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Rotorblätter nachhaltig vor Erosion schützen

Rotorblätter einer Windenergieanlage sind extremen Belastungen ausgesetzt, da sie mit Blattspitzen-Geschwindigkeiten von bis zu 300 Kilometer pro Stunde rotieren. Bei diesen Geschwindigkeiten können selbst kleine Partikel wie Regentropfen oder Sand erhebliche Schäden verursachen. Hinzu kommt eine unvermeidbare, mitunter starke UV-bedingte Beanspruchung. Erosion manifestiert sich ausgehend von der Vorderkante der Blätter in Form von Abnutzung, Rissen oder Materialverlust, was die Lebensdauer der Blätter verkürzt, deren Aerodynamik beeinträchtigt und Wartungsaufwand sowie -kosten erhöht. Aus diesen Gründen arbeitet das Fraunhofer IFAM an innovativen funktionellen Beschichtungs- und Reparaturlösungen, um Rotorblätter nachhaltig zu schützen und die Effizienz von Windkraftanlagen zu erhalten beziehungsweise zu steigern.

Zum Schutz der Vorderkanten werden häufig Elastomere, also formfeste, elastisch verformbare Kunststoffe eingesetzt. Diese widerstandsfähigen Materialien werden in Form von Lack-, Folien- oder Kappenlösungen aufgebracht. Zumeist basierend auf der Stoffklasse der Polyurethane, sollen diese die Energie der auftreffenden Tropfen bzw. Partikel absorbieren und Schäden an den Blattstrukturen, welche in der Regel aus Glasfaser-verstärktem Kunststoff bestehen, verhindern.

Im Rahmen des von der Europäischen Union geförderten Projekts Carbo4Power wurde am IFAM zunächst nach Lackmaterialien gesucht, die vergleichbare Eigenschaften aufweisen wie kommerzielle Erosionsschutzfolien. Die Idee hierbei war, den Auftrag des Erosionsschutzes auf die Vorderkantengeometrie der Rotorblätter zu vereinfachen, da Lacke auf gekrümmten Oberflächen gespritzt oder gerollt werden können. Für die neu entwickelten Materialien stand beim Projektpartner ORE Catapult in England ein Rotationsteststand zur Verfügung, auf dem die Regenerosionsstabilität getestet wurde. Das Ergebnis dabei war eindeutig: Polyaspartat-basierte Beschichtungen zeigten für die Gruppe der Polymere die höchste Beständigkeit. Die Abbildung 1 zeigt ein Beispiel: Materialversagen auf Probe 1 und keinerlei Beschädigungen nach 25 Stunden Testdauer auf den Proben 2 und 3.

Bereits bei der Herstellung der Lacke sind geeignete Prozesse zur Stabilisierung der Rohstoffe zu definieren.

Mit diesem positiven Rückenwind begann die Entwicklung selbstregenerierender Beschichtungen. Ziel war, bereits mikroskopisch kleine Oberflächendefekte zu schließen, bevor diese Startpunkte für größere Schäden werden. Helfen soll dabei eine chemische Komponente, mit der eine intrinsische, also eine im Material stattfindende Reaktion verbunden ist. Nach einer Beschädigung und dem Bruch von kovalenten Bindungen im Material erlaubt die chemische Struktur die Ausbildung eines verstärkenden Netzwerks. Die neuen Bindungen basieren auf Wasser­stoffbrücken. Sie sind zwar schwächer als kovalente Bindungen, dafür weisen sie jedoch den Vorteil der vollständigen Reversibilität auf: nach Ein­treten eines Schadens organisiert sich unter geeigne­ten Rahmenbedingungen das Netzwerk neu, wodurch der Schaden gemindert wird oder sogar vollständig verschwindet. Die lichtmikroskopischen Aufnahmen geben hierzu einen Eindruck (Abbildung 2, rechts).

Einflussfaktoren für Erosionsstabilität

Die Arbeiten an den Lackformulierungen machten außerdem deutlich, dass viele weitere Faktoren die Erosionsstabilität maßgeblich beeinflussen. Bereits bei der Herstellung der Lacke sind geeignete Prozesse zur Dispergierung und Stabilisierung der Rohstoffe zu definieren, um die gewünschte Performance zu erreichen. Dies kann bei etablierten Lackproduzenten gewährleistet werden. Weitaus komplexer jedoch sind die Applikationstechnik und die Ausführung des Gesamtschichtaufbaus, da insbesondere die Haftfestigkeit eine bestimmende Rolle spielt. Zu unterscheiden sind Beschichtungen „ab Werk“, welche unter definierten Bedingungen erfolgen können und Reparaturbeschichtungen „im Feld“. Diese müssen auch unter widrigen Bedingungen präzise erfolgen können, um neben homogenen Lackschichtdicken eine möglichst hohe Oberflächenqualität zu gewährleisten. Am Fraunhofer IFAM werden hierzu im Verbundprojekt Marilep sowohl unterschiedliche Beschichtungsaufbauten untersucht als auch nachhaltige Reparaturkonzepte entwickelt. Der innovative Grundgedanke hierbei ist, die beschädigte Blattvorderkannte in Analogie zu einer Schürfwunde der menschlichen Haut zu behandeln: mit einem „Blattvorderkanten-Pflaster”. Da im Unterschied zur Haut nicht mit einem Heilungsprozess zu rechnen ist, muss dieses Pflaster langzeitstabil die aufgetretenen Schäden abdecken und die volle Funktionsfähigkeit des Rotorblatts wiederherstellen. Materialtechnisch betrachtet handelt es sich bei dem Pflaster um ein mehrlagiges polymeres Halbzeug, das in verschiedene funktionelle Bereiche eingeteilt ist und sich auf die dreidimensionale Krümmung der Vorderkante drapieren lässt. Neben diesen material- und fertigungstechnischen Aspekten widmet sich Marilep besonders der Aufklärung von Alterungs- und Degradationsphänomenen durch Umwelteinflüsse (zum Beispiel UV-Exposition).

Energieeffizienz steigern

Insgesamt spielt die Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Beschichtungen eine zentrale Rolle. Dies betrifft einerseits die Langlebigkeit der Rotorblätter: hochwertige, leistungsfähige Beschichtungen verlängern deren Lebensdauer erheblich, wodurch sich Wartungszyklen verlängern und der Wartungs­aufwand reduziert wird. Zudem ergibt sich ein insgesamt reduzierter Materialverbrauch, da der Bedarf an Reparaturmaterialien gesenkt wird. Umweltfreundliche Beschichtungsmaterialien, bei­spielsweise mit geringeren Lösemittelgehalten, biobasierenden Anteilen oder ohne den Zusatz von persistenten fluorhaltigen Komponenten (früher oft als Tenside oder Oberflächenadditive eingesetzt) helfen zusätzlich, Umweltbelastungen zu minimieren. Außerdem wird die Energieeffizienz von Windkraftanlagen gesteigert: durch die Aufrechterhaltung der aerodynamischen Eigenschaften der Rotorblätter bleiben die Energieausbeuten hoch, was die Gesamtbilanz der erneuerbaren Energien zusätzlich verbessert.

Foto: Fraunhofer IFAM

Abbildung 2: Probenoberfläche direkt nach Rotationstest (oben): Oberfläche ist mikroskopisch angeraut, diffuse Reflektion der Lichtquelle (helle Bereiche)
Probenoberfläche nach Selbstregeneration (unten): Oberfläche ist deutlich geglättet, schärfere Kanten der hellen Bereiche; Anzahl der mikroskopischen Defekte stark reduziert

Autoren:

Nadine Rehfeld,
Gruppenleiterin ­Funktionslacke ­Außenanwendungen

Foto: Fraunhofer IFAM

Claus Schreiner,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, ­Funktionslacke Außen­anwendungen, beide Fraunhofer IFAM

Foto: Fraunhofer IFAM

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