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Wechselrichter kann Netz

Sven Ullrich

Die Energiewende ist in vollem Gange und wird in den nächsten Jahren weiter an Fahrt aufnehmen. In ersten Ländern wie etwa in Österreich sollen ab 2030 die volatil erzeugenden Ökostromanlagen die gesamte Versorgung übernehmen. Andere Länder werden wenige Jahre später folgen. Das wird eine grundlegende Änderung nicht nur der Energiewirtschaft, sondern des gesamten Energiesystems nach sich ziehen.

Konnten es sich die Investoren der ersten Solaranlagen noch leisten, nur bis zum Netzanschlusspunkt zu denken, ist inzwischen die Energiewelt eine andere geworden. Denn die großen Kraftwerke mit ihren rotierenden Massen, die bisher das Netz aufgebaut und gestützt und die Schwankungen aufgrund von unstetiger Einspeisung einfach überrollt haben, werden verschwinden.

Stattdessen wird das Netz der Zukunft von Leistungselektronik aufgebaut und stabil gehalten. Der Strom kommt dabei nicht nur aus den Erzeugungsanlagen, sondern auch aus Speichern, die immer wichtiger werden. Dabei geht es nicht nur darum, beispielsweise Sonnenstrom vom Tag in die Nacht zu schieben, sondern darum, Energie dann bereitzustellen oder aus dem Netz zu ziehen, wenn es notwendig ist. „Dafür brauchen wir Speicher und wir brauchen netzbildende Wechselrichter“, betont Florian Bechtold, der beim Wechselrichter- und Speicherhersteller SMA für die Entwicklung des Großanlagengeschäfts zuständig ist.

„Wir müssen genau an der Stelle Energie und Leistung bereitstellen können, an der das Netz ein Problem hat.“

Florian Bechtold, SMA, Großanlagen

Kondensatoren für den kurzen Schub

Solche netzbildenden Wechselrichter werden in Zukunft zum Standard – zumindest bei der Leistungselektronik, die große Speichereinheiten in das Netz integriert, aber auch teilweise bei Einspeiseanlagen. Bei Letzteren geht es vor allem um das Geschäftsmodell. Denn diese müssten dann gedrosselt fahren. Alternativ wäre auch die zusätzliche Ausstattung mit Kondensatoren, sogenannten Supercaps, möglich, die dann im Bedarfsfall eine Energiespitze bereitstellen können.

Ein solches Projekt hat der deutsch-estnische Hersteller von Superkondensatoren Skeleton in Polen gestartet. So wird der polnische Elektronikhersteller ZPUE die Superkondensatoren von Skeleton an unterschiedlichen Stellen des polnischen Stromnetzes installieren, um dort Leistung und Energie für dessen Stabilisierung bereitzustellen. Zunächst ist bis 2025 der Aufbau von 160 Megawatt Speicherleistung geplant. „Damit kann man dem Netz sozusagen einen kleinen Schub geben. Das geht aber nur kurzfristig. Sobald es um längerfristige Stabilisierung geht, braucht man Großspeicher, die idealerweise über netzbildende Wechselrichter ins Netz eingebunden sind“, betont Florian Bechtold.

Permanent Daten analysieren

Er geht entsprechend davon aus, dass sich der Trend weg vom stromgeführten Wechselrichter hin zum Spannungssteller verstärken wird. Denn nur solche Geräte sind in der Lage, selbst das Netz zu stellen. „Denn wenn ein Wechselrichter stromgeführt ist, folgt er der Netzspannung und speist Leistung ein. Ein Batteriewechselrichter kann zusätzlich spannungsgeführt arbeiten und somit selbst ein Netz stellen. Diese Art von Batteriewechselrichtern analysiert permanent das Spannungsniveau und die Frequenz im Netz, die es zu halten gilt. Je nach Leistungselektronik, die der Wechselrichter mitbringt, entscheidet sich dann, ob er Regelalgorithmen bereitstellen und damit das Netz stellen kann oder nicht“, beschreibt Christian Löffler, der das Produktmanagement für Speicherlösungen beim Hersteller Tesvolt in Lutherstadt Wittenberg leitet, das grundlegende Prinzip.

Alles auf Dezentralität getrimmt

Tesvolt hat die Leistungselektronik und das Energiemanagement seiner Gewerbe- und Großspeicher deshalb auf Geschwindigkeit getrimmt. So schaffen es die aktuellen Geräte, innerhalb von weniger als 20 Millisekunden vom Betrieb an einem bestehenden Netz auf Ersatzstromversorgung umzuschalten. Da diese 20 Millisekunden einer halben Sinuswelle bei 50 Hertz entsprechen, geschieht der Umschaltvorgang, ohne dass irgendwelche Verbraucher sich kurz abschalten und dann wieder starten.

Für die Netzstabilisierung sind die Speicher aber nur die Energiequelle. „Mit der Energie aus der Batterie und der Regelungstechnik aus dem Wechselrichter kann so ein Netz aufgebaut und stabilisiert werden“, erklärt Florian Bechtold von SMA. Dies geschieht dann so dezentral wie die Erzeugung auch, selbst wenn die Leistungselektronik der Solaranlagen teilweise über zentrale Leitwarten angesteuert wird. „Wenn es darum geht, Netzstabilität zu gewährleisten, muss man sehr schnell auf die Anforderungen vor Ort reagieren, um dort die Spannungs- und die Frequenzstabilität zu gewährleisten“, beschreibt Bechtold die Bedeutung der dezentralen Steuerung, die künftig für das Netz immer wichtiger wird.

Netz- und Standortplanung

Genau hier wartet die eigentliche Herausforderung: Die Planer müssen die geeigneten Standorte im Netz finden, wo die Stabilisierung erforderlich ist. „Wir müssen genau an der Stelle Energie und Leistung bereitstellen können, an der das Netz ein Problem hat“, betont Florian Bechtold. Dies muss sich in der Netzplanung der nächsten Jahre widerspiegeln. Aber auch die Standortplanung der Erzeugungsanlagen ist dabei nicht ganz unerheblich. „Denn wir werden sehr dezentral einen sehr großen Bedarf an netzbildender und netzstabilisierender Leistungselektronik haben. Dieser Bedarf muss planbar gemacht werden, sonst werden wir den Übergang zu einem neuen Energiesystem nicht hinbekommen“, warnt Bechtold. „Doch im Moment geht der Ausbau von solchen Anlagen noch viel zu langsam. Das muss beschleunigt werden. Die Regelung selbst ist dann technisch kein Problem mehr.“

Dies zeigen auch die Ergebnisse des Projekts Verbundnetzstabil des Fraunhofer ISE. Dabei haben die Forscher verschiedene Geräte und Algorithmen für netzbildende Wechselrichter entwickelt und getestet, um die neue Technologie fit für die Zukunft zu machen. „Unsere Untersuchungen zeigen: Die Umstellung von Synchrongeneratoren auf netzbildende Wechselrichter funktioniert“, fasst Sönke Rogalla, Leiter der Abteilung Leistungselektronik und Netzintegration am Fraunhofer ISE, die Ergebnisse zusammen. Die Wechselrichter können die normativen Vorgaben der Nieder- und Mittelspannungsrichtlinien erfüllen.

„Unsere Untersuchungen zeigen: Die Umstellung von Synchrongeneratoren auf netzbildende Wechselrichter funktioniert.“

Sönke Rogalla, Leiter der Abteilung ­Leistungselektronik und Netzintegration am Fraunhofer ISE

Schnell auf Änderungen reagieren

Im Verbund mit Batteriespeichern als Energiequelle hat das künftige System den zusätzlichen Vorteil, dass es leistungsfähiger und schneller als das bisherige ist. „Denn die Speicher können innerhalb kürzester Zeit sehr viel Leistung zur Verfügung stellen“, betont Christian Löffler von Tesvolt. Dazu ist aber die entsprechende Leistungselektronik notwendig.

Die netzbildenden Wechselrichter verfügen über eine sehr schnelle Messstelle, die vom Netz die jeweils aktuellen und relevanten Werte abfragt. „Diese kann sehr viele Messdaten innerhalb kürzester Zeit erfassen. Sie hat zudem einen eingebauten Rechner, der die Daten vom Netz auswertet und diese dann in eine Regelvorgabe für den Speicher umsetzen kann“, erklärt Löffler. Um keine Zeitverluste auf der Datenautobahn zwischen Messstelle, Speicher und Wechselrichter zu verlieren, arbeitet Tesvolt unter anderem mit Lichtwellenleiter. Hier sind die Daten tatsächlich mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Auch dadurch erreicht das Unternehmen die hohen Regelungsgeschwindigkeiten.

Kennlinien nachfahren

Schließlich muss die Leistungselektronik die vorgegebenen festen Anschluss- und Regelparameter abfahren können. Das sind feste Werte, die eingehalten werden müssen, um die Netzstabilität zu unterstützen. Hier gibt es bestimmte Kennlinien, die in den Wechselrichtern hinterlegt sind, und jedes Gerät muss diese Parameter einhalten. So gibt es eine Kennlinie der Leistung, die abhängig von der Frequenz ist. Um diese einzuhalten, muss der Wechselrichter die Netzeinspeiseleistung reduzieren, wenn die Frequenz im Netz steigt oder sie erhöhen, wenn die Frequenz unter einen vorgegeben Wert sinkt.

Ähnliche Kennlinien fahren die netzbildenden Wechselrichter nach, um die Spannung im Netz stabil zu halten oder um Blindleistung bereitzustellen. Auf diese Weise gelingt es, mit einer guten Verteilung der Leistungselektronik im Netz und entsprechenden Geschäftsmodellen für die Anlagen- und Speicherbetreiber, das Stromsystem weiterhin stabil zu halten, auch wenn es perspektivisch nur noch auf volatil einspeisenden Anlagen basiert.

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