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Direktvermarktung

Regional mit Brief und Siegel

Regional ist das neue Bio, lautet ein Marketing-­Bonmot. Um es mit Leben zu füllen, steht Energie­versorgern seit Jahresbeginn ein neues Instrument zur Verfügung: Regionalnachweise für Strom aus EEG-Anlagen, ausgestellt vom Umweltbundesamt. Im kleinen Marktsegment für regionale Ökostrom­tarife etablieren sie erstmals klare Standards.

Seit einigen Jahren schon sehen Ökostrom­anbieter und Bürgerenergiegesellschaften, aber auch Projektentwickler, Stadtwerke und Regionalversorger einen Markt für Stromprodukte, die als dezidiert regional beworben werden können. Erstens bieten solche Tarife die Chance, die hohe Akzeptanz für die erneuerbaren Energien zu erhalten. Das macht sie besonders im Kontext neuer Wind- oder Solarparkprojekte attraktiv: Günstiger Strom „vom Windrad nebenan“ ist ein sehr niederschwelliges Angebot für Anwohner neuer Ökostromanlagen. Und zweitens adressieren Regionaltarife die emotionale Bindung des Kunden an seinen Wohnort – eine Verbundenheit, die auf die Kundenbeziehung zum lokalen Versorger abfärben soll.

Bislang sind solche Regional- oder Lokal­tarife allerdings sehr rar, denn es war schwer, sie sauber aufzusetzen. Der Königsweg war bisher die Beschaffung regionaler Ökostrommengen über die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeräumte „sonstige Direktvermarktung“. Hierfür mussten die Anlagenbetreiber auf die EEG-Vergütung verzichten, denn nur so konnten für die Strommengen Herkunftsnachweise ausgestellt werden. Der Energieversorger hatte dem Betreiber daher einen Preis auf dem Niveau der EEG-Vergütung zu zahlen, welche viele Jahre lang deutlich über dem Börsenstrompreis lag. Dem Energieversorger entstanden also deutlich höhere Beschaffungskosten als im gewöhnlichen Stromhandel. Entsprechend war solchen Tarifen, auch wenn es sie vereinzelt gab, immer ein Nischendasein vorbestimmt.

Regionalnachweisregister gestartet

Am 1. Januar 2019 etablierte das vom Umwelt­bundesamt geführte Regionalnachweisregister einen neuen, einheitlichen Standard. Betreiber von Ökostromanlagen, die ihre Erzeugung über das sogenannte Marktprämienmodell vermarkten lassen – eine modernisierte Variante der EEG-­Vergütung –, können sich seitdem je Kilowattstunde einen Regional­nachweis ausstellen lassen. Der Regional­nachweis ist vertraglich an die Kilowattstunde gekoppelt, kann also nicht unabhängig von der Stromlieferung gehandelt werden.

Der Energieversorger bezieht hierbei vom Anlagenbetreiber die Strommengen sowie die dazu passenden Regionalnachweise. Mit den Nachweisen kann der Energieversorger in seiner Produkt-Stromkennzeichnung den ausgewiesenen EEG-Anteil („Erneuerbare Energien, finanziert aus der EEG-Umlage“) regionalisieren. Der EEG-­Anteil berechnet sich anhand der EEG-Umlage, die die Stromkunden des Energieversorgers im Vorjahr gezahlt haben. 2017 betrug dieser EEG-Stromanteil für Haushaltskundentarife rund 53 Prozent.

Grüner Regionalstrom ist kein Ökostrom

Wie alle Strommengen, die über das Marktprämien­modell vermarktet und somit aus dem EEG-System mitfinanziert werden, erhalten auch die regional vermarkteten keinen Ökostrom-­Herkunftsnachweis. Alles andere würde gegen das sogenannte Doppelvermarktungsverbot verstoßen. Energieversorger, die ihren Regionaltarif zugleich als Ökostromtarif bewerben möchten, müssen für die komplette an die Kunden gelieferte Strommenge Herkunftsnachweise beschaffen. In der Praxis wird dies wohl häufig bedeuten, dass für eine Kilowattstunde Solarstrom aus nachgewiesen regionaler Herkunft ein Ökostrom-Herkunftsnachweis aus weit entfernter Wasserkraft beschafft wird.

An solchen Beispielen wird erneut deutlich, dass die Stromkennzeichnung in Deutschland insgesamt dringend eine sinnvolle, für Stromkunden transparente Neuregelung benötigt. Bis dahin werden Anbieter von Regionalstromangeboten darauf verzichten müssen, die konkrete Ökostromqualität aus Wasser-, Wind- oder Solarenergie anzugeben.

Welche Ökostromanlagen als Lieferkraftwerke für einen bestimmten Regionaltarif infrage kommen, entscheidet der Wohnort des Verbrauchers: Für alle Anlagen in einem Radius von 50 Kilometern rund um den Kunden können Regionalnachweise ausgestellt werden.

Basis der Ortsbestimmung für den Kunden wie auch für die potenziellen Lieferkraftwerke ist das Postleitzahlengebiet. Um die Zuordnung von Kunden und Anlagen zu erleichtern, hat das Umweltbundesamt einen sogenannten Karten Client erstellt, der Deutschland in 6.578 Regionen aufteilt.

Jenseits der Anforderungen, die in der Herkunfts- und Regionalnachweis-Durchführungsverordnung definiert sind, gibt es für potenzielle Lieferkraftwerke nur wenige Zusatzkriterien aus der energiewirtschaftlichen Praxis. Das wichtigste ist eine gewisse Mindestleistung. Ab circa 400 Kilowatt halten wir bei Naturstrom den Aufwand für Direktvermarktung und zusätzliche Verwaltungsarbeit für angemessen. Eine Vorbedingung, die bei älteren Anlagen zu beachten ist, ist die Fernsteuerbarkeit. Ältere Bestandsanlagen, deren Erzeugung bislang nicht direkt vermarktet wurde, müssten die nötige Technik womöglich nachrüsten. Apropos Alter: Da die Regionalnachweise wie beschrieben auf der etablierten, EEG-geförderten Direktvermarktung aufsetzen, spielen das Alter bis zur EEG-Höchstförderdauer – abseits der Steuerbarkeit – und die Höhe der EEG-Vergütung der Anlage keine Rolle für ihre Eignung als regionales Lieferkraftwerk.

Die Regionalnachweise definieren klare Mindestkriterien für Regional- und Anrainertarife – das ist sehr zu begrüßen. Der große Ansturm auf die Nachweise ist in den ersten Monaten des Jahres noch ausgeblieben. Der eine oder andere Energieversorger wird sich an die konkrete Umsetzung seiner Produktideen sicher erst noch herantasten müssen.

Das ist der Nutzen der neuen Nachweise

Mittelfristig können sich die Regionalnachweise zu einem guten Instrument für engagierte Stadtwerke entwickeln, die einen Ökostromtarif mit einer lokalen Note veredeln wollen.

Bei der Umsetzung wird es auch darauf ankommen, ob bereits Erfahrung in der Direktvermarktung und Strukturierung von Regionaltarifen besteht. Bei vielen Lokalversorgern ist das nicht der Fall. Dann empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Partner wie Naturstrom.

Bürgerenergiegesellschaften, die größere Solar­anlagen oder auch einen Windpark betreiben, können sich mit der Vermarktung von Strommengen jenseits des EEGs einen zusätzlichen Absatzweg erschließen. Und für Projektentwickler und Anlagenbetreiber, die nicht vor Ort verwurzelt sind, können insbesondere vergünstigte Anrainertarife ein wichtiges Instrument der Akzeptanzsicherung sein.

Autor:

Tim Meyer, Vorstand NATURSTROM AG

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