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Weißbuch für den künftigen Strommarkt – ein Kommentar

An der Strombörse festgehalten

Nun hat die Bundesregierung ihren Vorschlag auf den Tisch gelegt, wie die Stromversorgung in Zukunft aussehen soll. Immerhin steht auf dem Titel "Ein Strommarkt für die Energiewende". Damit hört aber auch schon die Energiewende der Bundesregierung auf. Denn drin ist etwas ganz anderes als drauf steht. Oberflächlich gesehen wirkt das alles unheimlich fortschrittlich. Denn von der Flexibilisierung und der Öffnung von Regelleistungsmärkte für Speicher ist dort die Rede. Auch die wettbewerbliche Preisbildung und die Nutzung von Preissignale steht als Maßnahme auf dem Plan. Doch insgesamt auf den von der Bundesregierung angedachten Strommarkt 2.0 geschaut, fällt auf, dass er eigentlich für die dezentrale Energiewende gar nicht taugt. Denn es fehlen komplett die regionalen Komponenten. So soll der gesamte Stromhandel und auch der Handel von Flexibilitätsoptionen weiterhin über irgendwelche Börsen abgewickelt werden. Die Bundesregierung will hier der alten Energiewirtschaft die Kontrolle nicht wegnehmen. Statt einen realen Handel mit Grünstromprodukten dort zu ermöglichen, wo der Strom auch produziert wird, soll alles wieder in einen Börsentopf fließen. Dort wird der Grünstrom mit dem aus konventionellen Kraftwerken zusammengeworfen, einmal ordentlich durchgerührt und was übrig bleibt, ist wieder der Graustrom. An dieser Stelle hat sich bei der Bundesregierung noch gar nichts in Richtung einer Energiewende bewegt, die einen solchen Namen auch verdient.

Freie Preisbildung an der Strombörse ist eine Mär

Zumal die freie Preisbildung an der Strombörse auch nur eine Mär, ein Widerspruch in sich ist, der sich weiterhin hartnäckig hält. Denn die Preise an der Börse sind doch jetzt schon mehr als verzerrt. Außerdem haben uralte und schmutzige Technologien gegenüber den neuen und sauberen Technologien einen riesigen Vorteil. Denn die Investitionen in die alten Braunkohlekraftwerke in der Lausitz sind längst abgeschrieben. Sie gehen ausschließlich mit den Brennstoff- und Betriebskosten ins Rennen. Dabei wird aber auch schon wieder der Wettbewerb bei der Preisbildung verzerrt. Denn die deutsche Braunkohle ist hochsubventioniert. Abgesehen davon, dass die Bundesregierung und die Länder Brandenburg und Sachsen viel Geld investieren, nur damit sich riesige Bagger durch die Lausitz wühlen und ganze Landstriche zerstören. Auch die Kosten für die Spätfolgen sind im Braunkohlepreis nicht enthalten. So ist inzwischen die Qualität des Trinkwasser bedroht, weil Technologie zur Sanierung der alten Tagebaue offensichtlich noch in den Kinderschuhen steckt. Dazu kommen natürlich noch die Folgekosten für den Ausstoß von Trreibhausgasen bei der Verbrennung der minderwertigen Braunkohle. Zwar mag sich der Stromkunde darüber freuen, weil dies den Strompreis schön niedrig hält. Dass er aber über die Steuern diese Subventionen wiederum bezahlt, darüber schweigt die Bundesregierung schon lange.

Kein regionaler Grünstrommarkt angedacht

Der Strommarkt 2.0 hat seine Nummerierung auch gar nicht verdient. Denn 2.0 suggeriert immer einen Quantensprung. Diesen hat die Bundesregierung ab noch nicht einmal ansatzweise gewagt. Statt einen regionalen Grünstrommarkt zu realisieren, wie ihn auch die Branchenvertreter von Eurosolar fordern, hält man wieder an einem riesigen Netzausbau fest, der den Transport von Strom über lange Strecken zum Ziel hat. Immerhin sollen die Kosten für den üppigen Netzausbau und den Betrieb dieser riesigen Netze besser verteilt werden. Denn bisher zahlen vor allem diejenigen Stromkunden, in deren Netzgebiet die Erzeugungsanlagen stehen. Viel billiger kommen diejenigen Regionen weg, in denen der Strom verbraucht wird. Diese Schieflage soll nun etwas abgeschwächt werden. Doch bleibt es komplett fraglich, wieso der Stromkunde für ein Netz bezahlt, das er gar nicht nutzt, während der tatsächlich Nutzer eines Netzes nicht die kompletten Kosten übernimmt. Dazu gibt das Weißbuch für den künftigen Strommarkt keine Antwort.

Dabei wäre eine solche Regelung eine der besten Lösungen, um den Strom tatsächlich regional zu verbrauchen. Will tatsächlich in Norddeutschland ein Kunde Strom aus französischen Atomkraftwerken oder schmutzigen Kohlekraftwerken in der Lausitz beziehen, dann soll er auch für den Transport aufkommen. Statt dessen muss der Stromkunde in der Lausitz, der eigentlich regional produzierten Ökostrom beziehen will, für die Netze tief in die Tasche greifen, die nur dazu da sind, den Strom aus dem Südosten in den Nordwesten zu transportieren.

Kapazitätsmarkt durch die Hintertür

Auch mit der Kapazitätsreserve, die vorgehalten werden soll, macht die Bundesregierung wieder nur einen halbherzigen Sprung nach vorn. Denn sie hat noch in den ersten Kapiteln des Weißbuches einem Kapazitätsmarkt eine Absage erteilt, nur um sie unter anderem Namen weiter hinten wieder einzuführen. Denn nichts anderes ist die Kapazitätsreserve, die 80 Seiten weiter hinten wie Kai aus der Kiste wieder auftaucht. Schließlich sollen dies Kraftwerke sein, „die nur dann zum Einsatz kommen wenn es trotz freier Preisbildung am Großhandelsmarkt wider Erwarten einmal nicht zur Deckung von Angebot und Nachfrage kommen sollte“, beschreiben die Autoren des Weißbuches diese Art von Vorhalten von Erzeugungskapazitäten. Der einzige Unterschied zu einem Kapazitätsmarkt ist: Diese Kraftwerke nehmen an „normalen“ Tagen nicht am Stromhandel teil. Doch die Leistungsreserve bleibt ein verkappter Kapazitätsmarkt. Denn die Betreiber solcher Kraftwerke werden ihre Leistungen nicht aus lauter Solidarität bereitstellen. Diese Kraftwerke müssen sich rechnen. Also muss diese Leistungsreserve auch bezahlt und in den Strompreis mit eingerechnet werden. Zudem ist diese Leistungsreserve wieder eine Überlebensgarantie für die uralten konventionellen Kraftwerke. Denn diese Leistungsreserve sollen nicht etwa Speicher abdecken, sondern vor allem die konventionellen Kraftwerke „als Partner der erneuerbaren Energien“. In dieser Rolle werden sie auch die Flexibilität bereitstellen. Auf diese Weise sichert die Bundesregierung das Überleben der alten Braunkohlemeiler.

Regionaler Strommarkt spart teuren Netzausbau

Damit steht sich die Bundesregierung aber selbst im Wege. Würde der regionale Stromhandel ermöglicht, könnte sie sich diese riesigen Kapazitäten sparen. Zudem könnte sie den Netzausbau auf das nötigste reduzieren. Dann müsste die Bundesregierung aber die Bremse bei der Energiewende lösen und unter anderem die Hürden abreißen, die eine Direktvermarktung von Ökostrom vor Ort derzeit behindert. Dann würden nicht nur solche Projekte wie die Versorgung von Mietern in Mehrfamilienhäusern mit Solarstrom vom Dach des Wohnhauses, sondern auch die Versorgung von Gewerbetreibenden mit Strom aus dem Solarpark in der Nachbarschaft – alles ohne riesige Netzkapazitäten beanspruchen zu müssen. Dies würde nicht nur den Netzausbau auf eben dieses Minimum reduzieren, sondern auch die Energiewende wieder voran bringen. Denn dann würden auch Photovoltaikfreiflächenanlagen wieder wirtschaftlich und die Bundesregierung könnte ihren eigenen Zielkorridor auch halten, statt jedes Jahr aufs Neue den anvisierten Zubau zu verfehlen.

Weitere Konsultation im Gange

Doch über genau diese Möglichkeiten schweigt das Weißbuch. Nun soll zumindest bis zum Herbst dieses Jahres noch einmal ein Konsultationsverfahren eingeleitet werden. Jeder kann sich zum Weißbuch äußern. Doch ob das viel nützt, bleibt fraglich. Wenn man sich die Konsultationen in der Vergangenheit anschaut, wird klar, dass alternative Vorschläge komplett ignoriert werden – wider besseren Wissens. Denn im Vorfeld der EEG-Novelle im vergangenen Jahr haben die Branchen davor gewarnt, dass es zum Zusammenbruch der Märkte kommen wird. Die Bundesregierung hat sich aber stur gestellt und steht nur vor dem Scherbenhaufen, dass der Zubau von Photovoltaikanlagen noch nicht einmal die Hälfte des anvisierten Wertes erreicht, der Bau von Biogasanlagen fast vollständig zum Erliegen gekommen ist und auch die Windkraft an Land in den ersten sechs Monaten dieses Jahres üppig an Federn lassen musste. Auch im zweiten Konsultationsverfahren hat die Bundesregierung die Warnungen der Branche nicht ernst genommen. Denn diese haben immer wieder prophezeit, dass die Ausschreibung von Freiflächenanlagen die Ausbau von Solarparks zwar deckeln, aber im Gegenzug den Strom aus solchen Anlagen verteuern wird. Prompt lag die durchschnittlich Marktprämie weit über der eigentlichen Einspeisevergütung aus dem EEG.

Man mag sich nun fragen, ob die Bundesregierung die Energiewende derzeit komplett stümperhaft angeht oder ab sie tatsächlich die Pfründe der alten Energiewirtschaft retten will – jetzt wieder mit einem Strommarkt 2.0. Doch gleichgültig, ob man ihr Versagen oder Absicht unterstellt, die Bundesregierung kommt nicht gut weg, wenn es darum geht, ihre Energiepolitik zu bewerten. Das hat sie einmal mehr mit dem jetzt veröffentlichten Weißbuch gezeigt. (Sven Ullrich)