Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Kommentar

Energiewende-Aus- oder neue Klimaaußenpolitik?

Die von der neuen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock vor und in den ersten Wochen nach ihrem Dienstantritt angedeuteten Konturen einer neuartigen Klimaaußenpolitik mögen Hoffnung geweckt haben. Da waren die Berufung der bisherigen Chefin der weltweit geachteten Umweltschutzorganisation Greenpeace zur ersten Bundesklimaschutzbeauftragten der Bundesregierung. Oder die Ankündigung, an allen deutschen Botschaften jeweils einen Posten für eine oder einen Klimaschutzdiplomaten einzurichten. Die Vision einer Klimapartnerschaft der Europäischen Union (EU) mit den USA mittels eines gemeinsamen Verrechnungssystems für Gebühren auf klimawandelbeschleunigende Emissionen von Kohlendioxid (CO2). Die Unions-Chefbehörde, die EU-Kommission, teilt diese Vision bereits. Und schließlich das Aufbauen der Ukraine zum Exportland für grünen Wasserstoff, erzeugt mit Wind- und Sonnenstrom, der als emissionsfreier Energieträger hierzulande zum Verkehrstreibstoff oder Industrieprozessmittel wird.   

Und jetzt setzt ausgerechnet Baerbocks Parteifreund von den Grünen und Ministerkollege im Wirtschaftsressort die staatliche Unterstützung der Finanzierung zweier Terminals zum Aufnehmen und Speichern von Flüssiggasexporten durch. Dieses Erdgas muss anders als das bisher Deutschland großenteils versorgende russische Erdgas nicht in Pipelines anfließen, sondern mit viel Energieeinsatz in einen flüssigen Zustand gekühlt und in Schiffen ankommen. Dies soll ganz Europa vom Lieferland Russland abnabeln und dieses nach seinem gewaltsamen Einmarsch in die Ukraine als Kriegsakteur schwächen. Doch Flüssiggas, LNG genannt, ist nicht nur teuer, sondern stammt im Fall beispielsweise der USA aus der besonders umweltschädlichen Frackingförderung – weshalb der Landesverband der Grünen in Schleswig-Holstein, Bundeswirtschaftsminister Robert Habecks gehört ihm an, kürzlich gegen einen entsprechenden Landesantrag gestimmt hatte.  

Außerdem denkt Habeck laut über eine längere Laufzeit der Kohlekraftwerke in Deutschland nach. Zumindest sei es eine Möglichkeit, Kraftwerke nach dem Herunterfahren nicht zu verschrotten, sondern in Reserve zu halten, sagte er am Sonntag im deutschen Fernsehen – um seine eigenen schon weiterreichenden vorherigen Gedanken etwas zurückzunehmen. Ebenso sei in seinem Hause nun eine Prüfung dazu eingeleitet, inwiefern ein längerer Betrieb von Atomkraftwerken in Deutschland hilfreich sei, um schneller aus der Gasnutzung auszusteigen. Die Prüfung werde vermutlich gegen Atomkraftwerke sprechen, deutete Habeck zwar an. Bereits vor einer Woche hatte er aber zu Überlegungen fast eingeladen, dass Deutschland eventuell den Fahrplan zum Abschalten der Kohlekraftwerke bis vielleicht 2030 und spätestens 2038 ändern könne – und das bis Ende 2022 vorgesehene Abschalten der letzten drei Atommeiler nach hinten verschieben solle. Es gebe da „keine Denktabus“ mehr.  

Die harte neue Wirklichkeit der Klimaaußenpolitik ist, dass der Krieg in der Ukraine offenbar fast täglich neue Bekenntnisse der mit Energiepolitik befassten Minister der Ampelregierung verlangt. Sie müssen im Bündnis mit den anderen EU-Ländern und mit den USA immer neue Beiträge liefern, um den militärischen Vorstoß Russlands für den Öl-, Gas- und Kohlelieferanten so schmerzhaft und unattraktiv wie möglich werden zu lassen.

Auch die ersten Minister und Ministerpräsidenten in den Bundesländern springen auf diesen neu aufs Gleis geschobenen Diskurs schon auf. So hatte der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart ebenfalls vor einer Woche die Überprüfung der Fahrpläne des Kohle- und Atomausstiegs gefordert. Dabei sprach Pinkwart nicht als Ressort-Minister nur eines Bundeslandes, sondern als Vorsitzender der Wirtschaftsministerkonferenz aller Bundesländer. Bayerns CSU-geführte Landesregierung prüft sogar die Reaktivierung des Ende 2021 erst abgeschalteten Atomkraftwerks Grundremmingen. Der gerade abgeschaltete Block C in Grundremmingen befinde sich noch im sogenannten Nachlauf und sei daher noch gut reaktivierbar.

Die Internationale Energieagentur IEA hatte am Donnerstag sogar schon einen Zehn-Punkte-Plan für ganz Europa vorgelegt, um die Einfuhr russischen Erdgases zu reduzieren. Das zwölfseitige Papier nimmt dies als Beitrag für den Klimaschutz in Beschlag: Eine Strategie, die eine kurzfristige Weiternutzung von Kohle und spaltbarem radioaktiven Kernbrennstoff einschließt, könne die Erdgasnutzung aus Russland um jährlich 80 Milliarden Kubikmeter im Jahr reduzieren und damit um mehr als die Hälfte. Sie lasse trotz mehr CO2-Ausstoß aus Kohlekraft dank Beschleunigung des Erneuerbarenausbaus und der Atomkraftnutzung die Klimagasemissionen weiter senken. Dabei rechnet IEA der Nutzung der Atomenergie mehr Einfluss beim Ersetzen des russischen Erdgases zu, als den erneuerbaren Energien. Und die LNG-Nutzung sieht die Energieagentur als wichtigen Beitrag zur Begrenzung von klimaschädlichen Methanleckagen der Pipelines an – ohne freilich irgendwo die Umweltauswirkungen der Frackingmethode zu erwähnen oder gar gegenzurechnen.    

Dankenswerterweise hat ausgerechnet das Nachrichtenportal des Billig-Telekommunikationsdienstleisters 1&1 am Freitag die um ein Vielfaches höheren CO2-Emissionen und Kosten von Atomkraftwerken im Vergleich zu Windkraftwerken gemäß einer Statistik aus den USA gezeigt.

Aus dem Außenministerium kommt inzwischen zur Klimaaußenpolitik nur noch Indirektes: Im Kurzinterview während der Polit-Sendung Anne Will am Sonntag, sprach die Ministerin erst vor allem über die begrenzten Möglichkeiten für Waffenlieferungen, dann über den Einsatz Habecks, der „auf Hochdruck … Kohle weltweit einzukaufen“ versuche – um zumindest russische Kohleimporte zu ersetzen.  

Doch die Klimaaußenpolitik der Ampelregierung unter Federführung Baerbocks und auch Habecks war schon vorher an ihre sofort sichtbaren Grenzen gestoßen. So ließ die Ampelkoalition, benannt nach den Parteifarben der Regierungsparteien SPD, FDP, Grüne, auf eine EU-weite Einstufung von Atom- und Gasverstromung als nachhaltig und staatlich förderfähig zu. Sie begnügte sich Anfang des Jahres damit, nur verbal und kurz Protest zu vermelden.

Von Anfang an litt Baerbocks Klimapolitik-Diplomatie daran, sich übergeordneten außenpolitischen strategischen Bündniszielen im Konzert mit befreundeten Ländern der EU und mit den USA unterzuordnen. So sollte die Klimaallianz mit den USA einem Systemwettbewerb um schnelleren Abbau der CO2-Emissionen mit dem außenpolitischen und wirtschaftlichen Rivalen China dienen. Doch dies ließ außer Acht, dass damit ausgerechnet der größte Emittent von CO2 keine Motivation zur Einschränkung eigener Emissionen erhält. Ein weiteres Beispiel: Die Ukraine solle zur Erzeugung von Wasserstoff anstelle russischen Erdgases als neuer emissionsfreier Energieträger die Unterstützung Deutschlands erhalten, hieß es aus dem Außenamt. Doch das ebenso mit viel freien Flächen für Wind- und Solarparks und Wasserstoff-Elektrolyse-Anlagen versehene Hauptexportland für fossile Energien sollte die Motivation zum Wasserstoffexport in die EU nur durch Strafzahlungen bekommen: Bei der Wareneinfuhr in die EU will die Staatengemeinschaft künftig für zu hohe CO2-Emissionen in der Warenproduktion eine Grenzsteuer einführen. Hinzu kommt: Beim Streit in der EU um die Einstufung von Kohle- und Gaskraft durch die EU-Kommission als nachhaltig, geschehen Anfang des Jahres, blieb das Außenministerium fast still: um den Zusammenhalt in der EU nicht zu stören.

Klimaaußenpolitik aber sollte sich vielmehr für einen starken Windenergieausbau sowohl in der Ukraine als auch beispielsweise in Russland einsetzen, um die Abhängigkeit von Importen von fossilen Energie-Rohstoffen zu reduzieren. In dem Riesenland waren 2021 tatsächlich erstmals nennenswerte Erzeugungskapazitäten von mehr als 1.000 MW neu ans Netz gegangen. Mit staatlichen Bürgschaften, Fördermitteln, aber auch Bildungsprogrammen ließen sich hier wie auch in vielen bei Windkraft bisher abstinenten osteuropäischen EU-Ländern die erneuerbaren Energien bewerben. Möglicherweise ließen sich noch einige der nun plötzlich für Atomkraftwerksneubauten eintretenden EU-Osteuropäer überzeugen.

Eine solche Förderung wäre nicht zuletzt für Deutschlands einzige große, noch mittelständisch geführte Windturbinenfirma Enercon in Ostfriesland wichtig. Das Unternehmen ist stark in den ersten Windparkbauprojekten des Landes involviert. Wettbewerber Nordex wiederum war eines der ersten deutschen Unternehmen, dass größere Windparks in der Ukraine zu errichten begann.

Erneuerbare Energien müssen als Friedensanlagen wahrnehmbar bleiben

Natürlich dürfte eine echte Klimaaußenpolitik nicht naiv sein – und kriegführende Länder nicht unterstützen. Doch erneuerbare Energien sind nicht Kriegswirtschaft, anders, als es eine große Nachrichten-Illustrierte auf ihrem Online-Nachrichtenportal jetzt schrieb. Sie müssen als Friedensanlagen wahrnehmbar bleiben, die jene allen frei zugänglichen nachhaltigen Ressourcen nutzt.

Vielleicht hat ausgerechnet EU-Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans am Sonntag in der Politsendung Anne Will die Richtung angedeutet: Das Wichtigste für die Reaktion der EU auf den Konflikt mit ihrem zentralen Rohstofflieferland sei nicht die zwar notwendige Abnabelung von dieser Zufuhr. „Das Wichtigste ist, dass wir die Energiewende beschleunigen und viel mehr mit Wind und PV machen“, sagte Timmermans. Die Ukraine solle in die Produktion von Wasserstoff und Biomethan sehr schnell einbezogen werden und eine große Rolle spielen. Aber auch Russland müsse diesen Wandel mit nachvollziehen, betonte der EU-Behördenvize. Bisher habe das Riesenland den Umbau der Energieversorgung versäumt und sich nur auf die streitige Rohstoffwirtschaft konzentriert. „Wir lösen das, indem wir Russland nach diesem Krieg einbinden in eine Vision, wo Sicherheit und langfristige Energiefürsorge geteilt werden – mit nachhaltiger Energie wie Wasserstoff – aber nur mit einem friedlichen Russland.“

Wie auch immer diese internationale Energiekooperation künftig zu regeln wäre, sagte Timmermans nicht. Das bedeutet freilich keineswegs, dass sie nicht zu regeln ist: Förderungen oder auch Ausschreibungen ließen sich ja vielleicht mit Kriterien wie ein einhergehender nachhaltiger Abbau der fossilen Rohstoffausbeutung und deren Nutzung oder Export verknüpfen. Oder mit Kriterien wie dem Ausbau einer allen Nachbarländern nutzenden Infrastruktur. Natürlich wären die Regeln dafür in anstrengender internationaler Diplomatie zumindest EU-weit auszuhandeln. Doch eine neuartige Klimaaußenpolitik sollte besser ein weitreichenderes neues Denken anstoßen, als eines, das als Bumerang in die Logik alter Energiestrukturen zurückfliegt.