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Herr Körnig, kann der Aufbau einer Solarindustrie in Deutschland gelingen?

Wann macht eine Solarfertigung in Deutschland oder Europa Sinn?

Carsten Körnig: Deutschland will in nur zehn Jahren den Photovoltaik-Anteil an der Stromerzeugung von derzeit rund 10 auf rund 30 Prozent verdreifachen. Immer mehr andere europäische Länder setzen sich ähnlich ambitionierte Ziele. Aus Gründen der Resilienz und geopolitischer Einsicht ist es geboten, Europas Energiewende im Bereich der Lieferketten künftig breiter aufzustellen.

Lieferbeziehungen sollten diversifiziert werden und der Wiederauf- und Ausbau einer starken Solarindustrie in Europa beherzt angegangen werden. Nur so kann Europa beim Klimaschutz weiter vorangehen und auch die ökonomischen Früchte neuer Energiewende-Technologien ernten und nicht anderen überlassen. Der Aufbau einer sicheren industriellen Grundversorgung entlang der gesamten solartechnischen Wertschöpfungskette, vom Maschinenbau über die Wafer, Wechselrichter bis hin zum Solarmodul ist von gesamteuropäischem Interesse.

Der Bundesverband Solarwirtschaft begrüßt, dass der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck diese wichtige Aufgabe vorantreiben will. Mit dem jüngst gestarteten Interessenbekundungsverfahren für die Finanzierung von Solar-Giga-Fab-Leuchtturmprojekten wurde eine erste konkrete Maßnahme in die Wege geleitet, der hoffentlich bald weitere industriepolitische Aktivitäten folgen werden.

Wie schützt man sich davor, dass statt der europäischen Produkte billige Produkte aus China gekauft werden?

Carsten Körnig: Um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Solaranbieter im harten globalen Standortwettbewerb zu stärken und Skalierungsnachteile bei der Fertigung bis zum Aufbau eigener Kapazitäten im Multigigawattmaßstab zu überbrücken, bedarf es eines ganzen Bündels an industriepolitischen Maßnahmen. Neben Angeboten zur Capex-Förderung empfiehlt der BSW, mit Hilfe sogenannter Resilienz-Boni und -auktionen künftig in einem gewissen Umfang PV-Systeme aus europäischer Fertigung gezielt zu fördern. Im Rahmen des Net-Zero Industry Act hat sich die EU-Kommission zum Ziel gesetzt, dass künftig möglichst 40 Prozent des Bedarfs wichtiger Solarkomponenten aus europäischer Wertschöpfung stammen sollen. Wir empfehlen darüber hinaus die Stärkung der Finanzierungsbasis bzw. des Kapitalzugangs potenzieller Investoren mittels zeitlich befristeter Hybridkapitalbeteiligungen an Solarunternehmen. Um auch einen erfolgreichen Wiederaufbau bzw. -ausbau einer Polysilizium-, Ingot- und Waferproduktion am Standort Europa zu ermöglichen, bedarf es ferner der Einführung eines Industriestrompreises.

Mittels einer klugen Ausbalancierung derartiger Maßnahmen sollte zugleich aber ein globaler Protektionismus-Wettbewerb vermieden werden. Deutschlands Energiepolitik und Solarwirtschaft eint das Interesse, nicht nur an einer Stärkung der eigenen solaren Wertschöpfungsketten interessiert zu sein, sondern auch an guten und möglichst barrierearme internationale Handelsbeziehungen.

Muss man in Europa eine Technologie produzieren, die 20 Prozent besser ist als chinesische Technologie?

Carsten Körnig: Eine Renaissance der Solarindustrie in Europa kann nachhaltig nur gelingen, wenn die hier ansässigen Hersteller auch im Bereich Forschung & Entwicklung und bei der schnellen und effizienten Umsetzung in den großtechnischen Fertigungsmaßstab weltweit in der ersten Liga mitspielen können. Vor diesem Hintergrund sollte auch die Bereitstellung hinreichender Forschungsmittel für Forschungsinstitute und Bildungseinrichtungen ein elementarer Bestandteil einer erfolgreichen Industriestrategie sein.

Wie wird sich der europäische Markt entwickeln? Worauf kommt es jetzt an?

Carsten Körnig: Um den Wiederaufbau einer im Multi-Gigawatt-Maßstab skalierbaren Solarindustrie in Europa entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu ermöglichen, bedarf es eines kraftvollen und zugleich smarten energie- und industriepolitischen Maßnahmenpaketes seitens der EU und der Bundesregierung. Dieses muss im Wettbewerb mit den teils sehr großzügigen Programmen anderer Länder wie z.B. China, den USA und Indien bestehen und die Investitionsbedingungen für die Ansiedlung und Skalierung von Solarfabriken in Deutschland und Europa deutlich verbessern. Unverzichtbarer Standortfaktor für eine wieder erstarkende Solarindustrie in Europa ist dabei auch ein verlässlich wachsender, qualitätsbewusster und bürokratiearmer solarer Heimatmarkt. Für die Renaissance der Solarindustrie in Europa brauchen wir also gewissermaßen einen energie- und industriepolitischen Doppel-Wumms!

Welche Bedeutung hat das IRA der USA für Europa?

Carsten Körnig: Setzt Europa dem U.S. Inflation Reduction Act und ähnlichen asiatischen Initiativen jetzt nicht ein industriepolitisches Power-Paket entgegen, so drohen Energiewende-Investitionen im mehrstelligen Milliardenbereich an Europa vorbeizugehen. Einseitig auf den eigenen Vorteil bedachte Subventions- und Handelspraktiken globaler Wettbewerber müssten jetzt schnell politisch beantwortet und in angemessener Form ausgeglichen werden, damit sie sich nicht zum Nachteil des Industriestandortes Europa auswirken.