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Jeder Tropfen zählt

Meerwasser wird mit Wind und Solar zu Trinkwasser

Sven Ullrich

Tierra Amarilla ist eine Region Chiles, in der das Land seinen Reichtum fördert. Denn hier liegen die Kupfer- und Eisenminen, die unter anderem das Herz der Wirtschaft des südamerikanischen Landes sind. Doch die Förderung ist nicht einfach. Denn ausgerechnet hier, wo es die Kupfervorkommen gibt, mangelt es an Wasser, das in enormen Mengen notwendig ist, um das Metall vom Gestein zu trennen. Denn der Bergbau frisst sich hier durch die trockenste Wüste der Erde.

Damit die Minen nicht weiter den Menschen hier in der Region das rare Grundwasser wegpumpen, hat der Staat dessen Nutzung für den Bergbau eingeschränkt. „Da kein Oberflächenwasser vorhanden ist, bleibt als einzige Wasserquelle das Meer übrig“, erklärt Joachim Käufler, Geschäftsführer von Synlift Industrial Products. Das Unternehmen mit Sitz in Potsdam hat den Auftrag bekommen, die Wasserprobleme anzugehen. Es projektiert eine riesige Wasserentsalzungsanlage an der Küste der Region.

Wasser statt Strom speichern

Synlift setzt seine Lösung auf dem bewährten Prinzip der Umkehrosmose auf. Synwater, so der Produktname, sind im Grunde riesige Hallen mit flexiblen Umkehrosmoseanlagen, die mithilfe von Windkraft- und Solaranlagen aus dem salzigen Meerwasser sauberes Trinkwasser herstellen.

Das ist ein energieintensiver Prozess. Denn bei der Umkehrosmose wird Salzwasser mit hohem Druck durch eine halbdurchlässige Membran gepresst. Der Druck muss dabei größer sein als der Druck, der durch das sogenannte osmotische Verlangen zum Konzentra­tionsausgleich entsteht. In der Umkehrosmose werden deshalb Drücke von 60 bis 80 bar notwendig.

Diesen Druck müssen leistungsstarke Pumpen aufbauen und aufrechterhalten. Dafür ist viel Strom notwendig. „Wir brauchen 2,5 bis 3 Kilowattstunden Strom, um einen Kubikmeter Wasser zu entsalzen. Dazu kommt noch das Hochpumpen des Wassers von der Küste bis auf 800 Meter. Dort wird es in Reservoirs gespeichert. Am Ende kommen wir auf 7 bis 7,5 Kilowattstunden Strom, um einen Kubikmeter Wasser für die Minen um die Tierra Amarilla bereitzustellen“, rechnet Joachim Käufler vor.

600 Megawattstunden täglicher Verbrauch

Die Entsalzungsanlage muss einen Kubikmeter Wasser pro Sekunde liefern. Sie muss so jeden Tag 86.400 Kubikmeter Frischwasser produzieren und auf 700 Meter Höhe pumpen. Dafür sind zwischen 600 und 650 Megawattstunden Strom notwendig – Tag für Tag. Im Jahr sind das zwischen 220 und 237 Gigawattstunden. Doch es ist nicht nur die Menge der Energie, die bereitgestellt werden muss. Es ist auch die Kontinuität, mit der die Energie gebraucht wird.

In der Vergangenheit liefen diese Meerwasser­entsalzungsanlagen mit fossilen Kraftwerken. Das soll sich ändern. Denn die Energiewende verlangt nach einer Lösung, die mit Ökostrom laufen kann. „Die fossilen Kraftwerke durch Solar- oder Windkraftanlagen zu ersetzen, ist aber nicht so einfach“, weiß Joachim Käufler. „Denn die fossilen Kraftwerke liefern den Strom kontinuierlich und die Erzeugung kann an den Bedarf angepasst werden. Das ist mit erneuerbaren Energien anders. Denn sie liefern den Strom je nach natürlichem Angebot.“

Um dennoch ein gleichmäßiges Wasserangebot zu sichern, sind demzufolge Speicher notwendig. Das geht entweder mit Stromspeichern oder mit Wasserspeichern.

Letztere sind natürlich viel preiswerter als Batteriekraftwerke, die dafür sorgen, dass jederzeit gleichmäßig Strom zur Verfügung steht. Doch hier stehen die Projektierer vor der nächsten Herausforderung.

Die Nachtstunden mit abdecken

Um genügend Wasser produzieren zu können, das dann gespeichert wird, müssen sie auch die Erzeugungsspitzen der Solar- und Windkraftanlagen ausnutzen. „Das bekommt man nur in Kombination mit der Flexibilisierung des Prozesses mittels Lastmanagement hin“, erklärt Käufler. „Die Anlage muss in der Lage sein, überdurchschnittlich viel zu produzieren, um einen Wasservorrat aufbauen zu können. Das bedeutet ein höheres Investment auf der Prozessseite.“

Konkret bedeutet das, dass im Falle eines Solarkraftwerks, mit dem die Entsalzungsanlage betrieben wird, tagsüber so viel Wasser produziert werden muss, um auch die Nachtstunden abzudecken. Dazu kommt noch, dass die Solaranlagen in den Morgen- und Abendstunden nicht ihre volle Leistung erreichen. „Selbst mit einer einachsig nachgeführten Solaranlage können wir so auch unter exzellenten Einstrahlungsbedingungen nicht mehr als 25 bis 27 Prozent der installierten Leistung dauerhaft nutzen“, rechnet Käufler vor. „Das heißt, ein Viertel der installierten Solarleistung muss ausreichen, um den Entsalzungsprozess zu betreiben.“

In den Mittagsstunden produziert die Solaranlage mit nahezu 100 Prozent ihrer Nennleistung. Diese Erzeugungsspitze muss die Anlage in entsalztes Wasser umsetzen. Das heißt, dass die vierfache Entsalzungsleistung gebaut werden müsste, um die komplette Solarleistung nutzen zu können. Diese Rechnung sieht mit Windkraftanlagen etwas besser aus, weil sie im Vergleich zu Solaranlagen mehr Stunden pro Jahr Strom liefern. „Hier liegt der Kapazitätsfaktor abhängig vom Windaufkommen und vom Anlagentyp bei etwa 0,5“, weiß Käufler. „Deshalb läuft es vor allem für solar betriebene Entsalzung in der Regel auf Hybridlösungen hinaus, bei denen ein Teil des Stroms aus dem Netz kommt.“

Das Netz bleibt als Back-up

So wird es auch Synlift in Chile machen. Die Potsdamer legen das Projekt so aus, dass 80 Prozent der Energie aus einer einachsig nachgeführten Photovoltaikanlage kommen. Die leistet 80 Megawatt, was bei der Sonneneinstrahlung in der Atacama-Wüste ausreicht, um die notwendigen 176 bis 190 Gigawattstunden Strom jedes Jahr bereitzustellen. „Wir haben uns für die Photovoltaik entschieden, weil hier zu wenig Wind weht“, erklärt Joachim Käufler. „Wir betreiben die Entsalzungsanlage nur mit Windkraft, wenn der Standort mindestens Windklasse drei aufweist.“ Die restlichen 20 Prozent kommen in der ersten Ausbaustufe aus dem Netz. Die Hallen werden aber so groß gebaut, dass noch mehr Umkehrosmoseanlagen hineinpassen. So kann in Zukunft die gesamte Entsalzung zu 95 Prozent mit Solarstrom betrieben werden.

Die Kopplung ans Netz bleibt trotzdem bestehen. Das verringert den Regelungsaufwand für die Entsalzungsanlage. Denn sie muss dann nicht jeder Erzeugungsspitze nachfahren. Vielmehr kann die Photovoltaikanlage diese Spitzen ins Netz einspeisen. Auf der anderen Seite muss die Umkehrosmose nicht wegen jeder kleinen Wolke zurückgeregelt werden, die über die Solaranlage zieht und den Stromertrag kurzzeitig mindert. Dann zieht sich die Entsalzungsanlage die fehlende Energie einfach aus dem Netz, das so als Back-up fungiert.

Membran schonen

Dadurch ist nicht nur mehr Kontinuität des Entsalzungsprozesses möglich, sondern auch mehr Sicherheit. „Denn eine solche Umkehrosmoseanlage kann nicht einfach an- und abgeschaltet werden“, erklärt Joachim Went von der Forschungsgruppe des Fraunhofer ISE, die sich mit der Meerwasserentsalzung mit Solarenergie beschäftigt. „Vielmehr muss sie langsam hoch- und heruntergefahren werden, damit die Membran keinen Schaden nimmt.“ Schließlich ist vor der Membran ein gewisser Druck notwendig, damit am Ende auch Frischwasser herauskommt. Je geringer der Druck ist, desto mehr Salz ist im Wasser.

Ab einer bestimmten Salzkonzentration ist das produzierte Wasser nicht mehr brauchbar. Dann muss entweder der Druck wieder erhöht oder die Anlage abgeschaltet werden. Doch steht sie lange still, setzt sich die Membran zu. Um das zu verhindern, wird sie üblicherweise ab einer bestimmten Stillstandszeit mit entsalztem Wasser gespült. Dann muss sie wieder vorsichtig hochgefahren werden, bis das frische, salzfreie Wasser komplett wieder durch Meerwasser herausgespült ist. „Sie kann nicht sofort wieder unter vollen Druck gesetzt werden, weil sonst zu viel Wasser durch die Membran fließt und die Membran beschädigt wird, da der osmotische Widerstand durch das Konzentrationsgefälle zwischen Meer- und Frischwasser fehlt“, erklärt Went.

Kapverden-Inseln ersetzen Stromspeicher

Das ist vor allem für einen Ansatz wichtig, den die Freiburger Forscher für zwei Inseln der Kap Verde vor der Westküste Afrikas durchgerechnet haben. Hier ging es nicht darum, konkrete Vorgaben der Wasserproduktion umzusetzen, sondern überschüssige Windenergie zu nutzen, die bisher abgeregelt wird, um die Kosten für entsalztes Meerwasser für die Versorgung der 83.000 Menschen auf São Vicente und der 35.000 Einwohner von Sal zu senken. Denn auf den beiden Inseln fließen acht Prozent des gesamten Stromverbrauchs in die Meerwasserentsalzung.

Das entsalzte Frischwasser auf Sal kostet mit einer kontinuierlich laufenden Umkehrosmose zwischen 1,11 und 1,32 Euro pro Kubikmeter. Wird die Entsalzungsanlage dynamisch mit Windkraft betrieben, steigt der Wasserpreis auf 1,34 bis 2,26 Euro pro Kubikmeter. Darin sind allerdings üppige Kosten für die Wasserspeicherung enthalten, die notwendig wird, um die Windenergie möglichst vollständig auszunutzen. Diese fallen aber weg, wenn die Umkehrosmose ausschließlich mit Windenergie läuft, die bisher abgeregelt wird. Dann kostet die Wasserentsalzung nur noch 0,88 bis 1,68 Euro pro Kubikmeter. „Zudem ersetzt die Umkehrosmose als flexible Last notwendige Investitionen in Speicher, um den Anteil der Erneuerbaren im Netz auf der Insel zu erhöhen“, betont Joachim Went.

Solarthermie zu teuer

Auf São Vicente wurde wiederum untersucht, mit welcher Auslastung die Umkehrosmose betrieben werden müsste, um das Frischwasser für einen möglichst geringen Preis zu produzieren, wenn diese dynamisch mit Windkraftanlagen bestromt wird. „Abhängig vom Anstieg des Wasserbedarfs und der Verbesserung der Wasserinfrastruktur auf São Vicente wäre es am sinnvollsten, die neue Umkehrosmoseanlage zwischen 50 und 75 Prozent ihrer Tageskapazität zu betreiben“, resümieren die Freiburger Forscher ihre Ergebnisse. Um eine höhere Auslastung zu erreichen, müsste mehr Windkraft installiert werden, die zwischenzeitlich abgeregelt wird. Eine niedrigere Auslastung wiederum hätte unnötige Investitionskosten für brachliegende Entsalzungskapazität zur Folge.

Der Preis ist die Hürde, über die die zweite Technologie nicht kommt, an der die Freiburger Forscher ebenfalls arbeiten: der Membrandestillation mit Solarthermie. Vereinfacht beschrieben wird dabei mit der Solarwärme das Meerwasser verdunstet. Dieser Dampf strömt durch eine mikroporöse Membran, die flüssiges Wasser zurückhält. Auf der anderen Seite der Membran kondensiert der Wasserdampf an einer kalten Fläche. „Das ist eine robuste Lösung, die wenig Aufwand und Erfahrung für den Betrieb benötigt und sich hervorragend mit dem Temperaturniveau der Wärme aus den Solarkollektoren von 60 bis 80 Grad Celsius kombinieren lässt“, beschreibt Joachim Went den Vorteil der solarthermischen Wasserentsalzung. „Allerdings wird diese Lösung schwierig in finanzschwachen Regionen, weil das Wasser dann zu teuer wird, sodass sich die Investition in die Anlage bisher nicht amortisiert.“ Und zwar trotz der viel günstigeren Komponenten, die größtenteils aus Kunststoff sein können, während für die Umkehrosmose robustere Materialien notwendig sind. Das sieht anders aus, wenn die Abwärme aus einem anderen Indus­trieprozess zur Verfügung steht, statt dass ein neues Solarthermiekraftwerk gebaut werden muss.

Steigenden Wasserbedarf decken

Da hat die Photovoltaik einen riesigen Vorteil. Denn sie gehört inzwischen zu den preiswertesten Erzeugungstechnologien und der Zubau weltweit geht rasant vorwärts. „Die Nutzung der Photovoltaik passt auch gut zur Entwicklung auf dem Markt für Entsalzungsanlagen, wo die Umkehrosmose als elektrisch betriebenes System derzeit das Rennen macht“, weiß Joachim Went. Damit kann nicht nur der steigende Bedarf an Frischwasser angesichts des fortschreitenden Klimawandels und der wachsenden Bevölkerung gedeckt werden. Solche Lösungen, wie sie Synlift an der Küste Chiles baut, können beispielsweise auch das Image der Elektromobilität aufpolieren. Denn wenn in Zukunft das Lithium für die Akkus in den Fahrzeugen mit Meerwasser und Solarenergie gewonnen wird, ist das Metall selbst die einzig begrenzende Ressource. Bisher steht der Lithiumabbau in Lateinamerika nämlich in der Kritik, der regionalen Bevölkerung das Wasser abzugraben.

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