Die Grid-Following-Technologie (GFL) ist eine Art Wechselrichter, der Strom in ein bestehendes Netz einspeist, indem er zunächst die Phase und Frequenz des Netzes über eine Phasenregelschleife (PLL) misst und dann seinen Ausgangsstrom so formt, dass er der Referenz des Netzes entspricht (links und S. 55 oben). Im Gegensatz dazu synthetisieren netzbildende (GFM) Wechselrichter ihre eigene Spannungswellenform intern, sodass sie unabhängig arbeiten oder die Spannung und Frequenz in einem Netz mit geringer oder keiner synchronen Erzeugung herstellen können.
Warum Wechselrichter bei Großspeichern das Netz stützen müssen, wenn es ohne Blackouts in Richtung 100 Prozent Erneuerbare gehen soll.
Nicole Weinhold
Vor grundlegende Herausforderungen stellt der Übergang zu einem vollständig erneuerbaren Energiesystem das Stromnetz. Während konventionelle Kraftwerke mit ihren rotierenden Massen das Netz durch Frequenzträgheit und Spannungshaltung stabilisieren, fehlt diese Eigenschaft bei Photovoltaik-, Wind- und Batteriesystemen. Genau hier setzt die sogenannte Grid-Forming-Technologie an. Beim Webinar „Grid-Forming – Schlüsseltechnologie für 100 Prozent erneuerbare Energien?“, veranstaltet von ERNEUERBARE ENERGIEN in Kooperation mit Huawei Fusionsolar, erläuterte Mohammed Qudaih, CTO von Huawei Fusionsolar Deutschland, einem Onlinepublikum von rund 120 Interessierten, warum diese Technologie zur Voraussetzung einer sicheren und stabilen Stromversorgung werden wird – und wie sie für Betreiber und Projektierer schon heute wirtschaftlich interessant ist.
Vom Blackout zur Blaupause
Ein eindrückliches Beispiel, das Qudaih gleich zu Beginn aufgriff, war der spanische Blackout vor einigen Monaten: In Teilen des Landes brach das Stromnetz zusammen, weil zahlreiche Wechselrichter – „grid-following“, nicht „grid-forming“ konzipiert – der sinkenden Frequenz folgten, statt sie zu stabilisieren. „Netzbildende Wechselrichter hätten den Frequenzabfall gestoppt und das Netz selbstständig gestützt“, erklärte Qudaih.
Während Grid-Following-Wechselrichter eine stabile Netzfrequenz als Referenz benötigen, können Grid-Forming-Systeme selbst Spannung und Frequenz vorgeben. Sie übernehmen klassische Aufgaben konventioneller Generatoren – vom Halten der Netzspannung über Blindleistungsbereitstellung bis zu Schwarzstartfähigkeit. Fürs Gelingen der Energiewende, so Qudaih, ist dies essenziell: Nur wenn die Stromerzeugung aus Großbatteriespeicher, Wind und Sonne netzbildend agiert, lässt sich eine zu 100 Prozent erneuerbare Versorgung stabil betreiben.
Von der Theorie zum Einsatz: Praxiserfahrungen aus Großprojekten
Huawei präsentierte im Webinar eine Reihe von Projekten weltweit, die bereits mit Grid-Forming-Technologie arbeiten – unter anderem den Saudi Arabia Red Sea Microgrid Park mit 400 Megawatt Photovoltaik und 1,3 Gigawattstunden Speicherkapazität oder den Huarun Jipin Power Station in China mit 100 Megawattstunden Batteriespeicher. Alle Projekte durchliefen aufwendig angelegte Tests in unterschiedlichen Netzszenarien, vom starken bis zum extrem schwachen Netz.
Die Tests umfassten Frequenz- und Spannungsschwankungen, simulierte Kurzschlüsse und Schwarzstartszenarien. Qudaih betonte, Huawei habe seine Plant-Level-Grid-Forming-Technologie so weiterentwickelt, dass sie selbst in großen Multi-Megawatt-Anlagen mit mehreren Hundert Wechselrichtern stabil laufe. Auch in Deutschland werde intensiv geforscht und getestet.
Grid-Forming wird das neue Rückgrat der Energienetze.
Deutschland im Wandel: Grid-Forming wird zur Pflicht
Auf regulatorischer Ebene hat sich das Thema längst etabliert. Wie die Präsentation zeigte, hat das VDE/FNN bereits technische Anforderungen und Nachweisverfahren für netzbildende Systeme veröffentlicht. Zudem hat der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz Anfang 2024 – und damit früher als von der Bundesnetzagentur gefordert – einen neuen Markt zur marktgestützten Beschaffung von Blindleistung eingeführt.
„Damit beginnt die Phase, in der netzbildende Systeme nicht nur ein Muss, sondern ein lohnendes Geschäftsmodell werden“, erklärte Qudaih. Große Batteriespeicher können künftig Erlöse aus Systemdienstleistungen erzielen, indem sie Spannung und Frequenz aktiv stabilisieren. Diese Markteinführung sei auch ein Signal an Projektentwickler, die netzbildenden Eigenschaften schon in der Planungsphase zu berücksichtigen.
Fachdialog und Ausblick: Wann dominiert Grid-Forming das Netz?
In einer abschließenden Diskussionsrunde wurden die Teilnehmenden gefragt, wann Grid-Forming ihrer Einschätzung nach eine Schlüsselrolle im Übertragungsnetz spielen wird. Die Meinungen reichten von „in weniger als fünf Jahren“ bis „in ein bis zwei Jahrzehnten“. Die meisten waren aber überzeugt, dass das Thema in den nächsten fünf Jahren relevant wird. Einigkeit herrschte darüber, dass kein Weg mehr an der Technologie vorbeiführt.
Qudaih fasste zusammen: „Grid-Forming ist keine Option mehr. Es ist der technische und wirtschaftliche Schlüssel für die Energiewende.“ Der nächste Schritt bestehe darin, Standards zu harmonisieren, Kosten für Hochleistungs-Wechselrichter weiter zu senken und die Praxiserfahrungen aus Projekten weltweit in nationale Umsetzungspläne einzubringen. Das Webinar machte deutlich, dass Grid-Forming die Voraussetzung für eine stabile, erneuerbare Energiewelt bildet. Technologisch ausgereift, regulatorisch definiert und zunehmend wirtschaftlich attraktiv, tritt die Technologie gerade in die Phase breiter Anwendung ein.
Mit der Kombination aus Speichertechnologien, neuen Marktmechanismen und klaren technischen Vorgaben entsteht ein neues Kapitel in der Netzstabilität – eines, in dem digitale Algorithmen und leistungselektronische Systeme die Rolle übernehmen, die einst große Generatoren spielten.
„Grid-Forming wird das neue Rückgrat der Energienetze“, resümierte Mohammed Qudaih – und fasste damit die Stimmung des Webinars perfekt zusammen.
Netzfolgende Wechselrichter (GFL) synchronisieren ihre Leistung mit der Netzspannung und -frequenz. Sie sind auf das Netz angewiesen, um eine stabile Spannungs- und Frequenzreferenz bereitzustellen. Bei Netzstörungen oder -ausfällen können sie keine Spannungs- oder Frequenzunterstützung bieten.
Netzfolgende Wechselrichter können nicht alle Systemdienstleistungen erbringen. Sie sind kostengünstiger als netzbildende Wechselrichter.
Netzfolgende Wechselrichter umgehen einige der technischen Herausforderungen und regulatorischen Hindernisse, mit denen netzbildende Wechselrichter konfrontiert sind.
Netzbildende Wechselrichter:
Netzbildende Wechselrichter (GFM) können die Netzspannung erzeugen und regulieren. Sie können unabhängig oder in Abstimmung mit anderen Stromerzeugungsquellen betrieben werden. Sie können das Netz bei Störungen oder Ausfällen mit Spannung und Frequenz unterstützen.
Netzbildende Wechselrichter können verschiedene Systemdienstleistungen für das Netz bereitstellen wie Trägheit (Momentanreserve), Spannungs- und Frequenzregelung. Diese sind komplex und teuer. Sie können eine schnellere Leistungssteuerung und Reaktion erzielen als netzfolgende Wechselrichter.
GFM synthetisieren eigene Spannungswellenform intern
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