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Kommunale Energiewende

Grüne Gemeinden mit Eisspeicher und Booster

Katharina Wolf

Werner Jost ist noch etwas außer Atem. „Auf der Baustelle ging es heute drunter und drüber“, sagt der Geschäftsführer des Zweckverbandes Integratives Schulprojekt Schweich trotzdem gut gelaunt am Telefon. Die Baustelle, das ist ein 2,2-Millionen-Projekt, das den Klimaschutz im rheinland-pfälzischen Schweich weiter voranbringen soll. Denn das Gebäude, neu gebaut für gut 450 behinderte und nichtbehinderte Schüler, verfügt über ein ausgeklügeltes Heiz- und Kühlsystem, das pro Jahr 131 Tonnen CO2-Äquivalent einspart.

Kern des Systems ist ein 900 Kubikmeter großer Eisspeicher, dessen Wasser im Sommer über eine Solarthermieanlage auf dem Dach und die Wärme im Schulgebäude aufgeheizt wird. Wird im Winter Heizwärme benötigt, wird dem Wasser per Wärmepumpen Energie entzogen und den Schulräumen zugeführt. Der Wasservorrat des Speichers kühlt sich im Gegenzug ab – bis er am Ende des Energie-Entzuges vereisen kann. Daher der Name „Eisspeicher“. Energetisch gespeist wird dieses System von einer 16,25-Kilowatt-Photovoltaikanlage auf dem Dach, die klimaneutralen Strom für die Wärmepumpen liefert. „Der Rohbau der Schule ist fertig, im Sommer 2022 wollen wir den Betrieb aufnehmen“, so Jost.

Für die Verbandsgemeinde Schweich sei das Projekt ein Schritt auf dem Weg zu mehr Klimaschutz, sagt Jost. Neu ist das Thema in der Kommune nicht – bereits 2010 wurde der Ort mit dem Solarpreis ausgezeichnet, weil schon damals PV-Anlagen mehr Strom lieferten als die Gemeinde verbrauchte. „Wir wollen auf diesem Weg weitergehen“, so Jost. „Das kommunale Engagement ist ein Schlüssel für das Gelingen der Energiewende“, sagt Robert Brandt, Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE). Und dieses Engagement ist groß: Laut einer Befragung, die die Bertelsmann-Stiftung im Auftrag des Städte- und Gemeindebunds 2020 durchführte, verfügten 87 Prozent der befragten Kommunen über ein Klimaschutzkonzept. 80 Prozent gaben an, bereits eine kommunale Treibhausgas-Bilanz erstellt zu haben. Diese Bilanzen zeigten Wirkung: 80 Prozent der Kommunen, die ihre Treibhausgas-Bilanz fortschreiben, gaben an, dass ihre Emissionen in allen Emittentengruppen über die Jahre gesunken sind.

Borkums Ziel: Bis 2030 emissionsfrei

Borkum war erfolgreich: Seit Anfang des Jahres läuft das Projekt Islander, das diesmal nicht nur auf Strom-, sondern vor allem auf Wärmeversorgung zielt. „Wir wollen Umweltwärme aus der Nordsee als Grundlagenwärme für Wärmepumpentechnologie in einem Nahwärmenetz nutzen“, erklärt Held. Die Idee: Im Ortsteil Reede, wo neben Hafenanlagen und Gewerbebetrieben auch Europas größte Jugendherberge zu finden ist, soll die Wärmeversorgung schrittweise auf Nordseewärme umgestellt werden. Die große Herausforderung ist, das Wasser im Wärmetauscher so von Algen, Schlick, kleinen Lebewesen und Salz zu reinigen, dass die Innenseiten blank bleiben – nur so gelingt ein optimaler Wärmeaustausch. „Im Sommer reicht die Temperatur des Wassers aus, im Winter müssen wir zusätzlich mit sogenannten Booster-Wärmepumpen nachheizen“, erklärt Held. Das soll klimaneutral mit grünem Strom geschehen. „Ab 2021 gehen bei uns die ersten Windenergieanlagen aus der EEG-Vergütung, später auch eine PV-Anlage“, so Held. Dieser Strom soll dann direkt genutzt werden.

Sieben Millionen Euro Förderung gab es von der EU für Islander, das auch grünen Wasserstoff, Solarthermie, Wasser-Luft-Wärmepumpen und Blockheizkraftwerke in die Wärmeversorgung einbinden soll. „Im ersten Schritt konzentrieren wir uns auf den Ortsteil Reede, im zweiten Schritt soll das Kurviertel und danach auch der Hauptort angeschlossen werden“, sagt Held.

Grüner Strukturwandel in Bottrop

Auch gut 250 Kilometer weiter südlich ist Klimaschutz ein Thema: Bottrop, am Nordrand des Ruhrgebiets gelegen und geprägt vom Kohlebergbau, ist keine typisch verdichtete Stadt. Um Emissionen zu reduzieren, nutzt die Kommune daher Flächen im eher ländlich geprägten Norden. Neun von zehn Windenergieanlagen der Stadt stehen dort, ihr Strom sowie Photovoltaik (PV) und Biogas machen den Stadtteil Kirchhellen schon seit 2015 rechnerisch energieautark. Trotzdem sagt Klimamanagerin Katrin Knur: „Wir befinden uns noch mitten im Strukturwandel.“ Erst 2018 wurde die letzte Steinkohlezeche geschlossen. 2019 rief die Stadt den Klimanotstand aus, um im Sinne der Fridays-for-Future-Bewegung ein Zeichen zu setzen.

Und Bottrop hat noch einen städtisch geprägten Süden. Dort findet sich, auf dem Gelände einer Großkläranlage der Emschergenossenschaft, die jüngste Windenergieanlage und trägt mit anderen Anlagen wie der solaren Klärschlammtrocknungsanlage dazu bei, dass die Kläranlage zunehmend klimaneutral wird. Die Stadt setzt bei der Stromerzeugung auch auf PV. „Wir haben im April 2019 eine Solar- offensive gestartet“, berichtet Knur. 51 Anlagen mit 491 Kilowatt wurden im ersten Jahr unterstützt. 2020 waren es 54 Anlagen. jede Anlage wird aktuell mit maximal 600 Euro gefördert. Für dieses Jahr seien bereits 15 Anträge bewilligt worden, so Knur. Die Höhe der Gesamtfördersumme bezieht sich dabei auf den Stromverbrauch der öffentlichen Gebäude – 30.000 Euro waren es 2019.

Wertschöpfungsrechner liefert Argumente

Robert Brandt von der AEE sieht die Aufgabe seiner Agentur auch darin, dieses Engagement der Kommunen zu unterstützen. Seit zwölf Jahren zeichnet die AEE deshalb die Energiekommune des Monats aus. Ein Online-Wertschöpfungsrechner, entwickelt mit der Energieagentur Rheinland-Pfalz und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, hilft regionale Wertschöpfung durch den Ausbau von erneuerbaren Energien zu quantifizieren. „Das Tool kann die Wertschöpfungseffekte für 27 verschiedene Erneuerbare-Energien-Technologien für die Jahre 2019, 2025 und 2030 berechnen“, so Brandt. Konkret ließen sich die Wertschöpfungseffekte für Beschäftigungseinkommen, Unternehmensgewinne und kommunale Einnahmen in Form von Steuern und Abgaben darstellen. „Die Nutzer können die eingesparten CO2-Äquivalente errechnen, um die positiven Auswirkungen der Erneuerbare-Energien-Anlagen auf den Klimaschutz zu überprüfen“, so Brandt, der den Kommunen damit auch Argumente für die Akzeptanz von neuen Projekten liefern will.

„In der Energiewelt von morgen werden mehr Menschen mit Energieerzeugungsanlagen Kontakt haben“, so Brandt. „Die Diskussionen darüber finden auf kommunaler Ebene statt.“ Die Politik müsse daher für eine adressatengenaue Information sorgen, um das Engagement der Kommunen zu unterstützen.