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Leiterseilmonitoring

Die Energiewende in Deutschland stellt die deutschen Übertragungs- und Verteilnetze vor stetig wachsende Herausforderungen. Neben dem oft langwierigen Neubau und Ersatzneubau von Freileitungen muss auch das Bestandsnetz einen Teil der steigenden Lasten tragen. Um die Kapazitäten des Bestandsnetzes zu optimieren, bietet es sich an, die Stromtragfähigkeit der Leiterseile heraufzusetzen, die insbesondere mit der Leitertemperatur zusammenhängt. Dies hat den Vorteil, dass keine wesentlichen Maßnahmen im Bereich der Maste oder gar der Trasse notwendig werden, welche ein langwieriges Genehmigungsverfahren nach sich zögen. Sowohl Hochtemperaturleiter als auch der ressourcenschonende „Witterungsabhängige Freileitungsbetrieb“ WAFB bieten signifikantes Potenzial zur Erhöhung von Übertragungskapazitäten. Die Voraussetzung hierfür: Ein umfassendes und kontinuierliches Monitoring sowohl der Betriebsparameter als auch des Zustands des Bestandsnetzes und seiner Komponenten. Die Praxis zeigt, dass innovative technische Lösungen, von der Helikopterbefliegung bis zum Laserscan, dieses umfassende Monitoring leisten können. Dabei dient es nicht nur der Optimierung der Stromtragfähigkeit, sondern auch dazu, die Instandhaltung der Bestandsnetze möglichst präventiv durchzuführen – bevor es zu Ausfällen kommt – und damit den Netzbetrieb sicherer zu machen.

Doppelte Stromtragfähigkeit

Die Neubeseilung einer Bestandsleitung mit speziellen Leiterseilen ist ein Ansatz, um die Stromtragfähigkeit zu erhöhen. Gegenüber den meist vorhandenen Standard-Leiterseilen mit einem Kern aus Stahl und elektrischem Rein-Aluminium als Leitmaterial, die auf 80 Grad Celsius Dauerbetriebstemperatur limitiert sind, bestehen so genannte Hochtemperatur-Leiterseile mit geringer Durchhangszunahme in der Regel aus temperaturbeständigen Aluminium-Zirkonium-Legierungen und einem hochfesten Kern mit geringem thermischem Ausdehnungskoeffizienten. Bei maximalen Leitertemperaturen von über 200 Grad Celsius ergibt sich mit ihrem Einsatz eine doppelt so hohe Stromtragfähigkeit. Die Kosten für die speziellen Leiterseile sind im Vergleich zur Errichtung einer neuen Trasse wesentlich geringer.

Witterungsabhängiger Freileitungsbetrieb

Der zweite Ansatz besteht im WAFB. Dabei wird der Betriebsstrom einer Leitung in Abhängigkeit von Witterungsbedingungen über seinen Nennstrom oder seine Dauerstrombelastbarkeit hinaus heraufgesetzt, ohne dass sich der Leiter unzulässig stark erwärmt. Zugleich dürfen die normativ festgelegten elektrischen Abstände in den Spannfeldern zwischen den Masten natürlich nicht unterschritten werden. Konkret bedeutet das zum Beispiel: Beträgt die Umgebungstemperatur null Grad, kann die Stromtragfähigkeit der Leiter aufgrund des Kühlungseffektes der Umgebung um circa 35 Prozent erhöht werden. Bereits bei moderaten Windgeschwindigkeiten von zehn Meter pro Sekunde lässt sich eine Verdopplung der Strombelastbarkeit erreichten.

Gegenwärtig wird der WAFB vielerorts implementiert und evaluiert, wie dieser Ansatz in der Fläche eingesetzt werden kann. Die Evaluierung umfasst auch Sensorik, lokale Wettermesstechnik und -Vorhersage sowie Leit- und Steuerungstechnik.

Strombelastbarkeit des Leiters Al/St 185/30 in Abhängigkeit der Umgebungstemperatur.

Foto: SPIE

Strombelastbarkeit des Leiters Al/St 185/30 in Abhängigkeit der Umgebungstemperatur.
Strombelastbarkeit des Leiters Al/St 185/30 in Abhängigkeit der leiternormalen Windgeschwindigkeit.

Foto: SPIE

Strombelastbarkeit des Leiters Al/St 185/30 in Abhängigkeit der leiternormalen Windgeschwindigkeit.

Hohe statistische Zuverlässigkeit

Die auf diese Weise mögliche Erhöhung der Stromtragfähigkeit ist von den Umgebungsbedingungen abhängig und daher zeitlich variabel. Jedoch kann zumindest (jahres-)zeitlich abhängig ein Minimalpotenzial mit hoher statistischer Zuverlässigkeit beziffert werden. Bei der Anbindung lokaler Windparks zum Beispiel ist die Korrelation zwischen Energieerzeugung beziehungsweise Übertragungsbedarf und dem kühlenden Effekt des Windes auf die Leiter offensichtlich.

Um in Deutschland WAFB durchzuführen, müssen zum einen die Witterungsbedingungen prognostiziert, gemessen oder mittels einer probabilistischen Betrachtung regional aufgezeichneter Umgebungsvariablen dargestellt werden. Zum anderen muss die Eignung sämtlicher elektrischer Betriebsmittel für die angestrebten höheren Ströme nachgewiesen werden. Dies umfasst sowohl eine geeignete Analyse des Bestandes als auch des Zustands sämtlicher Anlagenteile. Im Spie-Versuchs- und -Technologiezentrum arbeiten wir deshalb stetig daran, neue Lösungen und Technologien zu entwickeln, die bei der Zustandsbewertung der Komponenten unterstützen.

Eine effiziente Erfassungs- und Inspektionsmethode der Freileitungskomponenten, die sich in der Praxis bewährt hat, ist die Befliegung mittels Helikopter. Die Kombination verschiedener Sensoren und Detektoren in Zusammenspiel mit erfahrenen Freileitungsspezialist:innen gewährleistet die flächendeckende Erfassung und Bewertung des Bestandes in der notwendigen Detailtiefe.

Die optische Begutachtung durch die Expertin / den Experten an Bord oder anschließend mittels hochauflösender Fotografien lässt auch kleinste Schäden an Leiterseilen wie gebrochene Drähte erkennen. Zudem können andere Beeinträchtigungen identifiziert werden, zum Beispiel Fremdkörper oder beschädigte Komponenten, auch wenn sie nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit WAFB stehen.

Foto: SPIE

Temperguss-Konus-Abspannklemme und Thermographie der durch Wirbelströme erhitzten Klemme.

Foto: SPIE

Temperguss-Konus-Abspannklemme und Thermographie der durch Wirbelströme erhitzten Klemme.

KI und Infrarot-Thermographie

Auch genaue Kenntnisse über die verbauten Komponenten, die gerade bei älteren Anlagen wenig vollständig sind, ist für den WAFB unabdingbar. Bei Spie ermitteln wir mit Blick auf höhere Ströme kritische Komponenten beziehungsweise Schwachstellen unter anderem mittels Künstlicher Intelligenz (KI), durch die der Bilderkennungs- sowie der Analyseprozess erleichtert werden kann. Die neueren Entwicklungen in der Drohnentechnologie, die größere Reichweiten und höhere Nutzlasten mit sich bringen, eröffnen zusätzliche Perspektiven.

Mithilfe von Infrarot-Thermographie werden zum Beispiel lokale Hot Spots detektiert, also übermäßig warme Komponenten, die auf einen elektrischen Defekt oder einen systematischen Konstruktionsmangel stromführender Komponenten hinweisen. Gesteigerte Betriebsströme erhöhen zudem die Induktionsströme auf die Erdseile und deren Erdungsverbindungen, so dass auch diese inspiziert werden sollten.

Dreidimensionale Erfassung per Laserscan

Eine oftmals sinnvolle Erweiterung stellt die dreidimensionale Erfassung der Umgebung und der Freileitungskomponenten mittels Laserscan dar (Light Detection and Ranging Lidar). Diese Technik dient vorwiegend der Bestimmung der Abstände zwischen Freileitungskomponenten und Objekten in der Trasse, etwa Vegetation oder Bebauung. Abhängig von den Ergebnissen und Erkenntnissen dieser initialen Inspektion können weitere bodengestützte Untersuchungen mit größerer Detailtiefe oder auch Beprobungen der Komponenten durchgeführt werden. Als besonders kritisch erachtete Komponenten, zum Beispiel Verbinder, sollten aufgrund ihrer anzunehmenden Alterungsprozesse möglichst regelmäßig auf Verschlechterungen hin begutachtet werden.

Auf diese Weise können das Bestandsnetz präventiv gewartet, Ausfälle vermieden und der Netzbetrieb bei durch WAFB optimierter Stromtragfähigkeit sicherer gemacht werden.

Florian Seffrin,
Stellvertretender Leiter Versuchs- und Technologiezentrum, SPIE Deutschland & Zentraleuropa

Foto: SPIE

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