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Kommentar zur Stromunterdeckung

Naturstrom satt, doch langsame Energiepolitik zieht den Stecker

Tilman Weber

Drei Mal stand Deutschland und vielleicht sogar Europa im Juni kurz vor einem Blackout. So brachte am Dienstag die Politik-Illustrierte Der Spiegel eine Online-Meldung des Fach-Internetportals Energate Messsenger vom Vortag auf seiner Internetseite ganz groß heraus. Teilweise sei deutlich weniger Energie eingespeist worden, als in Deutschland benötigt wurde, hatte sich der Spiegel von Übertragungsnetzbetreiber Amprion bestätigen lassen. Nur hohe Stromlieferungen aus dem Ausland konnten den Blackout demnach an diesen drei Tagen vermeiden helfen.Dank der großen Reichweite von Spiegel Online nahmen danach auch andere Medien wie auch das Fernsehen die Meldung auf von den drei Tagen mit hoher Unterversorgung an Elektrizität am 6., am 12. und am 25. Juni.

Die offenbar nicht umstrittene Größenordnung der Unterversorgung im deutschen Stromnetz ist für alle diese drei Stresstage im deutschen Stromnetz beeindruckend: Der Regelenergiebedarf an diesen Tagen lag im Durchschnitt bei 6.000 Megawatt (MW). Das bedeutet, dass die Übertragungsnetzbetreiber rund sechs Gigawatt (GW) an zusätzlicher Kraftwerksleistung hochfahren lassen mussten. Diese Regelenergie kam großenteils wohl aus großen konventionellen Stromerzeugungsanlagen, die ihre Leistung entweder eigentlich nur als Reserve vorhalten oder die ihre Leistung aus ökonomischen oder technischen Gründen zuvor reduziert hatten. Sechs GW entsprechen je nach Tageszeit immerhin dem bedeutenden Anteil am bundesweiten Strombedarf zwischen knapp 10 und 15 Prozent.

Erneuerbare Energien für Stromunterversorgung nicht verantwortlich

Bundesnetzagentur wie auch der für Energiefragen in der Bundesregierung zuständige Wirtschaftsminister Peter Altmaier erklärten hierzu bereits, an den nur unregelmäßig und wetterabhängig einspeisenden erneuerbaren Energien wie Windkraft und Photovoltaik habe die dreimalige Engpasssituation nicht gelegen.

Tatsächlich sind sich die bisher mit veröffentlichten Statements hervorgetretenen Akteure der Branche einig, dass ganz anders lautende Signale auf dem Strommarkt auf eine eben auch andere Ursache hindeuten, als bloß eine mit fortschreitender Energiewende angeblich unberechenbarer werdende Erzeugungslandschaft: So spielt der Regelenergiemarkt verrückt, auf dem sich nicht zuletzt die Netzbetreiber mit Ausgleichsenergie eindecken. Die mit Viertelstunden-Erzeugungsterminen versehenen Strommengen zur Ausregelung kurzfristiger Unterversorgungen im Netz erwerben sie mittels Auktionen. Doch hatte die Strombranche sich an den kritischen Tagen nur mit halb so viel Regelenergie eingedeckt, wie sie dann in Höhe von eben sechs GW tatsächlich benötigte. Zugleich kamen zuletzt Mondpreise auf dem Regelenergiemarkt von bis zu 37.856 Euro pro Megawattstunde (MWh) wie am vergangenen Samstag zustande. Dabei war dieser 29. Juni ein Tag, an dem es im deutschen Stromnetz wesentlich ruhiger als an den drei Krisentagen in den vorangegangenen Juni-Wochen. Zum Vergleich: An ruhigen Tagen auf dem Regelenergiemarkt erreichten die Preise zuletzt Werte von unter 10 Euro pro MWh.

Spekulationsgeschäfte bis hin zu Leerkäufen könnten eine Ursache sein

Ein nun von mehreren Branchenmitgliedern wie dem Börsenstromhandels-Dienstleister Next Kraftwerke geäußerter Verdacht liegt nahe: Entweder haben die aufs Wetter bezogenen Prognosen zur Einspeisung von Wind- und Sonnenstrom im Juni mehrmals grob daneben gelegen, weshalb die Netzbetreiber und die Stromversorger viel zu wenig Regelenergie oder Spotmarkt-Strom rechtzeitig eingekauft hatten. Oder aber haben auf hohe Preise am Regelenergiemarkt spekulierende Akteure mit intransparenten Spekulationsgeschäften bei den Auktionen sich große Einnahmen auf dem überhitzten Regelenergiemarkt gesorgt. Tatsächlich ist hier bereits von Leerverkäufen die Rede – einem auf den Finanzmärkten als unsägliche Strategie bekannte Praxis, die lediglich der Beeinflussung von Preisen statt der Anlage von Kapital dienen.

Richtig ist, wie das Unternehmen Next Kraftwerke anmerkt und auch in unserem Magazin ERNEURBARE ENERGIEN bereits sowohl im gedruckten Heft als auch online informierte: Die Einführung eines sogenannten Mischpreisverfahrens zur Preisermittlung auf dem Regelenergiemarkt sorgt zunehmend oft für Spekulationspreise und kostet dem gesamten Strommarkt viel Geld. So hatte Energate Messenger bereits ermittelt, dass die hohen Preise am 29. Juni in Deutschland für Ausgaben im Stromnetz alleine an diesem Tag für Regelenergie von 17 Millionen Euro sorgten. Das ergab hohe Gewinne für wenige Unternehmen: Ein von Energate Messenger ermittelter Anbieter von Regelenergie hatte beispielsweise an diesem Tag mit einem verkauften 94-Megawatt-Block an der von ihm angebotenen Kraftwerksleistung 3,5 Millionen Euro eingenommen.

Regelenergie-Auktionsregel bereits vor Gericht: Termin am 3. Juli

Ohnehin hatte das das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf unabhängig von den jüngsten Marktstresserscheinungen im Juni für Donnerstag, 3. Juli, eine Anhörung zu dem Phänomen der überhöhten Regelenergiemarktpreise angesetzt. Das OLG versucht so derzeit eine aktuelle Klage von Next Kraftwerke gegen das Mischpreisverfahren zu klären, die von anderen Unternehmen der Erneuerbare-Energien-Branche unterstützt wird.

Bilanzkreistreue ließ zuletzt nach

Immer mehr Stromhändler decken sich zudem ganz offenbar nicht mehr wie von den Strommarktregeln vorgesehen mit der benötigten Ausgleichsenergie am Spotmarkt ein, wenn sie mehr Strom verkaufen als erzeugen – zum Beispiel, weil sie falschen Einspeise-Prognosen vertraut hatten oder gar bewusst eine Unterdeckung in Kauf nahmen. Strafzahlungen für diese Unterdeckung ihrer sogenannten Bilanzkreise nehmen sie dafür in Kauf, weil diese billiger sind, als der Einkauf von Day-Ahead- oder Intraday-Marktstrom.

Richtig ist auch, dass an allen drei Tagen die Stromerzeugungskurven in Deutschland keine besonderen Auffälligkeiten aufweisen: Wind und Sonne hatten laut dem in der Branche anerkannten Internet-Portal Energy-Charts des Fraunhofer-Instituts IEE an allen drei Tagen in den Zeiten mit einem Stromverbrauch oberhalb des Tagesmittels, zwischen 7 und 21 Uhr, nie weniger als fünf GW beigetragen. Tagsüber floss der "volatile" Ökostrom aber dank bester Sonneneinstrahlung und immer wieder auffrischender Winde sogar eher üppig. Zum Vergleich: An anderen Tagen im Juni, zum Beispiel am 20. oder auch am 28. Juni, war die Versorgung mit Wind- und Sonnenstrom gegen 21 Uhr auf unter vier GW gefallen. Am 16. Juni brach die Erzeugung aus Wind und Sonne um 21 Uhr sogar auf unter zwei GW ein. Andererseits haben an den drei Tagen mit tatsächlich massiver Strom-Unterversorgung auch die Braun- und Steinkohlekraftwerke stets zwar reichlich, aber nicht ungewöhnlich viel geheizt, um die Stromversorgung abzusichern.

Jetzt bitte keine monatelange Hängepartie mehr!

Dennoch wäre es völlig falsch, sich mit der Aussage der Netzbetreiber zufrieden zu geben. So hatte eine Sprecherin des Nordsee- und Festland-Stromnetz-Betreibers Tennet erklärt: „Was wir gesehen haben, war eine ganz außergewöhnliche Situation, weil es deutliches Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch gab. Es gab mehr Verbrauch als Erzeugung, das musste ausgeglichen werden. Es war sehr außergewöhnlich, aber wir waren weit entfernt von einer ernsthaften Gefährdung.“ Außerdem erklärten die Übertragungsnetzbetreiber, dass sie nun in den nächsten Wochen klären wollten, woher die Engpässe tatsächlich gerührt haben sollten.

Die Aussage mag hier durchaus der Wahrheit entsprechen. Doch die Politik müsste wie so oft nun viel schneller handeln: Erstens, um Spekulationen zu den vermeintlich unzuverlässigen Erneuerbaren sofort entgegenzutreten. Zweitens, um die falschen Preissignale auf dem Regelenergiemarkt sofort zu beenden. Und drittens, um wirklich von der Erzeugungssituation unabhängige Mitnahmegewinne zu unterbinden.