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So kommt die Wärme in den Winter

Katharina Wolf

Höhe: 45 Meter. Durchmesser: 43 Meter. 56 Millionen Liter Fassungsvermögen. In Berlin-Spandau füllt sich derzeit Deutschlands größter Warmwasserspeicher. Zu Weihnachten soll er voll sein, Anfang 2023 in Betrieb gehen und einen wichtigen Beitrag zur klimaneutralen Fernwärmeversorgung liefern. Denn die aufgenommene Energie stammt in erster Linie aus Europas größter Power-to-Heat-Anlage, die überschüssigen Wind- oder Sonnenstrom in Wärme umwandelt und wie der Speicher auf dem Kraftwerksgelände Reuter West steht. Vattenfall hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu sein. Ein zentraler Punkt ist dabei die Dekarbonisierung der städtischen Wärmeversorgung.

„Wir können bei einer thermischen Leistung von 200 Megawatt 13 Stunden lang Wärme liefern“, beschreibt Jornt Spijksma, Projektleiter Heat Storage bei Vattenfall, die Dimensionen. Der Speicher soll sich allerdings nicht komplett entleeren und dann wieder aufheizen, sondern täglich teilweise be- und entladen werden, um Verbrauchsspitzen abzufangen oder aufzunehmen.

„Thermische Speicher sind ein wichtiger Baustein der Energiewende.“

Stefan Gschwander, Fraunhofer ISE

Europas größte Power-to-Heat-Anlage

Vattenfall betreibt sowohl die Power-to-Heat-Anlage als auch den Speicher und versorgt rund 1,3 Millionen Wohneinheiten und damit gut ein Drittel Berlins mit Fernwärme. Der Speicher und die PtH-Anlage seien wichtige Puzzlestücke in diesem komplexen System, das in Berlin noch vor besonderen Herausforderungen stehe, so Spijksma. So heizen die Fernwärmesysteme im Ost- und im Westteil der Stadt auf unterschiedlichen Tempertaturniveaus und unterscheiden sich auch in der Technik.

Technisch sei der Speicher gut beherrschbar – abgesehen von den Herausforderungen, die die Größe mit sich bringt. So senkt sich der Gesamtbau durch die Befüllung um maximal sechs Zentimeter ab. Weitere Warmwasserspeicher sind geplant, um die Energiewende in der Hauptstadt voranzutreiben. Dazu gehört auch die Einbindung von weiteren Wärmelieferanten, indem beispielsweise Abwärme aus Abwasser über Großwärmepumpen konzentriert und ins Stadtwärmenetz eingespeist werden kann.

Denn der Bedarf ist groß: Laut Umweltbundesamt verbraucht Deutschland mehr als die Hälfte der Energie zur Erzeugung von Wärme oder Kälte. „Thermische Speicher sind deshalb ein wichtiger Baustein der Energiewende“, sagt Stefan Gschwander vom Fraunhofer ISE. Wird am Ende thermische Energie benötigt, könne es effektiver und auch günstiger sein, die Wärme zu speichern als den Strom, der später zur Wärme- oder Kälteerzeugung genutzt wird. Schon vielfach im Einsatz sind kleine oder größere Wasserspeicher, die beispielsweise über Solarkollektoren erzeugte Wärme speichern. „Der Nachteil ist, dass solche sensiblen Speicher, bei denen das Speichermedium erwärmt wird, Wärmeverluste haben“, so Gschwander.

Latentwärmespeicher mit Salz oder Zucker

Andere Speicher können da mehr: So nutzen Latentwärmespeicher die Änderung des Aggregatzustands des Speichermaterials, die Temperatur bleibt trotz Energieentzugs lange Zeit konstant. Außerdem verfügen sie über eine höhere Energiedichte als rein sensible Speicher. Geeignete Materialien können Zuckerlösungen, Salze oder Metalllegierungen sein, aber auch wieder: Wasser. „Beim Phasenübergang von Wasser zu Eis wird so viel Kristallisationswärme frei, wie man benötigt, um Wasser von null auf 80 Grad zu erwärmen“, sagt Heiko Lüdemann, Bereichsleiter Eis-Energiespeichersysteme der Viessmann Deutschland GmbH. Diesen Effekt machen sich Eisspeicherheizungen zunutze, die auch große Bürogebäude mit Wärme (und Kälte) versorgen können. Sie verfügen über Zisternen im Boden, in denen vereinfacht gesagt das Wasser per Solarthermie und Umgebungswärme aufgeheizt wird. Bei Bedarf wird dem Wasser die Wärme über ein Wärmetauschersystem entzogen und das Gebäude geheizt.

13 Stunden lang kann Vattenfall nach eigenen Angaben bei einer thermischen Leistung von 200 Megawatt Wärme aus seiner Power-to-Heat-­Anlage in Spandau liefern.

Noch allerdings haben sie sich nicht im Massenmarkt durchgesetzt, und das liege vor allem an den Kosten, so Lüdemann. „Die Investitionskosten liegen 15 bis 20 Prozent über denen einer konventionellen Heizung – das zahlt sich erst auf lange Sicht aus.“ Angesichts steigender Gaspreise könnte dieses Argument allerdings bald an Bedeutung verlieren.

Thermochemische Speicher hingegen nutzen die chemische Bindung zwischen zwei Stoffen zur Wärmespeicherung. „Es gibt unterschiedliche chemische Reaktionen, die man für diesen Zweck nutzen kann“, erklärt Franz Winter vom Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften der TU Wien, das ein patentiertes Verfahren mit Borsäure entwickelt hat. Dabei wird die feste Borsäure mit Öl vermischt und in einem Reaktor - zum Beispiel durch Abwärme in der Industrie – auf eine Temperatur zwischen 70 und 200 Grad Celsius aufgeheizt. Die Hitze löst eine chemische Reaktion aus, die Borsäure reagiert zu Boroxid und Wasser. Die entstandene ölige Boroxid-Suspension könne in Tanks gelagert werden, bis man die Wärme brauche, so Winter. Wird Wasser zugeführt, läuft die chemische Reaktion umgekehrt ab, die gespeicherte Wärme wird wieder freigesetzt. „Damit ist der Kreislauf geschlossen und die Suspension kann ein weiteres Mal verwendet werden“, sagt Winter. „Im Labor haben wir gezeigt, dass auf diese Weise problemlos viele Auf- und Entladungsvorgänge möglich sind.“ Nun soll weitere Forschung folgen, um eine industrielle Anwendung zu ermöglichen.

Forschung an Sorptionsspeichern

Weitere Forschung ist auch nötig, wenn es um Sorptionsspeicher geht, die auf chemischen und physikalischen Wechselwirkungen zwischen zwei Materialien beruhen. Am Fraunhofer FEP hat Heidrun Klostermann an Zeolithmaterialien für Wärmespeicheranwendungen geforscht. Diese nanoporösen kristallinen Alumosilikate können viel Wasser einlagern und setzen dabei Wärme frei. Durch Trocknung werden die Speicher „aufgeladen“, die Zufuhr von Wasserdampf setzt die Wärme wieder frei.

„Attraktiv ist, dass der Prozess beliebig oft wiederholt werden kann, es keine Wärmeverluste gibt und die Wärme theoretisch beliebig lange gespeichert werden kann“, so Klostermann. Aber während das Material unproblematisch ist – Zeolithe sind ungiftig und werden schon jetzt in der Industrie eingesetzt –, ist der Aufbau eines Speichersystems eine komplexe Angelegenheit. „Ein Problem ist die niedrige Wärmeleitfähigkeit, die hinderlich für einen guten Wärmeaustausch ist“, so Klostermann. Sie entwickelte ein Verfahren, bei dem das Zeolith-Granulat mit Aluminium beschichtet wird, um das Problem zu lösen. Andere Fragen sind noch offen: „Anders als Wasser, das sich selbst nach Temperatur schichtet, ist das bei Zeolithen nicht so einfach“, nennt Klostermann ein Beispiel. „Man muss es schaffen, Wärme- und Stoffströme im gesamten Speichermaterial gut zu steuern, um effektiv Nutzwärme ableiten zu können oder das Material vollständig zu regenerieren.“

„Grundsätzlich sind Systeme aus Sorptionsspeichern deutlich komplexer als die sensiblen oder Latentwärmespeicher“, sagt Stefan Gschwander vom Fraunhofer ISE. „Sie wirtschaftlich zum Beispiel in Wohngebäuden einzusetzen ist eine große Herausforderung. Sie erscheinen eher sinnvoll für Anwendungen in der Industrie.“

Kein Markt für Speicher

Siemens-Gamesa baut Speicher zurück: Mit großem Bahnhof hatte Siemens Gamesa seinen elektrothermischen Speicher 2019 in Hamburg in Betrieb genommen. Nun wird er abgebaut, wie das Unternehmen auf Nachfrage mitteilte. Zwar habe der Demonstrator den Nachweis für die technische Machbarkeit erbracht, doch gebe es keinen kommerziellen Markt für solche Großspeicher. In dem System wurden 1.000 Tonnen Vulkangestein mit Strom aus EE-Anlagen auf 175 Grad geheizt. Bei Bedarf konnte die Wärme über einen herkömmlichen Wasser-Dampf-Kreislauf (1,5-Megawatt-Turbine) wieder in elektrische Energie rückverwandelt werden. Alternativ wäre auch eine direkte Nutzung der gespeicherten Wärme in Industrieprozessen möglich gewesen.

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