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Recht

Verunsichertes Italien

Das süditalienische Apulien kann mit Fug und Recht als die Wiege des italienischen Photovoltaik-Booms bezeichnet werden. Die Region hat sich seit der Verabschiedung des Photovoltaik-Förderprogramms der italienischen Regierung („conto energia 2007“) bemüht, durch Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens und den Abbau von bürokratischen Hindernissen günstige gesetzliche Rahmenbedingungen für Investitionen zu schaffen.

Die Verwirklichung dieser Absicht wird jedoch durch eine komplexe Rechtslage auf nationaler Ebene erschwert. In Italien gilt der Grundsatz, dass Anlagen, die aus erneuerbaren Quellen Energie erzeugen, einer besonderen Erlaubnis bedürfen, der so genannten „autorizzazione unica“. Diese „Gesamterlaubnis“ wird im Anschluss an ein Verwaltungsverfahren erlassen, an dem alle Behörden auf staatlicher, regionaler und lokaler Ebene zu beteiligen sind, deren Zuständigkeiten von dem Vorhaben berührt werden. So sollen alle maßgeblichen Aspekte, wie etwa Umwelt, Landschaftsschutz, Städtebau, in einem einheitlichen Rahmen, der so genannten Verwaltungskonferenz, gewürdigt werden. Dieses auf Konzentration zielende Modell verlängert allerdings wegen der Vielzahl der beteiligten Behörden die Verfahrensdauer – das Gesetz sieht maximal 180 Tage vor, die in der Praxis jedoch fast immer erheblich überschritten werden.

Deswegen hat das nationale Gesetz ergänzend ein vereinfachtes Verfahren vorgesehen, die „Anzeige der Tätigkeitsaufnahme“ (dichiarazione di inizio attività – DIA). Es sieht vor, dass der Antragsteller der Behörde sein Vorhaben durch Vorlage näher bestimmter Planunterlagen zur Kenntnis bringt. Widerspricht die Behörde dann nicht binnen 30 Tagen, gilt das Vorhaben als genehmigt. Der Anwendungsbereich dieses vereinfachten Verfahrens ist allerdings auf kleine Anlagen von bis zu 20 Kilowattpeak begrenzt. Von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, diese Leistungsgrenze im Anschluss an eine Entscheidung eines Gremiums von Abgesandten des Staates, der Regionen und der Gemeinden durch Ministerialdekret anzuheben, wurde bis heute kein Gebrauch gemacht.

Die Region Apulien – gefolgt von anderen Regionen wie zum Beispiel Kalab­rien und die Basilicata – hat deswegen im Laufe der Zeit eine Reihe von gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen verabschiedet, deren Ziel darin besteht, trotz des Fehlens entsprechender staatlicher Normen die Zulässigkeit des DIA-Verfahrens auf Anlagen mit einer Nominalleistung bis zu einem Megawatt zu erstrecken.
Viele Investoren haben aus diesem Grund angesichts der Möglichkeit, in kurzer Zeit Anlagen zu realisieren und von der Fördervergütung des „conto energia“ zu profitieren, mit erheblichem finanziellem Aufwand Solarkraftwerks-Projekte mit einer nominalen Leis­tung von knapp unter einem Megawatt initiiert. Einige dieser Projekte sind bereits vollständig realisiert und ans Netz angeschlossen, andere befinden sich noch im Bau, während eine Vielzahl von Vorhaben noch keine Finanzierung erhalten haben und deswegen mit deren Verwirklichung noch nicht begonnen worden ist.

Solar-Investments sind bedroht


Das italienische Verfassungsgericht hat diesen Investitionen nun möglicherweise einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mit einer am 26. März 2010 veröffentlichten Entscheidung hat das Gericht nämlich festgestellt, dass die Regionen nicht befugt sind, für die Zwecke der Anwendbarkeit des vereinfachten Genehmigungsverfahrens im Wege der DIA autonom Leistungsgrenzen festzulegen, die über den staatlich fixierten liegen, die im Falle der Photovoltaik eben auf 20 Kilowattpeak bestimmt worden sind. Die Verfassungshüter haben deshalb Artikel 3 des apulischen Regionalgesetzes 31/2008 für verfassungswidrig erklärt. Diese Norm sah ausdrücklich die Möglichkeit vor, Solarkraftwerke mit einer Nominalleistung bis zu einem Megawatt im vereinfachten Verfahren zur Genehmigung zu bringen. Unmittelbare Folge dieser Entscheidung ist zunächst, dass bis zu einem Tätigwerden des nationalen Gesetzgebers keine neuen Solarkraftwerke mit einer Nominalleistung von mehr als 20 Kilowattpeak im Wege des einfachen und raschen DIA-Verfahrens genehmigt werden können.

Größere Sorgen als dieser Umstand macht den Investoren jedoch die Frage, ob die im Vertrauen auf die Bestandskraft der im vereinfachten Verfahren ergangenen Erlaubnisse getätigten Investitionen nun Risiken ausgesetzt sind. Anders formuliert: Was geschieht im Anschluss an die Entscheidung des Verfassungsgerichts mit den auf die Errichtung und den Betrieb von Solarkraftwerken mit einer Leistung von mehr als 20 Kilowattpeak gerichteten Erlaubnissen, die im vereinfachten Verfahren ergangenen sind?

Gilt die alte Baugenehmigung?


Festzuhalten ist zunächst, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichts zwar die Rechtslage ändert, jedoch keineswegs die auf Grundlage der für verfassungswidrig erklärten Rechtsnorm ergangenen Verwaltungsakte automatisch annulliert. Es ist vielmehr Aufgabe der Behörden zu entscheiden, ob es zur Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes geboten ist, auf der Grundlage von für verfassungswidrig erklärten Normen ergangene Verwaltungsakte von Amts wegen aufzuheben. Eine solche Entscheidung setzt aber voraus, dass die Aufhebung des Verwaltungakts im öffentlichen Interesse unabdingbar ist. Dieses öffentliche Interesse ist von der Behörde ausführlich darzulegen und zu erläutern. Der bloße Hinweis auf die Notwendigkeit, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt aus der Welt zu schaffen, reicht in diesem Zusammenhang nicht. Hintergrund ist die aus dem Rechtsstreitsprinzip herrührende Erwägung, dass das Vertrauen des Bürgers in die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes zu schützen ist, der zum Zeitpunkt seines Erlasses mit den geltenden regionalen gesetzlichen Bestimmungen in Übereinstimmung stand – jedenfalls dem Anschein nach. Die Anwendung dieser Grundsätze führt im Ergebnis dazu, dass – von besonderen Fallgestaltungen einmal abgesehen – nicht zu erwarten ist, dass die Behörden dazu neigen werden, einmal erteilte Bau- und Betriebserlaubnisse für Solarkraftwerke aufzuheben.
Denn es ist es nicht ohne weiteres möglich, ein öffentliches Interesse darzulegen, das es rechtfertigt, eine für den Betroffenen so schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Dies gilt umso mehr, als das italienische Gesetz allen Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen den Charakter von eilbedürftigen, unaufschiebbaren und im öffentlichen Interesse stehenden Vorhaben zuweist (Art. 12 Abs. 1 des Legislativ-Dekrets 387/2003). Ein öffentliches Interesse an der Aufhebung der Bauerlaubnis für Solarkraftwerke müsste also das gesetzlich festgeschriebene Interesse an der Realisierung von Solarkraftwerken überwiegen.

Es leuchtet unmittelbar ein, dass damit die Hürden für die Aufhebung von Erlaubnissen, die in der Vergangenheit auf Grundlage des vereinfachten Erlaubnisverfahrens ergangen sind, hoch sind. Berücksichtigt man nun noch, dass eine Behörde, die dennoch die Aufhebung einer entsprechenden Erlaubnis betreibt, dann jedoch im Rahmen der von den Betroffenen angestrengten verwaltungsgerichtlichen Überprüfungen unterliegt, zu erheblichen Ersatzleistungen herangezogen werden kann, erschließt sich, dass von den Behörden relativ geringe Gefahren ausgehen dürften. Dies gilt erst recht in den nicht seltenen Fällen, in denen die Gemeinde ein wirtschaftliches Eigeninteresse an der Realisierung des Solarkraftwerkes hat, weil sie mit dem Antragsteller im DIA-Verfahren eine Vereinbarung über eine prozentuale Beteiligung am wirtschaftlichen Ertrag des Solarkraftwerks oder eine sonstige Vorteilsgewährung getroffen hat.

Der unberechenbare Dritte


Komplexer und risikoreicher sind allerdings die Gefahren, die im Anschluss an die Verfassungsgerichtsentscheidung von Dritten für die Solarkraftprojekte ausgehen könnten. So ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Verfassungsgerichts­entscheidung Dritte motivieren könnte, die im DIA-Verfahren ergangenen Erlaubnisse anzufechten. Die italienische Rechtsordnung stellt insoweit zwei Rechtsmittel mit verschiedenen Anfechtungsfristen zur Verfügung: Die Anfechtung zum Verwaltungsgericht hat binnen 60 Tagen zu erfolgen, während der außerordentliche Antrag zum Staatspräsidenten binnen 120 Tagen zu stellen ist. Die Dauer der Anfechtungsfrist ist damit eindeutig geklärt. Doch wann beginnt sie? Einigkeit besteht insoweit noch über den Ausgangspunkt: Die Anfechtungsfrist beginnt erst dann, wenn der Anfechtungsberechtigte volle Kenntnis von dem Verwaltungsakt hat und abschätzen kann, inwieweit dieser geeignet ist, seine Rechte zu verletzen. Diesen Zeitpunkt exakt zu bestimmen, ist nicht einfach.
Spezifische Präzedenzfälle zu Ener­gieerzeugungsanlagen gibt es in der Rechtsprechung nicht, so dass in dieser Frage typischerweise auf Entscheidungen zum allgemeinen Baurecht zurückgegriffen wird. Insoweit hat die Rechtsprechung den Grundsatz aufgestellt, dass eine umfassende Kenntnis von Dritten jedenfalls dann zu vermuten ist, wenn das Bauwerk in seinen strukturellen Bestandteilen erkennbar ist. Spätestens in diesem Augenblick – so die Erwägung der Richter – kann nämlich kein Zweifel daran bestehen, dass die Dritten in der Lage sind, mit Sicherheit einzuschätzen, ob Gefahr besteht, dass sie in ihren Rechten verletzt werden.

Wendet man dieses Prinzip auf Solarkraftwerke an, so wird man wohl die Ansicht vertreten können, dass Dritte, die einwenden wollen, das Solarkraftwerk habe nicht auf Grundlage des vereinfachten Verfahrens genehmigt werden dürfen, sondern benötige eine „autorizzazione unica“, die Anfechtung binnen 60 bzw. 120 Tagen nach dem Tage erklären müssen, an dem ersichtlich war, dass die Bauarbeiten auf Grundlage einer im vereinfachten Verfahren erlangten Erlaubnis durchgeführt werden. Dieser Umstand kann nebst weiterer Informationen über Bauherrn und Planer von dem in Italien obligatorischen Baustellenschild abgelesen werden.

Daraus ergibt sich, dass fertiggestellte oder jedenfalls seit mehr als 120 Tagen im Bau befindliche Kraftwerke in aller Regel der Drittanfechtung entzogen sein werden, so dass aus dieser Richtung keine Gefahren für die Investitionen drohen. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur, wenn man die Auffassung vertritt, im Anschluss an eine Entscheidung, mit der eine Rechtsnorm für verfassungswidrig erklärt wurde, müssten alle Fristen für die Anfechtung der auf Grundlage der für verfassungswidrig erklärten Norm er­gangenen Verwaltungsakte neu beginnen. Diese radikale Auffassung hat indes so weit ersichtlich in der Rechtsprechung keine Gefolgschaft gefunden.

Bei Kraftwerken, deren Bau noch nicht begonnen wurde, genügt es nicht, wenn der Dritte sich auf den Vortrag beschränkt, die erteilte Erlaubnis sei rechtswidrig, weil auf verfassungswidriger Grundlage ergangen. Vielmehr muss er darlegen, dass er durch das Vorhaben konkret in eigenen schützenwerten Interessen verletzt wird. Dies wird von – Ausnahmefällen einmal abgesehen – meistens nicht einfach sein, da Solarkraftwerke weder Geräusche noch Geruch emittieren und deswegen typischerweise „angenehme Nachbarn“ sind. Im Ergebnis bedeutet dies: die Auswirkungen der Verfassungsgerichtsentscheidung auf Solarkraftwerkprojekte, die auf im DIA-Verfahren ergangene Erlaubnisse bauten oder noch bauen, sind überschaubar.

Die Banken sind verunsichert


Dennoch hat die Entscheidung des Verfassungsgerichts natürlich zu Unruhe und Sorge am Markt geführt. Insbesondere die Finanzierung von Solarkraftwerkprojekten auf Grundlage von DIA-Erlaubnissen ist zunehmend schwieriger geworden, weil die Banken insoweit Risiken wittern und im Zweifel von einer Finanzierung Abstand nehmen. Es bleibt zu hoffen, dass der nationale Gesetzgeber bald tätig wird. Die Vor­aussetzungen hierfür sind bereits geschaffen: Anlässlich der Sitzung am 21. April 2010 hat die italienische Abgeordnetenkammer beschlossen, das Gesetz betreffend der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht um eine Bestimmung zu ergänzen, nach Maßgabe derer das DIA-Verfahren für die Errichtung von Anlagen zur Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen mit einer Leistung bis zu einem Megawattpeak für zulässig erklärt wird. Am 12. Mai 2010 hat das Reformvorhaben die Abstimmung im italienischen Senat unbeschadet überstanden und ist nun Gesetz. Dieses bedarf jetzt noch der praktischen Umsetzung durch eine Verordnung der Regierung und es ist offen, wann diese Durchführungsvorschriften vorliegen und wie diese im Detail ausgestaltet sein werden. Die Weichen in die Zukunft sind jedoch gestellt.

Alessandro Honert
Rechtsanwalt und Avvocato Derra, Meyer amp; Partner
Rechtsanwälte – Avvocati
Bologna (Italien)
Luciano Quarta
Avvocato
Milano (Italien)