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Netzbooster

Retten Gigabatterien unsere Stromnetze?

Batteriespeicher werden oft als das Schweizer Taschenmesser der Energiewende bezeichnet, doch vielleicht benötigen wir bald einen neuen, erheblich größeren Vergleichsrahmen. Denn bereits in wenigen Jahren könnten riesige Batteriespeicher in Deutschland errichtet werden, um unsere Übertragungsnetze zu stützen und so den schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kohle- und Atomstromerzeugung zu ermöglichen.

Drei der vier deutschen Übertragungsnetz­betreiber haben bei der Bundesnetzagentur Anträge zur Erprobung sogenannter Netzbooster gestellt – Batteriespeicher mit einer Leistung von insgesamt 1,3 Gigawatt (GW). Doch wozu dienen diese Gigabatterien genau und wie ergänzen sich Netze und Speicher zur Umsetzung der europäischen Energiewende?

Schleppender Netzausbau

Beginnen wir mit dem bekannten Bild. Jahr für Jahr geben die Übertragungsnetzbetreiber hunderte Millionen Euro für den Einsatz von Redispatch-Maßnahmen aus, um Netzengpässe zu umschiffen. Ein relevanter Anteil dieser Kosten wird durch Windstrom verursacht, der im Norden Deutschlands produziert wird, aber aufgrund fehlender Leitungskapazitäten nicht in die Lastzentren im Süden der Republik abtransportiert werden kann. Um diese Situation langfristig zu beheben, sind laut aktuellem Netzentwicklungsplan (Szenario B 2030, NEP 2019) Verstärkung und Neubau von rund 12.000 km Stromleitungen erforderlich, deren Umsetzung sich jedoch aus bekannten Gründen immer weiter verzögert. Der Fokus der Netzbetreiber richtet sich daher seit einigen Jahren verstärkt auf die bessere Ausnutzung von bestehender Infrastruktur.

Bestehende Kapazitäten optimal ausnutzen

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, bestehende Stromleitungen besser zu nutzen. Dazu gehört unter anderem eine aktive Lastflusssteuerung, bei der Phasenschieber-Transformatoren den Stromfluss gezielt um Engpässe herumführen. Weitere Kapazitäten können durch sogenanntes Freileitungsmonitoring erschlossen werden. Dabei wird die maximale Auslastung von Freileitungen nicht fest vorgegeben, sondern anhand der lokalen Witterung angepasst: Bei niedrigen Temperaturen und Wind kann dann mehr Strom über die Leitungen fließen, da sie natürlich gekühlt werden. Neben weiteren Maßnahmen können auch Batteriespeicher – sogenannte Netzbooster – eingesetzt werden, um die bestehenden Leitungen optimal zu nutzen. Um zu verstehen, wie das funktioniert, ist ein kurzer Exkurs in die Absicherung unseres Stromsystems erforderlich.

Das (n-1)-Kriterium

Unser Energiesystem wird in Hinblick auf eine maximale Versorgungssicherheit nach dem sogenannten (n-1)-Kriterium betrieben. Das bedeutet, verkürzt gesagt, dass der Ausfall einer kritischen Komponente wie beispielsweise eines großen Umspannwerks das Gesamtsystem nicht gefährden darf. Um dies sicherzustellen, werden solche kritischen Komponenten nie voll ausgelastet. Sollte eine kritische Komponente nun aufgrund einer Störung ausfallen, verteilt sich die elektrische Leistung automatisch auf die verbleibenden Komponenten im Umfeld – bis zu deren Vollauslastung. Die Netzbetreiber lösen in dieser Situation eine Neuregelung der Stromflüsse aus, sodass das (n-1)-Kriterium möglichst schnell wieder erfüllt wird.

Netzbooster: Innovation statt Redundanz

Der Betrieb unserer Stromnetze nach dem (n-1)-­Kriterium ist ein wesentlicher Faktor der Versorgungssicherheit in Deutschland. Gleichzeitig bedeutet er aber auch, dass viele Komponenten oft nur zu einem Bruchteil ihrer möglichen Kapazität genutzt werden. Die Idee von Netzboostern ist es, das (n-1)-Kriterium durch innovative Technologien zu erfüllen und die bisher ungenutzten Sicherheitsreserven der Übertragungsleitungen zum Stromtransport zu nutzen. Dabei können große Batteriespeicher im Fehlerfall die Leistungsflüsse von ausgefallenen Komponenten kompensieren. Kommt es beispielsweise zum Ausfall einer Nord-Süd-Übertragungsleitung, kann ein Batteriespeicher südlich der Fehlerstelle innerhalb von weniger als einer Sekunde hochfahren und einen Teil der ausgefallenen Leistung zur Verfügung stellen. Die Ausnutzung von bestehenden Übertragungskapazitäten kann so – bei voller Versorgungssicherheit – um teilweise mehr als 30 Prozent erhöht werden.

Vorteile und Herausforderungen von Batteriespeichern als Netzbetriebsmittel

Ein wesentlicher Vorteil von Batteriespeichern ist, dass sie kompakt gebaut und schnell errichtet wer-den können. In Australien errichtete Tesla im letzten Jahr innerhalb von gerade einmal drei Monaten einen 100-MW/130-MWh-Lithium-Ionen-Speicher in Containerbauweise. Verglichen mit den langen Planungshorizonten von Übertragungsnetzen ist das geradezu unvorstellbar schnell.

Gleichzeitig erfordert der Einsatz von Netzboostern jedoch eine deutlich komplexere Netz­automatisierung, die die Übertragungsnetzbetreiber vor zahlreiche neue Herausforderungen stellt. Denn im Fehlerfall müssen in kürzester Zeit zahlreiche Schalthandlungen koordiniert werden. Einerseits muss im oben genannten Szenario der Batterie­speicher südlich der Fehlerstelle schnell und präzise hochgefahren werden, um die ausgefallene Leistung passgenau zu ersetzen. Gleichzeitig muss auf der nördlichen Seite des Netzengpasses der nun überschüssige Strom abgeleitet werden. Anstelle eines weiteren Batteriespeichers könnten hier mittelfristig auch zuschaltbare Lasten wie Power-to-Heat- oder Power-to-Gas-Anlagen zum Einsatz kommen, die bei Bedarf hochfahren und so die Sektorenkopplung verstärken.

Fazit

Die effiziente Umsetzung der europäischen Energiewende erfordert ein starkes Verbundnetz und eine Vielzahl an neuen Flexibilitätsoptionen. Batterie­speicher können den erforderlichen Netzausbau dabei nicht ersetzen, bieten aber innovative Lösungen an, um akute Engpässe schnell zu entlasten. Leistungsfähige Batteriespeicher spielen heute bereits auf allen Netzebenen eine immer größere Rolle und ergänzen bewährte Versorgungskonzepte. Wir dürfen gespannt sein, welche innovativen Anwendungsfälle die rasante Weiterentwicklung moderner Speichersysteme in den nächsten Jahren eröffnen wird.

Autor:

Kai-Philipp Kairies,

Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe, RWTH Aachen

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