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Kolloquium Ermüdung Stahl und Beton

Wenn das Material nicht müde werden soll

Tilman Weber

Dass Stahl und Beton im Windturbinenbau zwei Seiten einer Medaille sind, das verdeutlichen die Professoren Peter Schaumann vom Institut für Stahlbau und der demnächst aus dem Dienst scheidende Professor Ludger Lohaus vom Institut für Baustoffe (IFB) an der Leibniz Universität Hannover seit vielen Jahren. In häufigen Kooperationen bringen sie die Forschungsergebnisse beider Institute so zusammen, dass der Einfluss beider Baustoffe aufeinander transparent wird. In ihren Projekten zielen sie so auch darauf ab, dass sich der wechselseitige Einfluss der daraus gebauten Anlagenteile berechnen lässt. Wie sehr beide Forschungen sich ergänzen und wie Zwillinge aufeinander angewiesen sind und wie wichtig sie für die nahe Zukunft werden, war nun bei einem wissenschaftlichen Kolloquium in Hannover zu erfahren.

Ob an Land bei sogenannten Onshore-Windparks oder im Wasser bei Windparks im Meer – die unzähligen Lastwechseln ausgesetzten Windenergieanlagen sind komplexe Bauwerke, deren Stabilität selten durch großes technisches Versagen und Havarien und meist durch die Ermüdung des Materials bedroht ist. Neuere Forschungen an beiden Instituten zielen nun darauf ab, die Ermüdungen mathematisch besser erfassen und prognostizieren zu können. Das soll helfen, dass die Entwickler von Windenergieanlagen die Turbinen nicht mehr mit Sicherheitsaufschlägen in den Turmwänden der Windenergieanlagen oder bei den Schraubendicken schwerer und damit teurer als notwendig bauen müssen. Und es soll bei der Entwicklung neuerer, besserer Materialzusammensetzungen helfen.

So verwies beim Kolloquium beispielsweise Martin Achmus, Professor und Institutsleiter am Institut für Geotechnik, mit dem das Stahlbauinstitut und das IFB ebenfalls kooperieren, auf die wechselnden Einflüsse zwischen den Lastwechseln der Rotorzyklen, mehr oder weniger heftigen Windströmungswechseln und Bodenbeschaffenheit. Den „Einfluss der Boden-Bauwerksinteraktion auf Ermüdung bei Windenergieanlagen“ lässt die Forschung der hannoverschen Geotechniker vielfältig sichtbar werden. So können die Vibrationen, Schwankungen der Turbine, wechselnden Winddruckereignisse oder auch Regeneinfluss dafür sorgen, dass der Baugrund instabiler wird. Dann nehmen Vibrationen oder Schwankungen und Lastwechsel womöglich in ihrer Intensität zu oder sie überlagern sich neu. Möglicherweise aber auch massiert die Windturbine durch ihre dynamischen Reaktionen den Boden auf eine Art und Weise, dass sich der Baugrund sogar stabilisiert und der Turbine besseren Halt gibt. Freilich besagt dies nichts über neue Vibrationsrückwirkungen mit veränderten Frequenzen in die Turbine, die überall in der Anlage im Stahl oder Beton zu Ermüdung und Rissen führen können.

Der Professor vom Ludwig-Franzius-Institut, Torsten Schlurmann, verdeutlichte entsprechende Vorgänge im Wasser bei Offshore-Windenergieanlagen. Besonders die Ereignisse bei der Herausbildung des Kolks sind bisher auch Teil der Forschung: Die auf die Windturbine wirkenden Kräfte und Rotationslasten führen im Meeresbaugrund regelmäßig rings um die Fundamente zu Gräben: Der Seeboden sackt meist jenseits der vorherrschenden Strömungen ab und bildet dahinter wieder einen kleinen Wall.

Doch in dem sogenannten Großen Wellenkanal des Franzius-Instituts – einem weiteren kooperierenden Haus der Universität – lässt sich längst erkennen, das es keine eindimensionalen Phänomene gibt: Kolk kann sich herausbilden, um durch die Gezeiten wieder zurückgebildet zu werden – aufgrund der sich jedes Mal ändernden Strömungen durch Ebbe und Flut. Auch die Art der Wellenausbildung – ob Wellen sich in eindeutiger Strömungsrichtung formieren oder ob sie in allen Richtungen wogen – verändert jeweils das Bild. Besonders kritisch ist die Erscheinung unter Jackets: meist vierbeinigen Gittermasttürmen unter Wasser. Hier kann Kolk in mehreren Richtungen entstehen. Um genauere Klarheit zu bekommen, baut das Institut bis 2023 den großen Wellenkanal aus. Das 300 Meter lange Bauwerk im 1:10-Maßstab soll künftig nicht mehr nur zwei Meter hohe Wellen erzeugen, sondern 2,7 Meter hohe Wellen – um Spitzenwellenereignisse von 27 Metern abzudecken. Auch die Gleichzeitigkeit von Strömungen, Wellen sowie Ebbe und Flut soll der Kanal künftig simulieren, um die Einwirkung auf 1:10-Fundamentmodelle zu messen.

Die Ingenieure Rasmus Eichstädt und Alexander Raba vom Institut für Stahlbau erklärten aus ihren Arbeiten, wie sich die Alterung und die Gefährdung des Materials messen lässt: Sie suchen nach den richtigen Formeln, um die Zermürbung zu messen. Ihre Aufmerksamkeit gilt den Stahlbolzen zum Verschrauben von Turmsegmenten aufeinander und der Turmfüße im Beton-Fundament sowie dem Zement, Grout genannt, mit dem die Branche beispielsweise Fundament und Turbinenturm ineinander verklebt. Schließlich erklärte die IFB-Mitarbeiterin und Ingenieurin Nadja Oneschkow, wie weit die mathematische Berechnung darin ist, die maximale Belastung vor einem Bruch oder einem Zerbröseln speziell des Grouts herauszufinden. Diese Belastung muss kennen, wer Turm- und Schraubendicken sowie Grout-Volumen reduzieren will.

Die Professoren Steffen Marx vom Institut für Massivbau und Raimund Rolfes vom Institut für Statik und Dynamik hatten zuvor den Zuhörern in ihren jeweiligen Vorträgen erklärt, wie Bauteilversuche mit hohen Lastwechseln sowie die Forschung an neuen Hybridwerkstoffen die Belastbarkeit von Komponenten erhöhen kann. Beispielsweise erforscht die Universität in Hannover mit Projekten wie dem gerade beendeten Forschungsvorhaben Lenah und dem Nachfolgeprojekt Hannah die Kombination von Nano-Strukturen und Metall-Laminaten mit dem klassischen Glasfaserkunststoffmaterial in Rotorblättern.