohne eine einzige regionale Inbetriebnahme den Windpark Hohenlochen mit 16,8 Megawatt (MW) Erzeugungskapazität eröffnet: Die Badenova-Schwarzwaldanlagen 13 bis 16 vom Typ Enercon E-138 bilden den vierten Windpark im Badenova-Revier mit eigener Beteiligung. Nun lobt Klaus Preiser den Trend für 2023, „endlich wieder konkrete Projekte rund um Freiburg angehen zu können“.

Der technische Geschäftsführer der für Windkraft zuständigen Badenova-Sparte Wärmeplus zählt für die Jahresvorschau von ERNEUERBARE ENERGIEN drei geplante Windparks mit zusammen bis zu 80 MW auf. Sie dürften wohl im Fast-Jahrestakt von 2023 an bis 2026 ans Stromnetz gelangen. Und weitere 50 MW seien bis 2026 geplant.

Nicht nur in Freiburg kommt kommunalen Versorgern entgegen, dass süddeutsche Bundesländer wieder Räume für neue Windparks öffnen. So schrieb Baden-Württembergs Landesgesellschaft Forst BW seit Oktober 2021 drei Tranchen für Verpachtungen von Projektflächen in den Staatswäldern aus. Und in Bayern scheint die führende Regierungspartei CSU dem Druck aus Berlin nachzugeben, dass alle Bundesländer schnell und wie im neuen Windenergie-an-Land-Gesetz geregelt spätestens Ende 2027 viele neue Eignungsflächen ausweisen.

In Windkraft schon engagierte Kommunalunternehmen scheinen so oder so schnell loslegen zu wollen: Die Stadtwerke München (SWM) „gehen optimistisch ins Jahr 2023, da in Bayern der Windenergieausbau endlich Fahrt aufnehmen soll.“ Die Versorger registrieren nun intensive Betriebsamkeit in den regionalen Planungsstellen, um die Ausweisung neuer Windvorranggebiete vorzubereiten. Auslöser war die Verabschiedung verschiedenster Windenergiegesetze seit dem Frühjahr durch die Bundespolitik wie des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2023, das den Bundesländern die Ausweisung von insgesamt zwei Prozent der bundesweiten Landesfläche vorschreibt. So hoffen die Münchner auf „schnellere Genehmigungen“ im kommenden Jahr. SWM habe „Potenzialflächen identifiziert“ und in der Breite dazu Vorgespräche geführt.

„Wir freuen uns darüber, in 2023 nach längerer Zeit auch endlich mal wieder konkrete Projekte rund um Freiburg angehen zu können.“

Klaus Preiser, Technischer Geschäftsführer, Badenova Wärme Plus

Das Unternehmen folgt seit 2008 dem Ziel, Ende 2025 sämtliche Elektrizität für den kompletten Strombedarf Münchens aus eigenen Erneuerbare-Energien-Anlagen zu liefern. 2022 dürften 6,3 Terawattstunden oder 90 Prozent dieses Strombedarfs die SWM-Grünstromanlagen liefern. Weil die bayerische Landesregierung 2014 die bundesweit strengste Abstandsregelung für neue Windparkprojekte mit einer zehnfachen Mindestdistanz zu Siedlungen in Kraft gesetzt hatte, konnte SWM sich dem Ziel seither aber nur durch Kauf neuer Windparks anderswo in Deutschland nähern oder durch Beteiligungen an Offshore- und Auslandsprojekten.

„Wir gehen optimistisch ins Jahr 2023, da in Bayern der Windenergieausbau endlich Fahrt aufnehmen soll.“

Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer,  Stadtwerke München

Regionale Projekte auch wieder im Süden

Mehr regionale Windparks könnten freilich die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihren Stadtwerken stärken – und damit die Nachfrage nach deren Stromprodukten. Das sehen sie offenbar nun auch bei den Stadtwerken Stuttgart so. Im November haben die Schwaben nach sieben Jahren eine Projektierungsabstinenz beendet. Der Stadtwerke-Aufsichtsrat hatte 2015 nach juristischen Konflikten mit Anwohnern eines hessischen Windparks und der anschließenden, sich schnell als verlustreich erweisenden Verkleinerung des Windparks ein Stoppschild für Projektierungen außerhalb des Stuttgarter Stadtgebiet aufgestellt. Dort fehlt das Windenergiepotenzial. Im Juli beschloss das Stadtparlament, dass Stuttgart bis 2035 klimaneutral sein muss, und machte 100 Millionen Euro Investitionsmittel für die Stadtwerke frei. Künftig dürfen diese auch wieder außerhalb der Stadtgrenzen planen.

Das Stadtwerke-Gemeinschaftsunternehmen Trianel wird 2023 zum wiederholten Mal einen Windpark vom Wiesbadener Projektentwicklungsunternehmen Abo Wind schlüsselfertig übernehmen. Die vier 4,5-MW-Turbinen bei Bad Gandersheim im Harz erhöhen Trianels Deutschlandbestand an Windkraft an Land auf mehr als 200 MW. Auch die Stadtwerke Tübingen (SWT) legen nach mehrjähriger Flaute stark nach. 2023 wird SWT nach eigenem Bekunden an vier Windparkprojekten unweit der Universitätsstadt arbeiten.

Wie sehr die Branche sich auf den Moment abgeräumter Blockaden vorbereitet, veranschaulicht Abo Wind. Das Wiesbadener Projektierungsunternehmen spricht von einem Gigawatt (GW) an „unseren in Entwicklung befindlichen Windprojekten“ in Deutschland. Das Potenzial „könnte in den nächsten 24 Monaten … genehmigt werden“, sagt Thomas Treiling. Er leitet Abo Winds Projektentwicklung von Solar- und Windparks in Deutschland. Treilings Botschaft: „Voraussetzung ist, dass die von der Bundesregierung angekündigte Beschleunigung der Verfahren Wirklichkeit wird“.

„Es fehlt derzeit an Berechenbarkeit und Pragmatismus auf Seiten der Genehmigungsbehörden. Es fehlen aber auch ganz konkret Raststätten, Fahrer, Hafen- und Verschiffungskapazitäten...“

Marco Lange, Pressesprecher, Siemens Gamesa

Gesetz für schnelle Genehmigungen

Noch sind sechs bis sieben Jahre lange Genehmigungsverfahren für Onshore-Windparks in Deutschland die Regel. Bei mehreren Klageverfahren gegen einen Windpark, die oft nur auf dessen Verschleppung und den Verlust der Wirtschaftlichkeit zielen, können es schnell zehn Jahre werden – wie beim SWT-Windpark Hohfleck mit 18 MW, der wohl 2023 ans Netz geht. Ein vom Bundesjustizministerium entworfenes „Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich“ zielt auf einen Stopp von Ketten-Klageverfahren gegen zur Versorgung wichtige Bauprojekte wie Windparks. Spezialisierte Kammern sollen fachlich fundiert und schnell urteilen. Mängel in Genehmigungsverfahren sollen sich wo technisch möglich beheben lassen, ohne das Verfahren wiederholen zu müssen. Und schon heute gibt es Bearbeitungsfristen für die Behörden. Das Beschleunigungsgesetz müsste regeln, wann und wie es nach missachteten Fristen für die Projekte grünes Licht gibt.

Oktober 2022, Flügeltransport zu Ostwind-Windpark Schiederhof II im Vorderen Bayerischen Wald

Foto: A. Köppen - OSTWIND

Oktober 2022, Flügeltransport zu Ostwind-Windpark Schiederhof II im Vorderen Bayerischen Wald

Das Auskundschaften neuer Projektflächen hat längst begonnen. So registriert das Lüneburger Ertragsgutachten-Büro Anemos „sehr starke Nachfrage“ nach schnellen Aussagen zu Windbedingungen für mögliche Flächen. Aber auch konkrete Windpark-Vorhaben wollen viele Anemos-Kunden so schnell und weit wie möglich vorantreiben: So sei zuletzt sogar wieder eine „hohe Nachfrage nach Windmessungen“ mit der kostenintensiven, aber präzisen Lasermethode Lidar aufgetreten, sagt Anemos-Geschäftsführer Lasse Blanke.

Foto: Mo Wüstenhagen - DKB

Selbst die Windturbinenbauer, obgleich am Ende der Wertschöpfungskette bis zur Errichtung eines Windparks, hoffen auf politisch ausgelöste Verbesserungen schon im kommenden Jahr. Bei GE Renewable Energy hält Klaus Rogge „kurzfristige Anpassungen am regulatorischen Rahmen“ für notwendig. Da diese aber nicht sofort wirken, sei für 2023 „maximal ein moderates Wachstum der Installationen“ zu erwarten, sagt der Regionalleiter der GE-Geschäftsregion Zentraleuropa.

Wettbewerber Siemens Gamesa verstärkt sich im deutschen Markt durch neue Onshore-Teams, obwohl das Unternehmen in anderen Regionen das Personal abbaut. Laut Pressesprecher Marco Lange kann Siemens Gamesa 2023 in Deutschland womöglich „viele weitere Projekte mit unseren Kunden“ umsetzen. Der Turbinenbauer dürfte darauf setzen, dass er im November endlich zwei erste Anlagen seiner aktuell leistungsstärksten Modelle mit 6,6 MW auch in Deutschland errichtet hat – als Signal für weitere Bestellungen. Zuvor, von Juli 2021 bis September 2022, installierte Siemens Gamesa hierzulande gemäß Auswertung des offiziellen deutschen Anlagenregisters eine einzige Turbine. Die Einführung der Bauplattform 5.X, zu der die 6,6-MW-Anlagen gehören, hatte ungeplant lange gedauert.

Ob 2023 für die im deutschen Markt aktiven Windturbinenbauer ein gutes Jahr wird, ist allerdings auch von aktuellen weltweiten Krisen abhängig: 2022 schrieben sie rote Zahlen aufgrund gestörter Komponenten-Lieferketten, steigender Finanzierungskosten und Inflation. Ukrainekrieg und globale Handelskonflikte sind wesentlich dafür. Verzögerte Windparkerrichtungen in Deutschland sind die Folge. Es brauche Verbesserungen in diesen Rahmenbedingungen, „um die genehmigten Projekte unserer Kunden in Deutschland mit Cypress-Anlagen mit 158 Meter Rotor wirtschaftlich umsetzen zu können“, heißt es bei GE bezogen auf die aktuell größten Modelle des Anlagenherstellers.

Die Deutsche Kreditbank (DKB) beobachtet, wie Projekte insbesondere an weniger günstigen Standorten in die Unwirtschaftlichkeit kippen. Der Windexperte des Berliner Geldhauses Jörg-Uwe Fischer hält höhere zulässige Höchstgebotspreise für Ausschreibungen neuer Projektvergütungsrechte und der Inflation folgende flexible Tarife 2023 für unumgänglich. Rechtlich wäre es möglich: Das EEG 2023 enthält Verordnungsermächtigungen dafür.

„Durch Anpassung der Höchstwerte in den Ausschreibungen muss die Politik in Verbindung mit inflationsberücksichtigender Preisgestaltung die Wirtschaftlichkeit neuer Projekte wieder ermöglichen.“

Jörg-Uwe Fischer, Leiter Fachbereich New Energies, Deutsche Kreditbank

Hohe Akzeptanz, gute Beteiligungschancen

Dabei nimmt die öffentliche Akzeptanz für den Windkraftausbau nach einer Phase sinkender Sympathiewerte gerade wegen der Krisen wieder zu. Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürger haben Interesse an einer unabhängigen eigenen und klimaschonenden Energieversorgung. Und sie haben neue finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten.

Beispiel Baywa RE: Mit einem ganz neuen Anwohner-Stromtarif für Menschen im Umkreis von 2,5 Kilometern um ein Windparkprojekt will das bayerische Erneuerbarenunternehmen einen Kilowattstundenpreis zehn Prozent unterhalb des örtlichen Grundversorgertarifs garantieren. Mit einer Augmented Reality App lassen Baywa-RE-Projektierer zudem die Menschen die Erscheinung eines Windparks in ihrer Landschaft von jedem Ort aus mitsamt Schattenwurf nachvollziehen. So sollen Anwohnende bestenfalls ihre Ängste verlieren.

Die Beteiligungsmodelle sind vielfältig: Windsparbriefe von Trianel hier, Programme der DKB-Bank wie Crowd-Beteiligungen oder Bürgersparen weit jenseits klassischer Kreditfinanzierung da – oder eingebundene Energiegenossenschaften.

„Die softwareseitige Weiterentwicklung der Schadenserkennungs-Algorithmen ist ein Fokus für uns 2023.“

Hans Schlingmann, Vizepräsident, Wind Solutions, Weidmüller

Die Zulieferprobleme indes werden Geschäftserwartungen nur unpräzise prognostizieren lassen. „2023 erwarten wir weiterhin Lieferkettenprobleme“, heißt es beim niedersächsischen Erneuerbare-Energien-Unternehmen Dean in Neustadt am Rübenberge: Es sei ein nicht beeinflussbares „Problem, mit dem wir uns arrangieren müssen“, sagt Dean-Prokuristin Marielena Bloh. Zunehmend seien auch Transformatoren und Umspannwerke betroffen, teilt SWM in München mit. Der ostfriesische Turbinenbauer Enercon kündigt ein „gutes Krisenmanagement“ im Umgang mit „gestörten Lieferketten, Fehlteilen und steigenden Kosten“ an. Siemens Gamesa sieht auch einen Mangel an ausreichend Raststätten, Fahrern, Hafen- und Verschiffungskapazitäten für die Logistik beim Abtransport von Windenergieanlagen als Ursache für zahlreiche Projektverzögerungen.

„Wir werden Anwohnerinnen und Anwohnern in einem Umkreis von 2.500 Metern um den Windpark einen Stromtarif anbieten, der garantiert zehn Prozent unter dem örtlichen Grundversorgertarif liegt.“

Marie-Luise Pörtner, Geschäftsführerin, Baywa RE Wind

Aber auch wenn die Unternehmensführungen deutlich mehr Fragezeichen in ihren Bilanzmodellen notieren als gewohnt: Weil der Trend zum forcierten Ausbau erneuerbarer Energien und insbesondere der Windkraft klar ist, suchen einige schnell nach Personal. Juwi will 2023 „von der Akquise bis zur Betriebsführung“ neue Fachkräfte anstellen. Erstmals will das rheinland-pfälzische Projektierungsunternehmen auch Nachwuchskräfte ausbilden und davon gute Talente an sich binden.

Dennoch fordern die zahlreichen Unsicherheiten auch Opfer. 2023 wird nicht gut für komplett eigenständige Bürgerwindprojekte. Zwar verlangen die mancherorts nur 50, häufig 500 oder 1.000 Euro Mindestbeteiligung zeichnenden Bürgerenergie-Anleger und -Anlegerinnen wenig Rückfluss für ihre Einlagen. Doch können sie die flüssigen Geldmittel bei langen Genehmigungsprozessen und zeitgleichen Preissprüngen nicht verlässlich aufbringen.

Instandhaltung einer Siemens-Windturbine in den USA durch Deutsche Windtechnik.

Foto: Dominik Obertreis www.obertreis.de - Deutsche Windtechnik

Instandhaltung einer Siemens-Windturbine in den USA durch Deutsche Windtechnik.

Schwere Zeit für Bürgerenergie

Der Interessenverband der Bürgergesellschaften, BBEn, rechnet die Nichtfinanzierbarkeit der Unwägbarkeiten vor. Der BBEn-Vertreter Horst Leithoff verweist auf Preiszunahmen bei Anlagen, Fundamenten und Wegen um 30 Prozent, bei Umspannwerken um 100 und bei Zinsen um 400 Prozent. Und weil die Bundesregierung jetzt auch das Abschöpfen sogenannter Übergewinne plant, beraube sie Bürgerenergiegesellschaften ihrer Mittel für die Projektarbeit 2023, argumentiert Leithoff. Denn trotz neuer Sonderabschreibungschancen stünden dann nicht mehr genug Mehreinnahmen aus den krisenbedingt hohen Stromhandelspreisen als Investitionsmittel für den vielleicht 2025 folgenden Windparkbau zur Verfügung. „Wichtig ist jetzt, dass die beabsichtigte Abschöpfung von Umsätzen anstelle von Gewinnen nicht zu neuen Unsicherheiten führt“, warnt der Bundesverband Windenergie.

Ein anderer Konflikt scheint tatsächlich aber zu enden. So erwartet Dean-Prokuristin Bloh „nach einem sehr langen Gerichtsverfahren und mehreren Umplanungen … für Anfang 2023 eine Genehmigung für 10 Windenergieanlagen“ für das Repowering-Projekt Mandelsloh bei Neustadt. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hatte den Austausch der neun Altanlagen sechs Jahre lang verzögert, indem sie eine mögliche Störung der Luftraumabbildung einer Flugsicherungsanlage in Nienburg monierte. Nach einer neuen Analyse der technologischen Entwicklung der sogenannten Drehfunkfeuer und Verhandlungen mit zwei Ministerien verkleinerte die DFS im August ihren 15 Kilometer ausgreifenden Sicherheitsradius um mehr als die Hälfte. Das gilt nun überall, wo die neueste Technik der Doppler-Drehfunkfeuer zum Einsatz kommt wie in Nienburg. Am Standort Mandelsloh dürfte Dean die bisherige Erzeugungskapazität von knapp 12 auf bis zu 60 oder mehr MW verfünf- bis versechsfachen. Das zwischen beiden Ministerien vereinbarte Maßnahmenpaket ließe innerhalb der „nächsten Jahre“ neue Windparks mit bis zu sechs Gigawatt zu – so zitieren die Ministerien eine Studie.

Und weitere Faktoren schieben die Branchenkonjunktur an. So zielen zunehmend mehr sogenannte Innovationsausschreibungen auf eine verstetigte Energieerzeugung durch Erneuerbaren-Anlagen. Die im EEG verankerten Sonderauktionen fördern Projekte, die Photovoltaik- oder Windenergieanlagen mit Batteriespeichern ergänzen. Das EEG 2023 und das neue Windenergie-auf-See-Gesetz sehen nun zwei weitere jährliche Auktionen für die Erzeugung des emissionsfreien Energieträgers Wasserstoff aus Wind- oder Solarstrom vor, um die Grünstromzufuhr ins Stromnetz zu verstetigen. Dafür soll auch ein Rückverstromen des Wasserstoffs in windstillen Phasen sorgen.

„2023 folgt mit der E-115 EP3 E4 die dritte E-Gondel-Anlage, womit wir für alle Anlagenklassen die innovative Plattform anbieten können.“

Felix Rehwald, Sprecher, Enercon

Windkraftakteure starten Wasserstoffzeit

Die Bewegung ins neue Geschäft ist schon vorher absehbar: Windenergieunternehmen Abo Wind wird 2023 bei Fulda einen mit Bundesfördermitteln finanzierten Elektrolyseur projektieren und aufbauen, der den emissionsfreien Energieträger mit Strom aus einem Windpark erzeugt und nach Inbetriebnahme 2024 eine Wasserstofftankstelle für Lastwagen beliefert. Das Regensburger Projektierungsunternehmen Ostwind, im Sommer vom dänischen Energieversorger Ørsted gekauft, setzt auf die Unterstützung des in größeren Wasserstoff-Pilotprojekten eingestiegenen Mutterkonzerns. Ostwind-Geschäftsführer Stefan Bachmeier deutet an, „zukünftig bei unseren Projekten auf das Know-how von Ørsted zurückgreifen“ zu können, „wenn es beispielsweise um konkrete Lösungen für die Energiespeicherung geht, etwa durch die Umwandlung“ von Wasser in Wasserstoff- (H2) und Sauerstoffmoleküle. Das Cuxhavener Unternehmen PNE will 2023 sein Profil als „Clean Energy Solutions Provider“ weiter schärfen, dass es seit 2020 vermarktet. PNE plant in Südafrika und Polen eine Elektrolyse für den Wasserstoff-Rückimport nach Deutschland.

Der wachsende Bedeutung von Sektorenkopplungsprojekten deutet sich an. Und ihr tragen auch Akteure an anderer Stelle der Wertschöpfungskette der Windkraft schon Rechnung. So lässt die Umweltbank wissen, „zum Beispiel Photovoltaik- und Windparks in Verbindung mit Energiespeichern“ und in Verbindung mit Energieumwandlern mit Investitionskrediten versorgen zu wollen. „Die Umweltbank tastet sich an eine Fremdfinanzierung solcher Projekte heran“, lässt das Geldhaus wissen.

Das österreichische Zulieferunternehmen für Windparksteuerung und Automatisierungselektronik Bachmann nimmt sich für 2023 die weitere Markteinführung des 2019 erstmals vorgestellten Smart Power Plant Controller vor. Der zertifizierte Anlagenregler soll die Erzeugung von Windparks auch mit der von Solar-, Biogas- und Wasserkraft koppeln und dabei noch Speichertechnologie managen können. Bachmann arbeite „an übergreifenden Energiemanagementsystemen, die auch die kommerziellen Aspekte für den Betreiber mit berücksichtigt“, wie zum Beispiel Strompreise.

„2023 erwarten wir  weiterhin  Lieferkettenprobleme.  Ein Problem, mit dem  wir uns aktuell  arrangieren müssen,  wie viele andere.“

Marielena Bloh, Prokuristin,  Ecojoule Construct GmbH, Geschäftsführung Dean-Gruppe

Foto: BBEn

Herbert Schwartz erkennt den Drang zur Sektorkopplung aus der Windenergiebranche heraus ebenfalls. Allerdings gebe es in Deutschland noch kaum Nachfrage nach Analysen tages- und jahreszeitlicher Verteilungen des Windaufkommens, sagt der Geschäftsführer des Windgutachtendienstes Anemos Jacob. Sie wären für die Auslegung kommerzieller Hybrid-Parks mit Speicher eine wichtige Grundlage. In Deutschland habe Anemos Jakob bislang nur zwei Aufträge für eine derartig differenzierte Analyse erhalten, sagt Schwartz. In „manchen ausländischen Märkten“ sei hingegen der Auftrag für solche Angaben bereits üblich.

Wasserstofftechnologieunternehmen erhöhen derweil ihre Schlagzahl beim Ranrudern an die Erneuerbaren-Branche. H-Tec System aus Augsburg wird Mitte 2023 zwei Ein-MW-Elektrolyseure mit sogenannten Proton Exchange Membranen (PEM), Protonen-Austausch-Membrane also, ins Bremerhavener Industriegebiet liefern. Die geplante Anlage gehört zum Wasserstoffprojekt HY City Bremerhaven und soll mit Windstrom aus einem nahegelegenen Windpark grünen Wasserstoff für Wasserstoffbusse des öffentlichen Bremerhavener Nahverkehrs erzeugen. Und die Augsburger erwarten noch viel mehr Aufträge: Mitte November teilte H-Tec System mit, mehr als 60 Ingenieure und Facharbeitende für einen raschen Belegschaftsaufbau an Standorten in Deutschland, Spanien, Schweden und in den Niederlanden zu suchen. Die Projektentwicklung der Bremerhavener H-Tec-System-Anlage betrieb das Erneuerbare-Energien-Unternehmen GP Joule. Dessen Geschäftsführer Ove Petersen fordert, dass die Politik netzdienliche Wasserstoffinfrastruktur als Normalfall im Baurecht privilegieren muss.

Sogar das Windenergieforschungsinstitut Fraunhofer Iwes soll bald „an vielen Stellen relevante Beiträge“ zur künftigen H2-Wirtschaft in Deutschland liefern, wie Institutsleiter Andreas Reuter erklärt. An drei Wasserstoffprüffeldern in Leuna und Görlitz werde das Iwes die Zuverlässigkeit der Elektrolyseure prüfen.

„Die Übergewinn-Abschöpfung durch ein unübersichtliches neues System erschüttert das Vertrauen unserer Gesellschafter:innen in die Verlässlichkeit der Investition in erneuerbare Energien.“

Horst Leithoff, Ratsmitglied, Bündnis Bürgerenergie

Forschung an flexibler Windstromernte

Natürlich bleibt auch die Entwicklung der konventionellen Windkraft nicht stehen. Forscher wollen aufgrund der Energiekrise – infolge der eingestellten Gasimporte aus dem in der Ukraine Krieg führenden Russland – die Windstromerzeugung selbst flexibilisieren. An der Uni Stuttgart zielt die Forschung im kommenden Jahr auf technische Möglichkeiten, „um die Energieerzeugung aus Windturbinen besser an die Nachfrage anzupassen“. Das berichtet der Lehrstuhlinhaber für Windenergie in Stuttgart, Po Wen Cheng. Eine nachfragegesteuerte Windparkregelung könne dabei herauskommen, deutet Cheng an, oder eine intelligente Nachlaufsteuerung, um also die Verwirbelung hinter einem drehenden Rotor zu vermindern. Weitere Methoden wären die Drosselung der Windenergieanlagen oder umgekehrt ein Power Boosting.

Gondelfertigung bei Enercon

Foto: ENERCON

Gondelfertigung bei Enercon
Wichtiges Personal: Elektrotechnik-Experten

Foto: JEAN MÜLLER

Wichtiges Personal: Elektrotechnik-Experten

Moderne Windstromerzeugung braucht daher beste Sensoren und Überwachungskonzepte. Automatisierungsspezialist Weidmüller aus Detmold bewirbt die Nachrüstung von Altwindturbinen im Weiterbetrieb mit Sensoren sogar für Mutterkappen und Schraubenvorspannkraft. Hauptziel der Elektronikzulieferer wie Weidmüller und Bachmann ist die optimale Planung der Instandhaltungsarbeiten. Die Zustandsüberwachung soll genau vorhersagen, wann welches Bauteil zu ersetzen ist und wann Reparaturen außerhalb windreicher Wetterphasen, also ohne Erzeugungsverluste stattfinden können. Predicitive Maintenance nennt sich dieses digitale lernende Monitoring für vorausschauende Wartung.

Beim größten deutschen Windkraft-Service-Unternehmen steht derweil ein Jahr des Nachjustierens an. Das erklärt Deutsche-Windtechnik-Vorstand Matthias Brandt so: Nach einem Rückgang der Servicepreise für die Kunden bis 2021 müsse das Unternehmen im kommenden Jahr „intensive und sehr individuelle Verhandlungen bei den Serviceverträgen führen“, um die Preise wieder nach oben anzupassen. Preissteigerungen ergeben sich im Wartungsdienst aufgrund der Inflation, aber auch beispielsweise aufgrund des Fachkräftemangels bei den Service-Anbietern. Im Zuge der individuellen Neuverhandlungen der Preise werde Deutsche Windtechnik auch die individuelle Situation der einzelnen Windparks verstärkt prüfen. Und im Ausland müsse Deutsche Windtechnik nun noch fehlende einheitliche Service-Standards einführen.

Gondelfertigung bei Eno Energy in Rostock

Foto: eno energy

Gondelfertigung bei Eno Energy in Rostock

„Weil Lieferketten viel mehr in den Fokus rücken, wird auch bei Eno Energy die Modularisierung der Maschinen weiter verbessert.“

Marcus Müller, Vertriebsleiter, Eno Energy

Anlagenbauer vereinheitlichen Technologie

Foto: F. Hammerich - OSTWIND GmbH

Die Windturbinenhersteller haben derweil ihre Hausaufgaben bei der Modernisierung ihrer Plattformstrategien zu leisten. So zwangen der noch bis 2021 andauernde Preisdruck aus dem Wettbewerb internationaler Ausschreibungen und danach Zulieferprobleme und Inflation zur Entwicklung containerförmiger Maschinenhäuser. Die Neudesigns müssen sich modular mit überall auf der Welt leicht herstellbaren Industriebauteilen bestücken und leichter bauen lassen. Doch der Design-Schwenk war noch nicht genug. Enercon wolle 2023 „Innovationen, neue Technologien und Kostenoptimierungen jeweils Schritt für Schritt in die Serie einführen“, sagt Enercon-Sprecher Felix Rehwald. Zwar ist Enercon mit dem Wechsel von einer eiförmigen Maschinenhausgondel mit einem teils handmontierten riesigen Generator hin zum Container mit Generator aus standardisierten Formspulen schon weit gesprungen. Doch nun muss das Unternehmen die verbliebenen unterschiedlichen Anlagenbauplattformen mit den jeweils innovativsten Bauteilen einheitlich modernisieren. Denn diese wollen die Turbinenbauer künftig Plattform-übergreifend möglichst in allen Anlagen gleichermaßen einsetzen können.

„Wir können bei unseren Projekten auf das Know-how von Ørsted zurückgreifen, wenn es beispielsweise um die Energiespeicherung geht. Natürlich müssen wir künftig das gesamte Energiesystem im Blick haben.“

Stefan Bachmaier, Geschäftsführer, Ostwind

Auch der kleinste deutsche Windturbinenhersteller zieht mit. Die Plattform mit den zwei neuen Flaggschiffanlagen von Eno Energy soll durchweg vereinheitlichte Komponenten bekommen – für Eno 152 und Eno 160 in allen Nennleistungsvarianten mit 3,5, 4,0 und 4,8 MW. Im ersten Halbjahr wollen die Rostocker auch noch den Prototyp der Eno-160 installieren. Intern werden die Eno-Ingenieure das künftige nächstgrößere Eno-Modell mit längeren Rotorblättern technisch überprüfen.

Das saarländische Vensys wiederum hatte seine neueste Anlage mit 170 Meter Rotordurchmesser und 5,8 MW vor eineinhalb Jahren angekündigt. Ende 2023 oder Anfang 2024 werde die Prototyperrichtung folgen, kündigt Vensys auf ERNEUERBARE-ENERGIEN-Nachfrage an.

Foto: IFB

„Die Windenergie muss flexibler werden -– durch Windparkregelung wie unter anderem Nachlaufsteuerung, Drosselung, Power Boosting.“

Po Wen Cheng, Leiter Stuttgarter Lehrstuhl für Windenergie, Universität Stuttgart