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Kommentar Siemens-Rotorblattfertigung in Hull

Ein europäischer Standort

Das mitschwingende Bedauern in einigen der Windenergie nahe stehenden Medien über die neue Investitionsentscheidung von Siemens für Großbritannien ist nachvollziehbar. Doch führt die schon in der Siemens-Pressemitteilung gelegte Neid-Spur in die Irre. Und im aufgeheizten öffentlichen Diskurs während der Novellierung des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes könnte sie auch gegen die Windkraft umschlagen.

Was war passiert? Anfang der Woche hatte Windenergieanlagenhersteller Siemens seine Pläne zum Bau einer Rotorblattfabrik für die getriebelose Sechs-Megawatt-Anlage in Großbritannien bestätigt. Per Pressemitteilung kündigte das Unternehmen eine Investition von 190 Millionen Euro in 1.000 Arbeitsplätze am Hafenstandort Hull an. „Die Energiewende passiert – im Ausland“ schrieb daraufhin die Wochenzeitung Die Zeit wehmütig. Verbunden war das Bedauern mit dem Verweis auf die weiterhin unklare politische Unterstützung des Offshore-Windenergieausbaus in Deutschland. Diese Unklarheit rege die Branche zu großen Investitionen außerhalb des führenden Energiewendelandes an, insinuierte die Wochenzeitung. Die Energie-Wirtschaftsmagazin Bizz Energy Today blies ins gleiche Horn. Beide stützten sich auf ein Zitat der Siemens-Führung, das durchaus als wohlgemeinter Seitenhieb gegen die von der Bundesregierung wenig investorenfreundlich geführte EEG-Debatte interpretiert werden darf. „Die britische Energiepolitik schafft klare Rahmenbedingungen zum Ausbau der Offshore-Windenergie“, hatte der CEO für den Siemens-Energiesektor, Michael Süß, zur Standortwahl kommentiert.

Bedauern nur bei unrealistischen Zukunftswünschen

Doch Bedauern ist hier höchstens bei Marktteilnehmern angesagt, die wie Siemens oder auch konkurrierende Offshore-Zulieferer à la Areva Wind oder Senvion liebend gerne überall in Europa ein so gutes Meereswindgeschäft sehen würden, wie in Großbritannien. Am liebsten würden sie dann wohl Turbinenfertigungen und Rotorblattproduktionsstätten in gleich mehreren Ländern betreiben und auch mit großen Auftragsvolumen aus allen Standortländern auslasten können.

Doch über dieses aus der Siemens-Presseabteilung wohlmeinend gereichte Argumentationsstöckchen zu springen hieße, eine Grundvoraussetzung einer künftig wettbewerbsfähigen Zukunftsbranche zu übersehen. Denn natürlich ist die moderne Windkraft längst kein nationales Geschäft mehr und darf es auch nicht sein. Wie in etablierten längst hochwettbewerbsfähigen Industrien müssen die Unternehmen bekanntlich dort ihre Fertigungen errichten, wo das Geschäft am meisten Potenzial hat. Oder dort, wo die Fertigung logistisch sich am preisgünstigsten und sichersten einbinden lässt. Das ist zum Beispiel auch in der Automobilbranche oder im Maschinenbau so. Da zählen langfristige Trends mehr als kurzfristige Motivationsschübe durch ein vielleicht noch in den nächsten Monaten mit Bonbons für die Offshore-Industrie nachgebesserte EEG-Novelle. Und Investoren sowie Branchenberater verlangen ja auch genau dies: die Unternehmen müssen derzeit Überkapazitäten abbauen und sich auf Fertigungen in wenigen aber dafür den richtigen Kernmärkten konzentrieren. So müssen die Unternehmen künftig ihre Fabriken kosteneffizient auslasten.

Auch Deutschland profitiert

Jüngere Investitionen in deutsche Standorte zeigen, dass es auch Deutschland nutzt: Enercons Bau eines neuen Flügelwerks sowie eines Innovationszentrums für Forschung amp; Entwicklung in Aurich oder Vestas´ Festlegung von vor zwei Jahren auf den Ausbau des Flügelwerks im sächsischen Lauchhammer für den Bau der Rotorflügel der sehr erfolgreichen Binnenlandanlage V112. Denn anders als bei Offshore ist Deutschland beim Ausbau im windschwachen Binnenland weltweit führend. Offshore hat Großbritannien den Schwerpunkt schon lange auf die Meereswindkraft gelegt und liegt dort vorn. Fazit: Wenn das Prinzip in Europa verteilter Fertigungsorte funktioniert, ist das auch für die Arbeitsplätze und Umsätze der deutschen Unternehmen gut. Dass da auch mal Unternehmen bis zu einer konkreten Entscheidung über die neue Gestalt des EEG ihre Investitionsentscheidungen für Deutschland zurückstellen, ist ein anderes Thema.

Im Gegenteil birgt die Verknüpfung einer Standortentscheidung für das Ausland mit der deutschen Politik sogar eine Gefahr. Willkürlich und leichthändig ließe sich das Argument auch umdrehen: Da wurden in Deutschland mit dem EEG bisher so viel Subventionen gezahlt – und die Turbinenbauer schaffen die Arbeitsplätze im Ausland. Das EEG sei eben nicht effektiv, ließe sich polemisieren. Es wäre nicht die erste argumentatorische Piruette dieser Art im deutschen Energiediskurs. Fast müsste man den deutschen Windenergieverbänden den Rat geben, den Schritt von Siemens als Erfolg der Meereswindkraft insgesamt zu loben, die trotz wechselhafter Bedingungen in Europa weiter in die Zukunft investiert.

(Tilman Weber)

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